Interview

Beide über 100: "Meine Omas haben mich jung gehalten"

Beide Großmütter von Anja Fritzsche sind über 100 Jahre alt geworden. Sie waren immer mitten drin und nie um einen Spruch verlegen. Die Enkelin hält das jetzt im zweiten Buch fest.
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Rosemarie Vielreicher
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Erinnerungsbild: Anja Fritzsche umarmt ihre Omas Maria (l.; †108) und Mia (†103). Maria ist 2018 gestorben, Mia 2021.
Erinnerungsbild: Anja Fritzsche umarmt ihre Omas Maria (l.; †108) und Mia (†103). Maria ist 2018 gestorben, Mia 2021. © privat

AZ-Interview mit Anja Fritzsche: Mit einem Facebook-Account und dem ersten Buch rund um ihre Oma(s) "Oma, die Nachtcreme ist für 30- Jährige" wurde die Münchnerin zur Spiegel-Bestseller-Autorin. Ihr neues zweites Buch "Spätzchen, 109 ist doch kein Alter!" erzählt die Geschichte ihrer beiden über 100-jährigen Großmütter zu Ende - sehr amüsant, witzig und ergreifend.

AZ: Frau Fritzsche, wie alt würden Sie gerne werden?
ANJA FRITZSCHE:
Ich habe nichts dagegen, wenn ich 100 Jahre alt werden würde, vorausgesetzt: Ich bin oben fit und unten dicht. (lacht)

Den Humor haben Sie auf jeden Fall schon mal von Ihren Omas, vielleicht auch die Gene: Oma Maria wurde 108, Mia fast 104 Jahre alt. Wie haben sie das nur geschafft?
Ich glaube, es lag an der Gesellschaft. Meine Freundinnen waren ihre Freundinnen. Auch als Familie haben wir sehr viel zusammen gemacht. Beide hatten zudem eine große Neugier in sich. Sie waren immer im Dialog, haben Fragen gestellt - das hält den Geist jung. Ich weiß nicht, ob es auch noch an der bayerischen Luft lag - oder ob einfach alle Umstände gut zusammengespielt haben.

Sie haben in Ihrem neuen Buch mit Anekdoten über die beiden auch fünf Faktoren gesammelt, die bei beiden zutrafen und vielleicht positiv aufs Alter gewirkt haben. Können Sie das ausführen?
Ich wollte zwar kein Lehrbuch für gutes Altern schreiben und die lustigen Geschichten meiner Omas im Vordergrund belassen, aber ich habe fünf Ähnlichkeiten festgestellt: Beide haben immer frisch gekochtes Essen bekommen - Oma Maria hat bis 102 sogar noch selbst gekocht. Fast Food kannten die Omas gar nicht.

Nummer zwei?
Bewegung! Die Ältere war ein hibbeliger Typ, sie konnte nie still halten. Und die Jüngere wurde von meiner Mutter dazu angetrieben - Hometrainer, Übungen und so weiter. Faktor drei und vier sind meiner Ansicht nach die Gesellschaft und die Neugier, wie ich schon angesprochen habe. Und Nummer fünf: Musik und Singen. Das war bei beiden immer präsent. Fröhliche Musik bringt einfach innerhalb von Sekunden gute Laune.

Ihre Oma hat im Heim auch mal gesagt: "Mir fehlen die jungen Leute hier."
Ja, ich musste ihr sagen: "Oma, aber mit 50 geht man eben noch nicht ins Heim." (lacht) Sie hat sich dann immer mit den Besuchern der Heimbewohner unterhalten. Deswegen finde ich das Mehr-Generationen-Wohnen gut, damit Jung und Alt gemischt sind. Oder dass man die Oma auch mal in den Urlaub mitnimmt. Ältere müssen nichts mehr beweisen, sie ruhen in sich und sprechen aus Erfahrung. Die Jüngeren haben dagegen das technische Wissen.

Schon Ihr Facebook-Account und das erste Buch über Ihre Oma Maria, damals 107, waren ein riesiger Erfolg. Warum haben Sie sich für eine Fortsetzung entschieden - obwohl beide Omas mittlerweile gestorben sind?
Als meine Oma Maria gestorben ist, war für mich eine Fortsetzung zunächst erledigt. Denn meine Oma war der Star des ersten Buches, es war geboren aus ihrer Neugier. Der Verlag und auch ich haben so viele Nachfragen bekommen, selbst nach ihrem Tod. Dann ist meine Oma Mia auch immer älter geworden: 101, 102, 103. Vorher stand sie etwas im Schatten der Älteren.

