Andreas Schessl über die neue Isarphilharmonie: "Das wird ein Magnet"

München - Die Münchner Konzertsaison beginnt traditionell eine Woche nach dem Oktoberfest - wenn die Erkältungen auskuriert sind. Heuer gibt's zwar keine Wiesn, dafür aber den Umzug der Philharmonie vom Gasteig nach Sendling. Die Münchner Philharmoniker eröffnen die Isarphilharmonie am 8. Oktober, wenige Tage später veranstaltet Andreas Schessl dort seine ersten Konzerte: Valery Gergiev dirigiert am 16. und 17. Oktober das Mariinsky Orchester St. Petersburg, Solist ist Daniil Trifonov.
AZ: Herr Schessl, mit welchen Gefühlen blicken Sie auf den Herbst?
ANDREAS SCHESSL: Ich bin moderat optimistisch. Die Impfungen kommen voran, bald wird es Medikamente geben. Wir veranstalten auch in Wien und Luzern: Dort ist das Konzertleben wieder offen, mit Vollbelegung der Säle und ohne Maske am Platz.

Wirtschaftlichkeitshilfe soll Verluste im Falle schlechter Einnahmen verhindern
Und wenn es bei uns weiter Beschränkungen gibt?
Aktuell planen wir mit einer Vollbelegung der Säle. Sollte jedoch beispielsweise das Publikum im Herbst nur im Schachbrettmuster sitzen dürfen, gäbe es die Möglichkeit, die Wirtschaftlichkeitshilfe in Anspruch zu nehmen. Diese ist zwar ein bürokratisches Monster, aber sie würde uns die Chance eröffnen, ohne größere Verluste davonzukommen.

Offenbar gibt es zwar Notbremsen, aber keine Strategie für den Ausstieg aus der Pandemie.
Hier wird an verschiedenen Stellen mit zweierlei Maß gemessen: zum einen ganz generell zwischen Kultur und Sport, zum anderen innerhalb der Kultur zwischen staatlich finanzierten und privatwirtschaftlich organisierten Institutionen. Wenn der Staat etwas unbedingt möchte, ermöglicht er trotz vorherrschender Verbote in großen Sälen oder auf öffentlichen Plätzen neue Pilotprojekte. Ich finde das grundsätzlich gut, würde dies jedoch als privater Veranstalter auch gerne dürfen.
Novemberhilfe kam nicht vollständig an
Was bedeuten die Logos der Initiative Neustart Kultur, der Kulturstaatsministerin und der Initiative Musik in Ihren Prospekten?
Wir binden diese Logos in unseren Veröffentlichungen ein, da wir projektweise staatliche Unterstützung erhalten. Leider sind diese Programme zum Teil unglücklich gestaltet, so dass bei uns beispielsweise von der Novemberhilfe statt 75 Prozent nur 15 Prozent ankamen, was mit EU-Deckelungen zusammenhängt. Ich bin dennoch froh über diese Programme, in anderen Staaten gibt es schließlich keine entsprechenden Hilfen.
Gab es bei Ihnen Kurzarbeit?
Ja. Ein Teil des Teams hat, wenn auch reduziert, durchgehend gearbeitet. Mittlerweile sind nahezu alle Mitarbeiter wieder beschäftigt.
Andreas Schessl über die neue Isarphilharmonie
Was erwarten Sie sich von der neuen Isarphilharmonie?
Ich habe das Gefühl, dass dieser Saal akustisch sehr gut wird. Es ist ein kompakter Raum, das Publikum ist nah am Geschehen. Die Musik wird auf das Zwerchfell wirken. Die Isarphilharmonie wird zum momentanen Zeitpunkt wahrscheinlich über die beste Akustik Münchens verfügen.

