Wie glaubwürdig ist der "grüne" Söder?

Das Wahlvolk glaubt Markus Söders grüner Erleuchtung noch nicht so ganz. Überfordert der Öko-CSUler derzeit seine eigene Partei? Eine AZ-Analyse.
München - Der Lieblingskollege des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) ist – so scheint es – ein Grüner: Das Treffen mit dem baden-württembergischen Amtskollegen Winfried Kretschmann (Grüne) am Bodensee vor einigen Tagen habe "Ansätze von Stalking", lästerte der Vorsitzende der Grünen im Bayerischen Landtag, Ludwig Hartmann. Söder hat sich seit Längerem angewöhnt, möglichst über niemanden mehr schlecht zu sprechen – schon gar nicht über den "Südschienen"-Kollegen.
Das "grüne Gipfeltreffen" (so ein Journalist) vom Bodensee unterstrich einmal mehr den atemberaubenden Kurswechsel, den Söder als Ministerpräsident wie CSU-Chef in der Umwelt-, Klima- und Artenschutzpolitik vornimmt. Erster großer Schachzug war, sich an die Spitze der Artenschutzbewegung "Rettet die Bienen" zu setzen. Es folgten viele Maßnahmen: vom Bäumepflanzen bis zum Kampf gegen Plastiktüten. Den Klimaschutz will Söder in die Verfassung aufnehmen, in die bayerische wie in die deutsche.
Überfordert der "grüne" Söder die CSU?
Schon sorgen sich Mitstreiter, dass Söder, der im Fasching schon mal als Shrek auftrat, seine Partei mit dem grünen Kurs überfordern und einen Richtungsstreit auslösen könnte. "Natürlich gibt es den einen oder anderen, der das kritisch hinterfragt", räumt Söder ein: "Aber ich glaube, dass ein Großteil unserer Leute mitgeht."
Es ist das Problem Söders, dass die meisten den grünen Kurs nicht auf höhere Einsicht, sondern auf die Ergebnisse der Landtagswahl und die folgenden Umfragen zurückführen. Mit 17,6 Prozent wurden die Grünen bei der Landtagswahl im Oktober zweitstärkste Kraft im Freistaat während die CSU auf 37,2 Prozent abrutschte. Besonders unter Jungwählern und in den Städten verbuchten die Grünen enorme Zuwächse. In den Großstädten gingen der CSU etliche Direktmandate an die Grünen verloren.
Die Zukunft der Volkspartei CSU hänge von dem Zukunftsthema Umwelt-, Klima- und Artenschutz ab, erklärt der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter. "Es mobilisiert eine ungeahnt einsatzfreudige und ungeduldige Jugendbewegung; es besitzt hohe Resonanz auch bei den Erwachsenen." Das Artenschutz-Volksbegehren "Rettet die Bienen" habe der CSU buchstäblich "einen Bienenstich versetzt" und sie so noch einmal mit aller Macht auf gesellschaftliche Veränderungen und starke Wählerwanderungen zu den Grünen hingewiesen.
Grünen-Kurs der CSU - Wähler bleiben skeptisch
Doch erst einmal bleiben die Wähler skeptisch. Söder selbst erntete bei einer Umfrage von "Sat.1 Bayern" vor einigen Tagen zwar hohe Zustimmungswerte, aber 51 Prozent nahmen ihm und der CSU nicht ab, dass es ihnen mit der forcierten Klima- und Umweltpolitik ernst ist. Und auch der CSU kommt der grüne Kurs bislang nicht zugute. Die Meinungsforscher ermittelten für sie Zustimmungswerte in der Nähe des Landtagswahlergebnisses, für die Grünen aber einen neuerlichen Zuwachs um über vier Prozentpunkte.
Zu denen, die Söder bislang nicht von seiner aufrechten ökologischen Gesinnung überzeugt hat, zählt der Chef des mit 230 .000 Mitgliedern größten bayerischen Umweltverbands: Bund-Naturschutz-Vorsitzender Richard Mergner. Erst wenn es "wirklich substanzielle Änderungen in der Politik" gebe, die vom Ministerpräsidenten veranlasst werden, werde er überzeugt sein, "dass sich etwas ändert", so Mergner.
Tatsächlich sind Söder bislang solche Umwelt-Maßnahmen am liebsten, mit denen er keinen Ärger mit wichtigen Wählergruppen oder Wirtschaft bekommt, sagt Politikwissenschaftler Oberreuter. Glaubwürdig und professionell sei der grüne Kurs Söders nämlich nur, wenn eine Balance von Ökonomie und Ökologie angestrebt werde. Das könnte die Grünen auf Distanz halten: "Aber nur grün – das können die Grünen wirklich am besten".