Herrschte in Sachen Alter etwa Konkurrenz zwischen den beiden?
Die Jüngere hat schon immer gesagt, sie möchte auch so alt werden. Andersrum war Oma Maria stolz drauf, älter zu sein. Sie haben sich gegenseitig gepusht und gehalten. Sie hatten aus den alten Zeiten sonst auch niemanden mehr, der noch lebte. Dann habe ich auch für Oma Mia und für uns ihre Geschichten festgehalten.

Warum, glauben Sie, sind Ihre Großmütter-Anekdoten so erfolgreich?
Weil jeder eine Großmutter oder einen älteren Menschen im Umfeld hatte und weil jeder selbst älter wird. Da kommt niemand aus. Jeder Mensch muss sich irgendwann fragen: Was mache ich im Alter? Man hat vielleicht ein paar Rentner-Ideen, aber was man wirklich im Alter macht, dafür gibt es nicht so viele Beispiele. Das kommt jetzt erst langsam, dass man sieht: Das Alter wird immer unwichtiger.

Und da ist Ihre aufgeweckte Oma Maria ein positives Beispiel gewesen, die überhaupt keine Tabletten brauchte und gern im Süden urlaubte.
Sie mochte rausgehen, war neugierig und hat geflirtet! Wirklich. Sie war immer noch sehr interessiert an anderen Menschen. Als Dauersingle hat sie das Flirten immer beibehalten; das hat sie sehr sympathisch gemacht und sie hatte immer einen Spruch auf Lager. Ihre Leichtigkeit fehlt mir.

Eigentlich wollte sie 111 Jahre alt werden, wie Sie schreiben. Mit 108 hat sie sich von einem Auffahrunfall nicht mehr erholt. Wie fühlt sich das an, dass so etwas Tragisches am Ende passieren musste?
Wir haben alle den Kopf geschüttelt. Auch meine Oma selbst konnte es nicht verstehen, warum sie danach so lange im Bett liegen musste, weil sie davor nie so wirklich krank war. "Wie kommt es, dass ich jetzt am Ende so dazu gezwungen werde?", hat sie gefragt. Auf der einen Seite hat man zwar einen großen Willen und den Wunsch weiterzuleben, aber ich glaube auch, dass jeder andererseits auch sein persönliches Ende hat, und das kommt, wenn es kommen soll. Absurd, aber es sollte wohl so sein. Ich hatte bei Oma Maria oft das Gefühl, wenn nichts von außen kommt, was sie bremst, wird sie auch 120.

Was hat es mit Ihnen gemacht, zwei so hochbetagte Omas zu haben?
Die Omas haben mich jung gehalten, ich hatte immer noch die Funktion des Enkelkindes. Man bekommt immer etwas Schutz von der Oma, sie hat mir immer noch Taschengeld gegeben. Auch wenn ich gesagt habe, ich verdiene doch selbst mein Geld, war ihre Antwort: "Man kann nie genug Geld haben".

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Von welchen Lebensweisheiten Ihrer Omas möchten Sie, dass sie überdauern?
Man sollte Herausforderungen, die einem das Leben stellt, positiv und vorurteilsfrei begegnen. Also nicht sagen: "Ach, das wird ja sowieso nichts", sondern es einfach erstmal ausprobieren und das Beste draus machen. Auch etwa bei der Alzheimer-Erkrankung von Oma Mia. Aber ich will dabei nicht als Vorbild herangezogen werden, denn es ist natürlich etwas anderes, wenn jemand mit 70 Alzheimer bekommt, oder wie meine Oma erst mit 98.

Was glauben Sie, würden Ihre Omas zur aktuellen Zeit sagen?
Meine ältere Oma - sie hat beide Weltkriege erlebt - würde den Kopf schütteln und sagen: "Unglaublich, dass in der heutigen Zeit wieder Krieg ist." Und die zweite Oma würde sagen: "Krieg - egal, wann - ist Quatsch."

Zum Schluss: Was war Ihr lustigstes Erlebnis zusammen?
Es gibt so viele Erlebnisse mit ihnen. Ich spüre Dankbarkeit, dass ich das alles erleben durfte. Wir haben so viel gelacht. Am schönsten sind immer die Reisen gewesen. In Südtirol hat eine Frau einmal zu uns gesagt: "Wow, Ihre Oma ist schon 103, ich habe noch nie so einen alten Menschen gesehen oder gesprochen." Da ist bei mir erst langsam durchgesickert: "Oma, du bist schon krass!" Für mich war es vorher total normal. Wir sehen das Alter nicht, ruhen uns nicht darauf aus.

Das Buch "Spätzchen, 109 ist doch kein Alter!" von Anja Fritzsche
Das Buch "Spätzchen, 109 ist doch kein Alter!" von Anja Fritzsche © Ullstein

Anja Fritzsche: Spätzchen, 109 ist doch kein Alter! Unglaubliche Geschichten und wahre Lebensrezepte meiner beiden Omas; Ullstein; 240 S.; 12,99 Euro

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