Wildpoldsried im Allgäu: Ein Dorf versorgt sich nur mit Erneuerbaren Energien

Wildpoldsried im Allgäu produziert achtmal so viel Strom, wie es verbraucht. Wie das funktioniert und warum so viele mitmachen.
Heidi Geyer |
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Windräder undPhotovoltaik gehören zum Ortsbild.
Windräder undPhotovoltaik gehören zum Ortsbild. © dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Wildpoldsried - Auf den ersten Blick ist Wildpoldsried ein Dorf wie jedes andere im Allgäu. Wenn da nicht die Windräder wären. Und der Trubel im Rathaus: Ein Filmteam vom WDR ist schon dort, als die AZ zu Besuch ist. Dann klingelt das Telefon im Vorzimmer der Bürgermeisterin, ein Radiosender ist dran.

Neben den Medien pilgern zahlreiche Kommunalpolitiker und Interessensvertretungen in das 2.600-Seelen-Dorf zwischen Kempten und Marktoberdorf. Das kommt nicht von ungefähr: Denn Wildpoldsried ist Vorreiter beim Thema Erneuerbare Energien in Bayern.

Der Stein wurde bereits in den 90er Jahren ins Rollen gebracht

Den Stein ins Rollen gebracht hat in den 1990er Jahren der frühere Bürgermeister Arno Zengerle (CSU). Im Gemeinderat war man sich nach einer Klausur einig, dass man in Sachen Erneuerbare Energien etwas tun sollte, eine Umfrage zeigte, was die Bürger wünschten.

Beteiligen konnten sich die Bürger aber auch finanziell - nämlich bei der Investition in Windräder. "Dann hat sich gezeigt, dass es funktioniert", sagt Susi Zengerle, die das Koordinationsbüro im Energiedorf leitet und mit Arno Zengerle verheiratet ist.

Schon beim zweiten Windrad seien es so viele Interessenten gewesen, dass gar nicht alle teilnehmen konnten. Heute seien es 800 Beteiligungen, dahinter stehen Zengerle zufolge rund 400 Wildpoldsrieder.

Paradox: In Wildpoldsried profitieren viele von den hohen Energiepreisen

Doch nicht nur das. Über die Nahwärme werden viele Haushalte, aber auch das Rathaus, die Seniorenwohnanlage und Gewerbebetriebe beheizt. Nachdem auf dem Rathausdach Photovoltaik installiert wurde, zogen wieder viele Wildpoldsrieder bei einer Sammelaktion mit. "Das hat für Vertrauen gesorgt, weil die Bürger gedacht haben: Die machen das auch."

Fährt man heute durch den Ort, sieht man auffällig viele Photovoltaikanlagen auf Dächern. Bei den Zengerles daheim ist das ebenfalls so. Sie haben eine Luftwärmepumpe, produzieren auf ihrem Dach und an der Balkonbrüstung Strom und brauchen weder Öl noch Gas. Biogas ist ein weiterer Baustein im Wildpoldsrieder Energiemix, der unabhängig von Sonne und Wind funktioniert.

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Während viele Menschen in Deutschland unter der Energiekrise leiden, ist die Situation in dem kleinen Dorf im Allgäu paradox: Viele profitieren dort sogar von den derzeit hohen Preisen am Strommarkt. Denn wer den eigenen Strom vom Dach nicht selbst nutzt, sondern ins Netz einspeist, kriegt derzeit umso mehr Geld. Zwar gilt für die ersten 20 Jahre nach Installation ein einheitlicher Vergütungspreis. Danach gelten jedoch Marktpreise.

Bis ins Jahr 2023 ist Wildpoldsried ausgebucht für Besuchergruppen

"Es rechnet sich halt." Und das nicht erst seit der Krise. Für Renate Deniffel, Bürgermeisterin seit 2020, liegt darin der Schlüssel für den Erfolg in Wildpoldsried. "Es ging nicht um Ideologie. Wir Schwarzen sind die echten Grünen", sagt Deniffel und lacht. Das Vertrauen der Bürger sei längst gegeben, weil es funktioniere und für die, die beteiligt sind, ein tolles Business-Modell sei.

Renate Deniffel.
Renate Deniffel. © Geyer

Bis ins Jahr 2023 ist Wildpoldsried ausgebucht für Besuchergruppen. Viele Kommunalunternehmen und Gemeinderäte wollen erfahren, was hinter dem Erfolg steckt. Was Deniffel anderen Bürgermeistern raten würde? "Erst einmal eine Gemeinderatsklausur, um einen gemeinsamen politischen Willen zu definieren. Wenn der steht, dann kommt man voran."