Gibt es auch Schattenseiten?
Der Saal hat etwa 550 Plätze weniger als die Philharmonie im Gasteig. Das ist bei der Projektkalkulation ein wirtschaftliches Problem. Viele Konzertbesucher werden nach der Pandemie den Weg in die Konzerte erst wieder finden müssen. Daher hätte ich mir gewünscht, es wäre für den Umzug mehr Zeit eingeplant worden, zumal der Gasteig vorerst bis 2024 leerstehen wird. Voraussichtlich sind Planung und Finanzierung der Generalsanierung erst dann abgeschlossen. Trotzdem glaube ich: Die Isarphilharmonie wird ein Magnet.
Schlechte Verkehrsanbindung zur Philharmonie?
Viele Leute sind skeptisch wegen der Verkehrsanbindung.
Das ist ein sehr spezielles Münchner Problem: Wir sind verwöhnt von der Lage des Gasteigs an der S-Bahn-Stammstrecke. Zum Vergleich: In Hamburg geht man gut zehn Minuten von der U-Bahn bis zum Eingang der Elbphilharmonie. In München sind es von der U-Bahnstation Brudermühlstraße sechs Minuten bis zum Saal, zudem hält ein Bus direkt vor dem Haus. Anstatt über die Anbindung zu diskutieren, würde ich lieber loben, dass sich die Stadt München für viel Geld eine von Yasuhisa Toyota akustisch gestaltete Isarphilharmonie leistet.
Was bringen Sie in den neuen Saal?
Die ersten Konzerte sind Teil des Eröffnungsprogramms, das in Zusammenarbeit mit den Münchner Philharmonikern stattfindet. Im Dezember kommen die Wiener Philharmoniker mit Rudolf Buchbinder, im Januar leitet dann Daniel Barenboim einen Schumann-Zyklus mit der Staatskapelle Berlin. Eines der ersten Konzerte wird ein Kammermusikabend mit Sol Gabetta und Patricia Kopatchinskaja sein.
Es mangelt an Kommunikation
Wenn die Isarphilharmonie ein Erfolg wird, stellt sich die Frage, wieso der Staat einen eigenen Saal im Werksviertel bauen will.
Bei einem rechtzeitigen Bau im Werksviertel hätte man sich die Isarphilharmonie sparen können. Aber leider wetteifern Stadt und Freistaat miteinander, und an der Kommunikation mangelt es auch. Ich finde, beide Seiten sollten gemeinsam ein Gesamtkonzept für die Münchner Konzertsäle entwickeln. Ich sehe nicht, wie zwei Säle mit einer fast identischen Kapazität von 1900 Plätzen neben dem verbesserten Gasteig mit dann 2200 Plätzen funktionieren sollten. Jeder der Säle braucht einen "Unique Selling Point", ein Alleinstellungsmerkmal.
Das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks könnte ja in die Isarphilharmonie ziehen.
Rein objektiv betrachtet glaube ich, dass es in Sendling zu wenige Nebenräume für die geplanten Aktivitäten dieses Orchesters gibt.
Fehlt nicht vor allem ein Raum für Popmusik unterhalb der Größe der Olympiahalle?
Ich sehe den Bedarf für einen Saal mit einer Kapazität von 3000 bis 5000 Plätzen. Ich höre immer wieder aus der Branche, dass viele Projekte aus diesem Grund nicht nach München kommen. Die bestehenden Arenen haben den Nachteil, dass sie für jedes Konzert mit teils sehr spezieller Technik neu ausgerüstet werden müssen. Das ist teuer und mit Kompromissen behaftet. Die Debatte über die Zukunft der Paketposthalle finde ich in dieser Hinsicht interessant.
Der ökologische Aspekt muss bedacht werden
Die Staatskapelle Berlin kommt nicht nur für ein einzelnes Konzert nach München, sondern für zwei Abende. Auch von anderen Orchestern höre ich, dass sie Reisen mit Nachhaltigkeit und längeren Aufenthalten verbinden wollen.
Das ist durchaus ein wichtiges Thema. Es ist nicht zeitgemäß, ein Orchester für lediglich ein Konzert aus den USA einzufliegen. Da setzt ein Umdenken ein. Ich finde den internationalen Austausch künstlerisch sehr wichtig. Das hiesige Publikum soll die spezifische Orchesterkultur aus New York, Boston oder Los Angeles im Rahmen von sinnvoll aufeinander abgestimmten Tourneeprojekten hier hören und erleben können. Aber es muss nicht jedes Orchester aus der Provinz aus Prestigegründen internationale Gastspiele geben. Nur: Wer soll darüber bestimmen? Aber ja: Der ökologische Aspekt wird mittlerweile überall mitbedacht.
Infos und Tickets zur neuen Saison von Münchenmusik unter www.muenchenmusik.de