Interview

Buch über Bergretter: "Das sind Geschichten, die ins Leben eingreifen"

Bergretter erleben oft Unglaubliches. Der Autor Thomas Käsbohrer sammelt die Geschichten und schreibt sie auf. Nun gibt es ein neues Buch.
Lisa Marie Albrecht
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Bergretter in Oberaudorf suchen bei einer Lawinenübung von Polizei und Bergwacht nach Überlebenden.
Bergretter in Oberaudorf suchen bei einer Lawinenübung von Polizei und Bergwacht nach Überlebenden. © Matthias Balk/dpa

AZ-Interview mit Thomas Käsbohrer: Der Iffeldorfer (61) war viele Jahre als Verleger tätig. Er ist Segler, Filmemacher und Autor zahlreicher Bücher. 2019 erschien mit "Am Berg" sein erstes Buchüber die Bergwacht.

AZ: Herr Käsbohrer, mit "Der Einsatz meines Lebens" ist vor Kurzem ihr zweites Buch mit Geschichten von Bergrettern erschienen. Warum fesselt Sie das Thema so?
THOMAS KÄSBOHRER: Ich habe einfach ein großes Interesse an ungewöhnliche Menschen. Zudem wohne ich ja in Iffeldorf und da sieht man, wenn man nach Süden schaut, zahlreiche Berge, den Jochberg, den Herzogstand, den Heimgarten. Ich habe mich dann immer gefragt: Warum machst du eigentlich nichts darüber? Und so kam ich eher zufällig auf die Bergwacht. Es ist faszinierend, mit diesen authentischen Menschen zu sprechen, die einen ganz besonderen Blick aufs Leben haben.

Thomas Käsbohrer.
Thomas Käsbohrer. © Millemari

Bergwachtler sind - so zumindest die journalistische Erfahrung - nicht immer besonders gesprächig. Wie kriegen Sie die Menschen zum Reden?
Ich kann Ihnen gar nicht so genau sagen, womit ich das verdient habe - und das ist jetzt keine falsche Bescheidenheit! Ich glaube, vieles läuft natürlich über die Zugehörigkeit zum süddeutschen Raum. Ich denke aber auch, dass die Leute gemerkt haben, dass ich nicht mal nur schnell eine Geschichte abgreifen möchte. Sondern dass ich wirklich wissen will, wie sie dazu kommen, in ihrer Freizeit zu versuchen, das zu retten, was wir in unserer Freizeit anstellen.

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Die Geschichte, die du nicht vergessen kannst

Wie sind Sie vorgegangen, um die Geschichten der Bergretter zu sammeln?
Ich habe genau diese Frage gestellt, die letztlich zum Titel des Buchs geführt hat. Es war mehr die Laune eines Augenblicks, dass ich ein Gespräch begonnen habe mit der Frage: Was ist die Geschichte, die du nicht vergessen kannst? Und da habe ich gemerkt; dass sie gar nicht lang nachdenken müssen. Das habe ich beim zweiten Mal wieder so angewendet: Außerdem telefoniere ich vorher nie mit den Leuten, weil ich mit ihnen lieber unvorbereitet sprechen möchte. Sie sollen bestimmen, wie sie ihre Geschichte erzählen wollen. Sie säen etwas aus, bei mir fällt es auf fruchtbaren Boden und dann treibt eine Geschichte aus.

Oder in 24 Geschichten, die es ins Buch geschafft haben. Welche dieser Geschichten haben Sie am Ende besonders überrascht?
Zum Beispiel die Geschichte einer jungen Bergwachtlerin, die erzählte, wie sie zu ihrem ersten Einsatz gerufen wurde. Es war ein Lawineneinsatz am Breitenberg bei Pfronten, bei dem jemand verunglückt war. Im Laufe der Rettungsaktion stellte sich heraus, dass es ihr Ausbilder war. Sie hat dann tatsächlich mitgeholfen, ihn auszugraben. Mich hat auch die letzte Geschichte in meinem Buch besonders beeindruckt, vom Einsatz am Zugspitzplatt in Garmisch. Eigentlich ein überschaubares Skigebiet, wo sich vor vielen Jahren ein Skifahrer im Schneetreiben verirrt und den Weg zur Piste nicht mehr fand. Drei Tage haben sie ihn gesucht. Er hat nur überlebt, weil er sich in eine verlassene Hütte gerettet hat. Es gab ein wenig Brennmaterial, nichts zu essen. Er hat drei Tage nur von geschmolzenem Schnee gelebt und wurde schließlich von einem Alpinpolizisten gerettet. Insgesamt hat mich aber eher überrascht, wie solche Erlebnisse bei den Bergrettern selbst nachwirken und zu welchen Reaktionen sie führen.

