Dennis Pausch schreibt über die Kunst der Beleidigung in der Antike
Shitstorm, Hass im Netz, Mobbing - in was für einem Zeitalter leben wir eigentlich? Aber ist der Kulturverfall in Zeiten der Sozialen Medien wirklich so drastisch? Auf der anderen Seite steht ja unsere zunehmende politische Korrektheit gegenüber Minderheiten und Sensibilität gegenüber Diskriminierungen oder verschiedenen Geschlechtsidentitäten.
Harte Bandagen im verbalen Streit: Verbannung, Todesurteile, Selbstmord
Wenn jetzt ein Altsprachler ein Buch vorlegt, das sich mit verbalen Angriffen in der römischen Antike beschäftigt, gehen einem die Augen erst recht auf: In Kultur- und Intellektuellenkreisen sowie in der Politik wurde damals mit unfassbar harten Bandagen gekämpft. Das konnte bis zur Verbannung führen, oft auch zu Todesurteilen - oder zu Selbstmord.
Cicero einst als "warmduschender Emporkömmling" tituliert
Dabei war es natürlich besonders angesehen, die Attacke gebildet und elegant zu verpacken, um sich als Gebildeter vom Pöbel zu unterscheiden. Aber wenn am Ende der Meister-Rhetoriker Cicero - übrigens ein von "Kichererbse" abgeleiteter Schmähname - selbst sein Fett abbekommt und ins Exil muss, hat man kein Mitleid: Denn bis dahin hatten bereits viele politische Leichen seinen Weg gepflastert.
"Warmduschender Emporkömmling" wurde Cicero von einem Senatsgegenspieler genannt, den er wiederum als "korrupten Frauenkleiderträger und Religionsverächter" entlarvt. Auffällig ist dabei, wie wild sich politische Angriffe mit massiven Schmähungen der Person - ihres Standes, ihres Aussehens, ihrer Bildung und ihrer angeblichen Laster - mischen: "Du Mailänder Marktschreier, Du Schandfleck deiner eigentlich edlen Familie, Du Stück Scheiße."
Pointierte, radikale Zwischenrufe im römischen Senat
Oft wird auch die Geschichte aufgetischt, wie sich Marc Anton, der sich zum Alleinherrscher aufschwingen will, am Tag vor der größten Prozession Roms so hatte volllaufen lassen, dass er sich "öffentlich vor dem ganzen Volk vollkotzte". Pointierte, radikale Zwischenrufe ("So ein wortgewandter Schwanz!") waren im römischen Senat gang und gäbe - was alles so gar nicht zu unserer Ansicht von weißen Toga-Trägern passen will.
Wer sich bei alledem angeekelt von der römischen Antike abwendet, sollte nicht vergessen, wie noch vor wenigen Jahrzehnten in Deutschland Wahlkampf unterfüttert wurde. Franz Josef Strauß zum Beispiel bezeichnetet Störer seiner Reden als "Ratten und Schmeißfliegen" oder als "Fünfte Kolonne Moskaus".
Und schon Adenauer war sich nicht zu schade, subtil, aber dreckig zu polemisieren: "Willy Brandt - alias Herbert Frahm…". Was auf Brandts nichteheliche Herkunft abzielte und ihn auch noch unterschwellig als "Vaterlandsverräter" kennzeichnen sollte, weil er aus dem Exil unter dem Decknamen Brandt Widerstandsarbeit gegen den NS-Staat geleistet hatte. Überraschend ist es eher, dass sich das politische Klima in dieser Hinsicht in den letzten Jahren entpolemisiert zu haben scheint, sieht man von Figuren wie Donald Trump ab, die aber eben auch zu unserer demokratischen Wirklichkeit gehören.
