Interview

Albert Ostermaiers "Teer": Mit Habermas im Solebad

Der Münchner Lyriker Albert Ostermaier über den Ukrainekrieg, die Kraft der Worte und seinen neuen Gedichtband "Teer".
Volker Isfort
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Der Münchner Schriftsteller Albert Ostermaier.
Der Münchner Schriftsteller Albert Ostermaier. © Foto: Kunstverlust eV SV

In seinem neuen Gedichtband "Teer" vereint der Münchner Dichter und Dramatiker Albert Ostermaier Lyrik aus den vergangenen fünf Jahren.

Thematisch ist die Bandbreite riesengroß, von Liebeslyrik über Oden an von ihm verehrte Dichter bis hin zum Pandemiegedicht, in dem Shakespeares Julia nicht mehr auf der (geschlossenen) Bühne, sondern an der Supermarktkasse leidet. Wie gut, dass auch die Zuversicht Ihren Platz in "Teer" bekommt.

AZ: Herr Ostermaier, angenommen Sie wären unser erster deutscher Parlamentsdichter. Wäre es dann sinnvoll, jetzt ein Gedicht über den Frieden zu schreiben?
ALBERT OSTERMAIER: Das ist immer sinnvoll. Das Besondere an der Lyrik ist, dass sie immer die Chance hat, komplex zu sein, Gegensätze denken und nebeneinander stehenlassen kann. Natürlich ist Lyrik auf der einen Seite die ohnmächtigste Form, aber sie hat doch die Macht des Wortes. Es können Zeilen hängenbleiben, die zu Slogans werden, zu Liedern, die Menschen beeinflussen.

Die Grenzen kultureller Symbolpolitik

Wir sehen mit der Ukraineflagge angestrahlte Theater, Spontanlesungen mit ukrainischen Gästen. Das ist alles richtig, zeigt aber auch die Grenzen kultureller Symbolpolitik.
Das heißt aber nicht, dass Kultur nicht politisch wirkungsmächtig sein kann. Wir sind allerdings häufig im Nachschlag, zu retrospektiv, wir reagieren statt zu agieren. Aber es gibt viele Theater, die eine hohe politische Sensibilität aufweisen. Kirill Serebrennikows Inszenierung von Schostakowitschs Oper "Die Nase" an der Bayerischen Staatsoper war eine exemplarische und phänomenale Arbeit. Man hat hier genau Putins autoritäres System gesehen, in seiner absurden und brutalen Logik. Theater können sehr wohl zeigen, wie solche Diktatorenhirne funktionieren. Ein Abend mit Tschechow ist auf jeden Fall informativer als ein Abend mit Anne Will.

Wir haben gerade in München einen sehr regen kulturellen Austausch mit Russland. Damit könnte es nun sehr schnell vorbei sein.
Man darf nie vergessen, dass in Russland Künstlerinnen und Künstler unter dem Einsatz ihres Lebens gegen das Regime demonstrieren oder gegen das Regime anschreiben. Die müssen wir auch weiter dringend unterstützen. Die verdienen meine höchste Bewunderung und nicht die russischen Staatskünstler, die nur Glanz und Gloria für das System verbreiten wollen und zu Gast auf Putins Geburtstagen sind.

In Ihrem Gedichtband "Teer" ist noch Corona die größte greifbare Katastrophe - und die Auswirkung der Epidemie auf die Kultur.
Ich war am Anfang skeptisch, ob ich die wenigen Gedichte, in denen Corona thematisiert wird, mit in den Band aufnehmen sollte. Aber ich finde es auch spannend zu sehen, ob diese Gedichte auch eine Bedeutung haben jenseits der unmittelbaren Zeitgenossenschaft. Es geht ja auch um die Bedrohung der Kultur. Das ist nicht vorbei, weil wieder ein paar Menschen mehr ins Theater dürfen. Das wäre ja sonst so, als wenn wir im Frühling glauben würden, dass es nie wieder einen Winter gibt.