Und dann die Bürger baldmöglichst zu befragen und beteiligen. "Wir leben diese Kultur ja schon länger und haben auch die Vorteile des kleinen Dorfes mit kurzen Wegen", räumt Deniffel ein. Es ist ihr anzumerken, wie stolz sie auf ihr Energiedorf ist. Aber so, wie sie es schildert, klingt es durchaus machbar.

Die Wildpoldsrieder ruhen sich nicht auf ihren Lorbeeren aus. Man muss Renate Deniffel oder Susi Zengerle nur ein Stichwort geben, schon berichten sie von Kooperationen und Modellprojekten, egal ob es um Mieterstrom oder Speichermöglichkeiten geht. Zur Wissenschaft sucht man in Wildpoldsried engen Kontakt. Außerdem will die Gemeinde Energie sparen. Das sei immer noch sinnvoll, auch wenn in dem Dorf Energie in Hülle und Fülle produziert wird.

Nicht alle in Wildpoldsried sind zufrieden

Aktuell leiden viele Privathaushalte und auch das gemeindeeigene Nahwärmenetz unter der der Kostensteigerung bei Holzpellets, berichtet Susi Zengerle. "Wir mussten auch ankündigen, dass sich der Wärmepreis verdoppelt." Wobei man immer noch sehr günstig sei im Vergleich zu anderen Energieformen.

Doch nicht alle Wildpoldsrieder sind zufrieden. Peter Maier, Wirt vom Gasthof Hirsch, versteht nicht, warum er die hohen Strompreise auf dem Markt zahlen muss, wenn die Gemeinde doch achtmal so viel produziert, wie sie selbst verbraucht. Nur hat die Gemeinde eben kein eigenes Stromnetz. Ihm macht die Situation große Sorgen. Schon jetzt werden eh alle Produkte im Einkauf teuer, Corona habe Spuren hinterlassen. "Wenn sich der Strompreis wirklich verdreifacht, muss ich zusperren", sagt der Wirt. Immerhin sei er an die Nahwärme angeschlossen.

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Hartnäckige Anhänger von fossilen Brennstoffen finden sich auch im Modelldorf. 18 Jahre wohnt Irene Huber schon in Wildpoldsried. Sie und ihr Mann heizen mit Holz und Strom in Form von Nachtspeicheröfen. "Wir kommen auch so gut zurecht", sagt Irene Huber. Sie setzt auf Gas und Öl. Dass die Preise so hoch sind, daran sei die deutsche Regierung mit ihren Sanktionen selbst schuld, findet sie.

Und dass das in Wildpoldsried funktioniere mit den Erneuerbaren Energien, das möge schon sein. "Aber für den Industriestandort Deutschland ist das halt keine Option."

Beim nächsten Windrad dürfte mehr diskutiert werden

Renate Deniffel nimmt keine expliziten Gegner des Wildpoldsrieder Weges wahr. Aber sie rechnet schon damit, dass beim nächsten Windrad mehr diskutiert werde, das sei schließlich noch mal 50 Meter höher. "Aber es bringt eben auch dreimal so viel Strom."

Warum die CSU dennoch so lange auf der 10H-Regel beharrt habe, die nachweislich Windkraftanlagen in Bayern verhindert hat, weiß auch Deniffel nicht. Sie und ihre Wildpoldsrieder Kollegen würden sich in den Parteiarbeitskreisen intensiv einbringen. "Leider ist das Bewusstsein unterschiedlich", gibt sie sich diplomatisch.

Die Bürgermeisterin zeigt stolz Einträge im Goldenen Buch. Auf die Frage hin, ob ihr Parteivorsitzender und Ministerpräsident Markus Söder schon mal dagewesen sein, blättert sie lange. Ohne einen Eintrag zu finden.

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  • Der wahre tscharlie am 29.10.2022 16:30 Uhr / Bewertung:

    Eigentlich haben die Wildpoldsrieder alles richtig gemacht.
    Die Bürger mit eingebunden und beteiligt. Nur so kann es anscheinend funktionieren. Das ist aber etwas, dass nur bei kleinen Dörfern funktioniert. Sich da autark machen, ist viel einfacher.

    Was aber auch zeigt, dass die Windkraft akzeptiert ist. Im Gegensatz zur Staatsregierung. Obwohl sie ja inzwischen ein klein bissl nachgegeben hat, was die 10H Regel betrifft. Aber ich denke mal, das ist eher der Landtagswahl geschuldet.

    Trotzalledem gehören solche Projekte wie in Wildpoldsried unterstützt.

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