Endorphine freisetzen: Was das Literaturfest bringen wird
Liebe hat einen schlechten Ruf", sagt der Schriftsteller und Journalist Daniel Schreiber. Gerades deshalb taucht der Begriff im Motto des von ihm kuratierten Literaturfests auf, das vom 2. bis 11. April im Literaturhaus und drumherum stattfindet. Denn "Liebe" bedeute in Zeiten des Hasses einen "leidenschaftlichen Bezug zur Welt", der konstruktive Gegenkräfte wie Mitgefühl, Gemeinsinn und Zusammenhalt ins Zentrum rücken möchte.
Schreibers Gäste, die in Lesungen und Debatten, Performances und unterschiedlichen Veranstaltungsformaten auftreten, "eint ihre ‚Liebe zur Welt", so der Autor, der durch eine Biografie der amerikanischen Essayistin Susan Sontag bekannt wurde. Nicht nur romantische, freundschaftliche und familiäre Liebesformen seien damit gemeint, sondern auch das gesellschaftliche und politische Engagement und das Bewusstsein, dass alle über etwas verfügen, mit dem sie dazu beitragen können, die Welt zu verändern.
Luisa Neubauer eröffnet das Literaturfest
Eröffnet wird das Literaturfest am 2. April im Literaturhaus am Salvatorplatz mit einer Key-Note von Luisa Neubauer. Sie habe bewiesen, dass Verantwortung, Solidarität und Mut den Schlüssel zu einem funktionierenden Zusammenleben auf unserem Planeten bilden, heißt es in der Ankündigung. Anschließend zeigen Chris Reitz und Lisa Jay Jeschke in einer poetischen Performance, wie wichtig Mehrsprachigkeit, Gender und Queerness für die Münchner Literaturszene sind. Für den musikalischen Rahmen sorgen der Chansonnier Vladimir Korneev und die Bassistin Julia Hornung.

In den Tagen darauf sprechen Autorinnen und Autoren wie Asal Dardan, Doris Dörrie, Martina Hefter, Helene Hegemann, Hasnain Kazim, Gabriele von Arnim oder Phillip B. Williams über ihre Texte. Die 70-jährige Psychologin Helene Bracht spricht über ihr literarisches Debüt, das das sich mit nicht einvernehmlichen intimen Begegnungen beschäftigt, Linus Giese, Selma Kay Matter und Hengameh Yaghoobifarah plädoyieren für ein entpanntes Miteinander zwischen Queerness und Heteros. Dora Heldt und der Podcaster Matze Hielscher produzieren live vor Publikum ihre Podcasts "Dora Heldt trifft…" beziehungsweise "Hotel Matze".
Der Schwerpunkt liegt beim Politischen, aber auch Netteres wie eine Lesung der Autorin Olivia Laing über die Rettung eines englischen Gartens, ein Gespräch zwischen Eva Gesine Baur und Vincent Moissonnier über die "Leidenschaft Kochen" und die Leidenschaft für Pferde von Loretta Würtenberger, Hubertus Graf Zedwitz und Jenny Friedrich-Freksa passen auf das weite Feld der Liebe.

Mitmachformate sollen "Endorphine" der Besucher freisetzen
Die Autorin Helene Hegemann will dagegen Kampfsport und Klassenkampf zusammenbringen. Martina Hefter beschäftigt sich in einer Performance mit der "Schnittstelle zwischen Theater und Literatur, Sehnsucht und Lüge". Meike Rötzer fasst im Künstlerhaus Tolstois Tausendseiter "Anna Karenina" an einem Abend zusammen, den Andreas Skouras musikalisch begleitet. Mitmachformate wie der "Go Sing Choir" des nach eigenen Angaben ersten offenen Münchner Pop-Chors oder gemeinsames Lesen sollen nach Veranstalterangaben die "Endorphine" der Besucher freisetzen.
Thomas Mann darf in München nie fehlen, wenn es um Literatur geht: Zu Ende geht das Fest mit einer Veranstaltung zu den "Deutschen Reden", die der Schriftsteller aus dem amerikanischen Exil über den Rundfunk an die deutschen Hörer richtete. Ihr Tonfall ist - anders als Manns Prosa - wütend, konkret und beleidigend. Ulrich Matthes wird eine Auswahl der Texte lesen, die Herausgeberin Mely Kiyak kommentiert die Texte.

Schon jetzt zu sehen ist die Ausstellung "This Is Us" der in Berlin lebenden amerikanischen Künstlerin Tracey Snelling. Ihr Werk reflektiert das Verborgene und Verdrängte unserer Gesellschaft. Mit ihren Haus-Skulpturen orientiert sich Tracey Snelling an existierenden Gebäuden weltweit: In Shanghai, Berlin, Neapel oder ihrer Heimatstadt Oakland in Kalifornien. Die atmosphärischen Besonderheiten, die realistischen Details, die minimalen Verfremdungen geben Raum frei für eine Auseinandersetzung mit der Frage: "Wie leben wir - Wie wollen wir leben?".

München als globale, postmigrantische Stadt
Die "Münchner Schiene" des Literaturfests wird von der Stiftung Lyrik Kabinett kuratiert. Im Zentrum steht München als globale, postmigrantische Stadt und wachsender regionaler Ballungsraum, in dem alltäglich verschiedensten Formen der Übersetzung stattfinden. Dîlan Z. Çapan beschäftigt sich in einer Lyrik-Performance mit Macht und Gewalt von Sprache, Markus Ostermair und Dagmar Leupold schreiben gemeinsam zum Thema Wohnungsnot. Auch ein literarischer Spaziergang durch Giesing auf den Spuren des iranisch-deutschen Dichters Said (1947 - 2021) ist Teil des Programms.
Für Nicht-Münchner wird ein großer Teil der Veranstaltungen gestreamt. Während des Festivals zeigt Daniel Schreiber im Literaturhaus seine Lieblingsfilme zum Thema Liebe, darunter Truffauts "Jules et Jim" und Billy Wilders "Some Like It Hot". Besonders wichtig ist Schreiber die Comic-Verfilmung "Wonder Woman", die aus der Heldinnen-Perspektive von Göttlichkeit, Gerechtigkeit und Liebe erzählt und somit wesentliche Momente des Programms auf eine anderen künstlerischen Ebene zusammenfasst.
2. bis 11. April. Der Vorverkauf beginnt am 1. März. Mehr Infos www.literaturfest-muenchen.de
- Themen:
- Doris Dörrie
- Thomas Mann