Alexander Kluge am Frühstücksbuffet

In einem Gedicht, das in Schloss Elmau spielt, begegnen wir Jürgen Habermas im Solebad, er "schwimmt ein paar Züge Bundesrepublik".
Es ist eine Eloge auf die Denker der alten, verwehenden Bundesrepublik. Ich treffe auch Alexander Kluge am Frühstücksbuffet, und Enzensberger taucht zumindest indirekt auf. Das waren unsere Autoritäten im Denken, Dichten und Träumen. Als ich Habermas in Elmau im Becken erblickte, hat mich, ich kann das gar nicht anders sagen, eine gewisse Wehmut erfasst, deswegen habe ich daraus ein Gedicht gemacht.

Ihr Gedicht "seven palms" thematisiert Thomas Mann. Ist das auch einer Ihrer Säulenheiligen, neben Hölderlin, Büchner, Auden, die in "Teer" alle ihren Auftritt haben?
Ich habe ein ambivalentes Verhältnis zu ihm. Aber er ist schon allein deswegen ein Säulenheiliger, weil ich in der Schulzeit auf den "Zauberberg" gestoßen bin. Das war wie eine Explosion in meinem Kopf. Vor allem die Duelle zwischen Settembrini und Naphta. Settembrini war für mich in seinem ganzen Idealismus sehr prägend.

Der Schumann's-Gänger Ostermaier schreibt in "Teer" eine Ode an die Ruhrpott-Trinkbude. Wie kam es denn dazu?
Ich habe zusammen mit Thorleifur Arnarsson ein Stück für die letzten Ruhrfestspiele gemacht. "Die verlorene Oper" handelt davon, dass unmittelbar vor der "Dreigroschenoper" Brecht und Weill ein großes Ruhrgebietsepos machen wollten. Das ist verschollen, es gibt nur ein paar Skizzen. Die archäologische Suche nach den Spuren dieser verschollenen Oper, war für mich eine wunderbare Gelegenheit, sich wieder mit dem Ruhrgebiet auseinanderzusetzen. Das hat mich immer total fasziniert, ich hatte dort auch viele Premieren und Aufführungen. Und da kommt man an einem Gedicht über die Trinkbude natürlich nicht vorbei.

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Es gibt noch weitere Ruhrgebietsgedichte in Ihrem Band, die eine Romantik beschwören, die es eigentlich gar nicht mehr gibt.
Es gibt natürlich ein Ruhrgebiet, das sich längst von diesem Klischee entkoppelt hat. Aber man spürt doch, dass es eine gewisse Wahrhaftigkeit gibt, einen Freundschaftsbegriff und eine Solidarität, die noch aus dem Bergbau kommen. Die Zechen sind nicht mehr da, aber diese Werte werden auch weiterhin beschworen.

Ihr Band schließt mit einem Epilog auf Ihren langjährigen Lektor Raimund Fellinger, der 2020 starb. Wie wichtig war er für Sie?
Er war für mich ganz existenziell. Das Verhältnis zwischen Autor und Lektor ist ein unheimlich intimes, weil es der geschützte Raum ist, in dem alles gesagt werden kann, in dem man heftig kritisiert oder infrage gestellt werden kann, ganz ohne Öffentlichkeit. Ich habe mit Raimund fast täglich telefoniert, er war einer der engsten Menschen in meinem Leben. Ich habe ihn ja als junger Mensch kennengelernt und er war damals schon eine Legende, der Lektor von Thomas Bernhard! Immer, wenn ich diese Gebirgslandschaften seines Büros betreten habe, wo sich die Bücher und Manuskripte meterhoch stapelten, hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil er eigentlich keine Zeit haben konnte. Die hat er sich aber immer genommen. Er fehlt mir wirklich.


Albert Ostermaier stellt seinen Gedichtband "Teer" (Suhrkamp, 122 Seiten, 18 Euro) am 3. März um 19 Uhr im Lyrik-Kabinett vor (Amalienstraße 83, Anmeldung unter info@lyrik-kabinett.de.); weiterer Termin: am 13. April gemeinsam mit DJ Hell im Residenztheater

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