Erinnerungen an die Liebe

Mit ihrem Roman "Wild nach einem wilden Traum" vollendet die Autorin Julia Schoch ihre Trilogie "Biographie einer Frau"
Anne Fritsch |
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Julia Schoch, war im vergangenen Jahr Stadtschreiberin in Mainz.
Foto: Helmut Fricke/dpa Julia Schoch, war im vergangenen Jahr Stadtschreiberin in Mainz.

Ich setze noch einmal an, an einem anderen Punkt." So beginnt der Roman "Wild nach einem wilden Traum" von Julia Schoch. Es ist der dritte Teil ihrer Trilogie "Biographie einer Frau". Jeder der Romane beginnt mit einer einschneidenden Situation im Leben der Ich-Erzählerin: In "Das Vorkommnis" eröffnet ihr eine fremde Frau, dass sie ihre Halbschwester ist.

In "Das Liebespaar des Jahrhunderts" verlässt sie ihren Mann. Und im gerade erschienenen dritten Teil, "Wild nach einem wilden Traum", erinnert sie sich an eine lange zurückliegende Affäre mit einem Schriftstellerkollegen, "dem Katalanen", dem sie während einer Schreibresidenz in den USA begegnete.

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"Zu jener Zeit, die inzwischen Jahre zurückliegt und von der hier die Rede sein soll, wollte ich diesen Mann, den Katalanen, unbedingt. Dabei gab es doch schon einen in meinem Leben. Einen Mann, meine ich. Genauer gesagt: meinen Mann." Es ist eine merkwürdig spontane und unfertige Liebe, von der Julia Schoch da erzählt. Eine, die mit wenig Worten auskam und unverbindlich blieb. Eine Begegnung auf Zeit, die dennoch eine große Leidenschaft barg und lange nachwirkte in einer ihrer Schachteln der Erinnerung. Irgendwann verschwand die Traurigkeit, irgendwann wurde der Katalane "egal". Aber etwas blieb von ihm, und dem spürt die Autorin Jahrzehnte später nach.


Julia Schochs Puzzle eines Lebens 

Auch wenn im Grunde jedes dieser Bücher für sich steht, erschließt sich der ganze Kosmos erst in ihrem Zusammenspiel. Bestimmte Motive tauchen immer wieder auf wie in einem Erinnerungsstrom, ziehen sich durch die Bücher und Zeiten. Über die lange Strecke lernt man nicht nur die Erzählerin kennen, sondern auch die Menschen in ihrem Leben. Prägende Momente tauchen wieder auf, erscheinen in neuem Licht, werden anders eingeordnet. Nach und nach setzen sie alle sich zusammen zu einem Leben, eben jener "Biographie einer Frau". Der letzte Teil ist wie das Puzzlestück, das noch gefehlt hat. Eine Frau ist nie nur eine Frau. Julia Schoch spürt den Rollen nach, ergriffenen und verpassten Möglichkeiten - und den Mechanismen des Erinnerns.

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Sie erzählt weder linear noch chronologisch. Sie geht vielmehr grundsätzlichen Fragen nach: Wieviele Leben und Lebensentwürfe passen in die Biographie einer Frau? Wieviele Kurven, Ab- und Umwege? Und ja: wieviele Lieben? Wer prägt unsere Gedanken und unser Empfinden? Im Verlauf der Bücher nimmt die Ich-Erzählerin verschiedene Perspektiven ein, blickt auf ihr Leben aus ihren verschiedenen Rollen: als Tochter, Schwester, Mutter, Freundin, Ehefrau oder als Geliebte. Je nach Blickwinkel verändert sich auch die Einordnung des Geschehenen.

Begegnung im Birkenwald mit einem traurigen Soldaten

Schoch nimmt Fäden aus den vorangegangenen Büchern auf, spinnt Gedanken weiter und ergänzt sie durch aktuellere Betrachtungen und Erkenntnisse. Die Kindheit in der DDR-Provinz taucht ebenso verlässlich regelmäßig auf wie die Begegnungen mit dem traurigen Soldat im Birkenwald, die die Erzählerin als Kind geprägt haben.

Die historische und soziale Herkunft wirft ihre Schatten auf die Gegenwart, alle diese Erinnerungen stehen im Bewusstsein, dass der Mensch keine Insel ist, sondern Teil eines komplizierten Geflechts aus Gegebenheiten und familiären Strukturen. Deutsch-deutsche Geschichte und Lebensgeschichte vermischen sich untrennbar zu einem ganzen, einem Leben eben.

Aus dem Persönlichen gelangt Julia Schoch zu einer übergeordneten Perspektive, einem Nachdenken über das Leben und das Lieben. Und immer wieder über das Schreiben, dieses Filtern und Einordnen und vielleicht auch Verändern von Erinnerungen.

Julia Schoch: "Wild nach einem wilden Traum" (dtv, 176 Seiten, 23 Euro). Am 19. Februar um 19 Uhr liest die Autorin im Literaturhaus München.

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