Neuer Schulman-Roman: Der Schlüssel zur Veränderung
Amouröse Dreieckskonstellationen sind ein häufiges Konfliktthema in der Literatur. Um eine Frau zwischen zwei Männern geht es auch im aktuellen Buch des schwedischen Schriftstellers Alex Schulman. Eine besondere Brisanz entsteht in "Verbrenn all meine Briefe" dadurch, dass das Erzählte auch Teil der realen Familiengeschichte des Autors ist. Zwei der Protagonisten der toxischen Menage á trois sind Schulmans Großeltern.
Des Erzählers eigener Jähzorn belastet das Verhältnis zu seinen Kindern und seiner Frau
Großmutter Karin verliebt sich, als sie gerade zwei Jahre mit Großvater Sven verheiratet ist, in Olof, der wie Sven Schriftsteller ist. Die Affäre dauert nur eine kurze Zeit im Sommer 1932, und doch prägt sie das Leben der drei Menschen bis zu ihrem Tod.
Grund, die Familiengeschichte zu erforschen, ist für den Erzähler sein eigener Jähzorn, der das Verhältnis zu seinen Kindern und seiner Frau belastet. Bei einer Familienaufstellung wird er auf das erhöhte Aggressions- und Konfliktpotential in der Herkunftsfamilie seiner Mutter aufmerksam. Letztendlich hat Großvater Sven mit seinem Zorn und seiner zerstörerischen Härte die Leben seiner Kinder und Enkel vergiftet. Der Seitensprung seiner jungen Ehefrau scheint dabei sein Lebenstrauma zu sein.
Karin und Olof sind als leidenschaftlich Liebende die Sympathieträger der Story
Wie schon in seinem ersten Roman "Die Überlebenden" begibt sich Alex Schulman auch in "Verbrenn all meine Briefe" als Erzähler auf eine spannende Zeitreise.
Einerseits berichtet er von eigenen Kindheitserlebnissen im Haus der Großeltern, bei denen sich Gefühle der Geborgenheit mit Beklemmung und Ratlosigkeit über den Jähzorn des Großvaters abwechseln. Andererseits schildert er in lebhaften Bildern das Kennenlernen von Karin und ihrem Geliebten Olof in den 1930er Jahren.
Karin und Olof sind als leidenschaftlich Liebende die Sympathieträger der Geschichte. Sven erscheint als Tyrann, der seine Frau demütigt, wo er nur kann. Als er von ihrer Affäre erfährt, will er sich und seine Frau umbringen, was nur durch Zufall misslingt. In beklemmenden Szenen zeigt Schulman die grausame Macht, die Sven über die auf den ersten Blick so selbstbewusst wirkende Karin ausübt.
Die Ausweglosigkeit wird spürbar. Warum es Karin über Jahrzehnte hinweg nicht gelingt, den grausamen Sven zu verlassen und mit Olof ein neues Leben anzufangen, ist aus heutiger, emanzipierterer Perspektive kaum mehr nachvollziehbar. Dass sie, obwohl in den ersten Jahren ihrer Ehe schon das Schlimmste vorgefallen ist, noch vier Kinder mit Sven bekommt und bis zu dessen Tod bei ihm bleibt, hinterlässt Unbehagen und Ratlosigkeit - zumal sie ihr Leben lang den verpassten Chancen mit Olof hinterhertrauert. Alex Schulman teilt als Erzähler dieses Unwohlsein.
Nagendes Unbehagen über zwischenmenschliche Grausamkeit und verpasste Chancen
Dass auf einer solchen Vergangenheit kein harmonisches Familienleben wachsen kann, ist klar. Dennoch hat der Roman einen versöhnlichen Schluss: Der Erzähler erkennt, dass er im Wissen über die Konflikte der Vergangenheit mit seiner eigenen Familie einen neuen, liebevolleren Weg einschlagen kann.
Nach dem Gefühl der Ausweglosigkeit, das so viele Szenen des Romans beherrscht, erleichtert diese Erkenntnis. Um das Buch mit einem richtig guten Gefühl aus der Hand zu legen, würde man über diese angedeutete Befreiung aus dem transgenerationalen Trauma gerne noch mehr erfahren. So bleibt als Grundgefühl ein nagendes Unbehagen über so viel zwischenmenschliche Grausamkeit und verpasste Chancen.
Alex Schulman: "Verbrenn all meine Briefe" (dtv, 304 Seiten, 23 Euro)
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