Jüdische Literaturhandlung: Bedeutendes Archiv wird offengelegt
München - "Was kann einem Besseres passieren, als selbstverständlich zu sein", sagt Rachel Salamander, "Das macht mich glücklich". Dabei ist es angesichts der Vergangenheit durchaus keine Selbstverständlichkeit, dass in München seit 1982 wieder eine Buchhandlung existiert, die sich auf Literatur zum Judentum spezialisiert hat.
Statt "Nachlass": Der "Vorlass"
Die Gründerin Rachel Salamander hat nun ihr Archiv der Monacensia im Hildebrand-Haus übergeben: Als "Vorlass", wie es so schön heißt. Und mit dem Vorteil, dass sich die Archivare die gut 20 Regalmeter mit Unterlagen und Tonaufnahmen von der Stifterin erklären lassen können. Dafür sind dokumentarische Videoaufnahmen mit Rachel Salamander geplant, obwohl die Unterlagen bestens sortiert sind, wie die Archivare versichern.
"Mehrfach in dieser Stadt ausgezeichnet und geehrt, will ich nun der Stadt etwas zurückgeben", sagt sie. Die Sammlung dokumentiert die Entwicklung der Literatur zum Judentum nach 1945 im weitesten Sinne. Gleichzeitig veranschaulicht sie die begleitenden Debatten und ihre internationale Vernetztheit. Zudem enthält das Archiv wertvolle Materialien sowohl für die internationale Holocaustforschung als auch für die Biografieforschung.
"Ich will München was zurück geben"
Die Literaturwissenschaftlerin, Journalistin, Buchhändlerin und Münchner Ehrenbürgerin wurde eher zufällig im niederbayerischen Deggendorf geboren: als Tochter osteuropäischer Holocaust-Überlebender in einem Camp für "Displaced Persons", die eigentlich nach Israel ausreisen wollten. Sie blieb in München, studierte hier Literaturwissenschaft und gründete 1982 ihre Buchhandlung in der Fürstenstraße, die sich heute im Jüdischen Museum am Jakobsplatz befindet.
Ort der Begegnung und des Austauschs
Die Literaturhandlung wurde bald zu einem Forum des Austauschs und der Begegnung, an dem Befangenheiten zwischen Deutschen und Juden abgebaut werden konnten. In einer Zeit, als Lesungen noch nicht zum selbstverständlichen Programm von Buchhandlungen gehörten, lud Rachel Salamander männliche wie weibliche Autoren und Zeitzeugen ein, darunter Grete Weil, Hans Jonas, Imre Kertész, Amos Oz und Marcel Reich-Ranicki. Die Lesungen fanden anfangs in der Literaturhandlung statt.
Bisweilen musste auf größere Räume wie das Prinzregententheater ausgewichen werden. Mit Daniel Jonah Goldhagen ("Hitlers willige Helfer") füllte Rachel Salamander sogar die nach einer Absage von Daniel Barenboim zufällig freie Philharmonie am Gasteig.
Lesungen, Diskussionen und hitzige Debatten
Dabei stand nicht nur die Vergangenheit im Zentrum. Rachel Salamander lud auch viele jüngere jüdische Autoren ein. Beim Pressetermin mit Dieter Reiter erzählte sie auch von heftigen Diskussionen – etwa bei der Lesung Saul Friedländers aus seinem Buch "Kitsch und Tod", als sich der dort angesprochene Hans-Joachim Syberberg in einem Korreferat gegen die Vorwürfe wehrte, er würde den Nationalsozialismus ästhetisieren. Da ging es so hart zu, dass Salamander dem Filmregisseur die Tür zeigen musste. Beim anschließenden Essen im großen Kreis war er allerdings dann doch wieder dabei.
Archivierte Lesungen: wichtige Zeitdokumente
Rund 1.000 Lesungen hat die Literaturhandlung veranstaltet. Sie sind durch Manuskripte, Fotos und Tonkassetten dokumentiert. Rachel Salamander zeigte ihr ziemlich zerfleddertes Gästebuch mit einer Zeichnung des amerikanischen Cartoonisten Art Spiegelman. Er hat eine Maus gezeichnet, die Henry Kissinger eine Nase dreht: Der nicht ganz unumstrittene Ex-US-Außenminister hatte sich auf der Seite davor eingetragen.
Historische Verbindung zum Hildebrandhaus
Das Literaturarchiv im Hildebrandhaus ist auch aus biografischen Gründen der ideale Standort: Rachel Salamanders Ehemann Stephan Sattler ist ein Urenkel des Bildhauers, der die Villa in der Maria-Theresia-Straße 23 als Atelier und Wohnhaus errichten ließ. Anke Buettner, die Leiterin des städtischen Literaturarchivs, will die Schenkung vielfach nutzen: einerseits für eine verstärkte internationale Vernetzung, aber auch für Recherchen zur Geschichte des Hauses. 1934 kaufte es Elisabeth Braun, die nach den Nürnberger Gesetzen als "Volljüdin" galt und 1941 von den Nazis nach Kaunas deportiert und dort ermordet wurde.
Buettner will bis 2024 die Dauerausstellung zur Geschichte des Hildebrandhauses erneuern. "Durch die Schenkung wird jüdisches Kultur- und Geistesleben zum selbstverständlichen Teil der gemeinsamen Erinnerungskultur", so die Leiterin der Monacensia. Gleichzeitig wird mit Hilfe einer Stiftung Rachel Salamanders Archiv digitalisiert: Auch das soll eine Weiterentwicklung und Öffnung der Monacensia befördern.
Dieter Reiter nutzte die Gelegenheit für den leider unvermeidlichen Hinweis, dass der Antisemitismus nicht überwunden sei. Die Gesellschaft müsse handeln, es mache ihn wütend, dass sich Juden in Deutschland nicht mehr sicher fühlen würden. Gleichzeitig freut sich der Oberbürgermeister auch schon auf 2025: In seinem (gemäß Gemeindewahlgesetz voraussichtlich) letzten Amtsjahr möchte er zum 75. Geburtstag von Rachel Salamander eine Ausstellung mit Beständen aus dem Archiv der Ehrenbürgerin eröffnen.