Römische Antike: Keine Skrupel in der politischen Auseinandersetzung
Öffentliche rassistische Abwertungen ("Du Afrikaner", "Du sardischer Schafspelz", "Du bäurischer Gallier") gab es jedenfalls längst schon in der multikulturellen Zeit des römischen Imperiums mit seinen Globalisierungsgewinnern und -verlierern. Majestätsbeleidigungen konnte man, um sich als großzügiger Monarch oder Politiker zu zeigen, übergehen. Caesar wurde vorgeworfen, sich von niederen Männern beschlafen zu lassen, er blieb aber einigermaßen gelassen.
Selbst Nero war auffallend tolerant, wenn man ihm Geschmacklosigkeit oder Muttermord unterstellte, und Claudius - Kaiser und Gott - konnte nach seinem Tod als grausame, hässliche Null verrissen werden. Die römische Antike jedenfalls kannte keine Skrupel, auch das Privateste politisch zu nutzen und öffentlich zu machen.

Und selbst wo die Angriffe wirklich obszön wurden, muss man in der historischen Forschung nicht auf Latrinen- und Wandkritzeleien zurückgreifen, sondern kann in der Literatur der Upper Class bleiben: Nach dem Vorwurf der Sauferei (wie Cato), schlechter Schriftstellerei (wie Cicero), Kotzerei (wie Marc Anton), bekommt ein gewisser Gaurus vom Dichter Martial noch "Schwanzlutscher" hingeknallt. "Schwuchtel, weicher als Kaninchenfell" nannte Catull einen gewissen Thallus, und Juvenal bescheinigt einem Zeitgenossen "unter den Sokratikerschwuchteln das bekannteste Loch" zu sein.
Geschichte wird überwiegend von den Siegern geschrieben
Wie solche literarisch bezeugten Beispiele einzuordnen sind, darüber ist sich die Wissenschaft heute nicht ganz einig. Vielleicht handelte es sich hier auch "nur" um radikale Foppereien im schriftstellerischen Freundeskreis. Und hier drängt sich dann auch ein Vergleich zur heutigen Rap-Battle-Kultur mit "Motherfucker"-Rhetorik auf. Und das, was man heute vielleicht metrosexuell nennt, war damals der Vorwurf von konservativer Seite, ein "effeminisierter Mann" zu sein, was zwar als Kampfbegriff verwendet wurde, aber oft von den Geschmähten zum Kompliment urbaner Kultiviertheit umgedeutet wurde.
Geschichte wird überwiegend von den Siegern geschrieben, und das waren - selbst in der republikanischen Zeit - die patrizische Oberschicht Roms und spätestens mit der Kaiserzeit die Konservativen. So ist von Liberalen in der römischen Antike weniger überliefert, von vielen Oppositionellen sogar nur in der Spiegelung durch die staatstragenden, konservativen Dichter, Denker und Politiker. Die wiederum geißelten mit meist elegant geformten, aber nichtsdestotrotz vulgären Schmähungen paradoxerweise oft den "Niedergang der guten Sitten".
Neues Buch von Dennis Pausch: Vor allem für Unerschrockene sehr amüsant
Autor Dennis Pausch zieht in "Virtuose Niedertracht - Die Kunst der Beleidigung in der Antike" selbst manchmal erhellende Linien von der Antike in unser Heute, ohne dabei stark zu werten. Aber die Lektüre regt natürlich an zu fragen, welche Auseinandersetzungskultur heute witzig und wünschenswert wäre und wo sie zu weit gehen würde.
Dabei ist das Buch nicht ganz geschickt aufgebaut. Anfangs muss man sich stark einlesen, auch weil ausgerechnet die sperrigeren der lateinisch-deutschen Literaturbeispiele zu Beginn auftauchen. Dann aber - nach schon 30 Seiten - wird es für die nächsten 130 Seiten ungemein flüssig, dynamisch, auch erhellend - und vor allem für Unerschrockene sehr amüsant.
Dennis Pausch: "Virtuose Niedertracht - Die Kunst der Beleidigung in der Antike" (C.H. Beck, 222 Seiten, 22 Euro)
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