"Der Einsatz meines Lebens. Bergretter erzählen" von Thomas Käsbohrer ist im Millemari Verlag erschienen. 268 Seiten, Hardcover 39,95 Euro. 25 Prozent des Erlöses gehen an die Bergwacht.
"Der Einsatz meines Lebens. Bergretter erzählen" von Thomas Käsbohrer ist im Millemari Verlag erschienen. 268 Seiten, Hardcover 39,95 Euro. 25 Prozent des Erlöses gehen an die Bergwacht. © Millemari

Was meinen Sie damit?
Es gibt zum Beispiel einen Bergretter, der in den 80er-Jahren am Weihnachtsabend einen jungen Skifahrer nur noch tot bergen konnte. Daraufhin hat es sich dieser Bergretter zur Aufgabe gemacht, die Rettungsmedizin in seiner Bereitschaft Bayrischzell mit aller Kraft voranzubringen und hat wirklich enorme Dinge bewegt. Für ihn war das einfach der Auslöser zu sagen: Wir müssen alles tun, damit wir Leben erhalten.

"Das Lernen spielt eine große Rolle"

Geht es also darum, was die Bergretter aus ihren Einsätzen lernen?
Was sie gelernt haben kristallisiert sich meistens im weiteren Lebensweg heraus. Das sind Geschichten, die ins Leben eingreifen, auch bei den Bergrettern, und eine Veränderung auslösen. Lernen ist nur ein kleiner Teil davon, denn Lernen ist ja etwas Kognitives. Diese Menschen haben manchmal ihr ganzes Leben nach so einem Einsatz anders ausgerichtet. Das Lernen spielt eine große Rolle vor allem für die Unfallursachen.

Inwiefern?
Die eine Ebene des Buches ist nach wie vor meine Passion für diese Menschen, für das, was sie leisten und wofür sie es tun. Denn das ist ja alles unentgeltlich und jenseits allen Kommerzdenkens. Das Zweite ist, dass es mich immer wieder interessiert, was die Ursachen für unsere Fehlentscheidungen sind. Nicht unbedingt nur für Unfälle, sondern zum Beispiel auch dafür, dass man sich verirrt.

Was haben Sie herausgefunden?
Es hat mich bei den Gesprächen sehr überrascht, wie stark die Beteiligung der menschlichen Psyche als Verursacher häufig selbstverschuldeter Notlagen mitspielt. Ich hab immer gedacht: "Mei, das ist ja klar, das war das Wetter schlecht oder der Fels war brüchig." Erst im Laufe dieser Interviews wurde mir klar, was mir ein Bergführer in einem der Interviews sagte: "Zu 99 Prozent ist die Ursache der Mensch."

Die größten Fehler am Berg

Und was macht der Mensch für Fehler am Berg?
Der größte Fehler ist, dass man nicht weiß, wann man in der Lage ist, eine gute Entscheidung zu treffen und wann man das nicht kann. Ein Beispiel: Es ist Frühjahr, alle haben Lust, rauszugehen - gerade in der Corona-Zeit. Also fährt eine Gruppe zu einem etwa 1.600 Meter hohen Berg am Tegernsee und will dort hoch. "Nichts wildes", denkt man. Aber: Was erwartet einen dort? Die meisten werden übersehen, dass da große Altschneefelder sind, und selbst der Begriff Altschneefeld sagt einem heutigen Menschen nicht viel. Nur führte das dann dazu, dass im Frühjahr eine größere Gruppe in ein Altschneefeld geriet, immer weiter lief und plötzlich brachen alle so ein, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr weiterkamen und gerettet werden mussten. Auch hier sollte man sich also fragen: Bin ich in der Lage, eine gute Entscheidung zu treffen und kenne ich die Gefahren?

Gehen Sie nach Ihrer Recherche anders in die Berge als früher?
Auf alle Fälle. Vorher hätte ich in vielen Situationen gesagt: Naja, das geht schon noch. Aber oft ist dies "Das geht schon noch" das Zeichen, dass man zumindest genauer hinschauen oder gar umkehren sollte. Die Leute, die verunglücken, sind ja nicht alles Ahnungslose oder Dummköpfe. Man kommt vielmehr in eine Situation, die größer ist als man selbst und das, was man kennt. Und trifft dann vielleicht die falsche Entscheidung. Ich glaube, das ist auch das, was das Buch abseits der spannenden Geschichten leisten kann: Dafür zu sensibilisieren, dass die Natur uns im besten Fall gleichgültig gegenübersteht - aber immer ihren eigenen Regeln folgt.

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