Vor der Ausreise: Flüchtlinge im Abschiebe-Heim

In einer ehemaligen Kaserne in Oberbayern leben Asylbewerber vom Westbalkan, die kaum Chancen auf Anerkennung haben und abgeschoben werden sollen. Ein AZ-Besuch an einem seltsamen Ort.
von  Natalie Kettinger
So sieht Tristesse aus: Die Bewohner der Einrichtung haben Wäsche zum Trocknen über einen Zaun gehängt. Draußen führt eine Landstraße vorbei.
So sieht Tristesse aus: Die Bewohner der Einrichtung haben Wäsche zum Trocknen über einen Zaun gehängt. Draußen führt eine Landstraße vorbei. © nk

Manching - Dzevad B. schiebt das Tischtuch vor dem Fenster zurück und sieht in den Nebel, der die ehemalige Max-Immelmann-Kaserne in Manching noch trister erscheinen lässt. „Ich bin 54 Jahre alt. Ich habe einen Schulabschluss und ein Diplom. Aber ich habe in meinem Leben noch keinen Tag legal gearbeitet“, sagt der Familienvater aus Montenegro. „In meinem Land gibt es keine Jobs. Die Fabriken sind geschlossen, die Wirtschaft liegt am Boden.“

Der Montenegriner gehört zu den rund 625 Menschen, die an den aktuell zwei oberbayerischen Standorten (Manching und Ingolstadt) der deutschlandweit ersten „Ankunfts- und Rückführungseinrichtung“ untergebracht sind: einer Sammelunterkunft für Asylbewerber, deren Antrag keine Erfolgsaussichten hat, weil sie aus einem der sechs „sicheren Herkunftsländer“ vom Westbalkan stammen – und Armut kein Asylgrund ist.

Lange Jahre habe er von monatlich 130 Euro Sozialhilfe gelebt, sagt Dzevad B., davon seien 100 Euro Miete abgegangen. Als die Unterstützung gestrichen wurde, ging er mit seiner Frau, dem Sohn (15) und den beiden Töchtern (17, 18) nach Deutschland: „Ich will arbeiten und meine Kinder auf eine ordentliche Schule schicken.“

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Vor fünf Monaten sei er in der Münchner Bayernkaserne angekommen. Seit vier Monaten wartet die Familie in Manching auf eine Entscheidung.

Diese sollen nun schneller fallen – mit Hilfe der neuen Einrichtung, die seit 1. September in Betrieb ist. Denn auf dem Gelände leben nicht nur die Asylbewerber, es gibt auch Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und der Zentralen Ausländerbehörde.

Das Münchner Verwaltungsgericht ist – für den Fall, dass ein Betroffener gegen einen negativen Bescheid klagt – mit einer Antragsstelle vertreten.

Durch diese Konstellation habe man die Möglichkeit, die Frist zwischen Antragsstellung und Entscheidung auf zwei bis fünf Tage zu verkürzen, so Heribert Binter vom BAMF.

Trotzdem bleiben die Menschen in der Regel länger: Weil sie Einspruch gegen die Ablehnung einlegen und auf die juristische Entscheidung warten. Oder weil sie die Internationale Organisation für Migration um Hilfe bei der Rückkehr gebeten haben. Die IOM übernimmt die Reisekosten der Asylbewerber. Außerdem zahlt sie den Migranten eine Starthilfe – so weit diese nicht aus dem Kosovo oder einem anderen visumfreien Westbalkan-Staat stammen. Es dauert, bis alle Anträge bewilligt sind.

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Die bisherige Bilanz: „Seit 1. September sind 90 Personen von hier aus in die Abschiebung gegangen“, sagt Maria Els, Vizepräsidentin der Regierung von Oberbayern. „Circa 220 Personen wollen freiwillig in ihre Heimat zurückreisen.“

Die Zahl derjenigen, die einfach abgetaucht sind und sich nun illegal in Deutschland aufhalten, bewege sich „im niedrigen zweistelligen Bereich“, heißt es von offizieller Seite.

Die Ingolstädter Einrichtung soll in den nächsten Monaten um zwei auf insgesamt vier Standorte erweitert und die Gesamtkapazität auf 1900 Betten erweitert werden. Mitte September hat im fränkischen Bamberg eine weitere Sammelunterkunft für Menschen vom Westbalkan eröffnet, die einmal 1500 Bewohnern Platz bieten soll.

Allerdings: Die Zahl der Asylantrag-Steller aus Albanien, Kosovo, Mazedonien, Montenegro, Bosnien und Serbien geht stark zurück. Bundesweit sank ihr Anteil von 38,2 Prozent im August auf 27,2 Prozent im September. „In München verzeichnen wir kaum noch Zugänge aus dem Kosovo und Albanien“, sagt Maria Els. Halte diese Tendenz an, sei mit den beteiligten Stellen abgesprochen, dass die Ingolstädter Einrichtung als „normale“ Aufnahmeeinrichtung weitergeführt werde – etwa um syrische Familien einzuquartieren.

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Mitarbeiter von Flüchtlingsorganisationen und Sozialverbänden kritisieren die Abläufe in Manching. „Die Entscheidung zur Rückreise fällt oft nicht aus purer Freiwilligkeit“, sagt Alexander Thal vom Bayerischen Flüchtlingsrat.

„Wer abgelehnt wird, erhält ein bis zu dreijähriges Einreise- und Aufenthaltsverbot und verliert damit die Möglichkeit, zum Arbeiten oder für einen Verwandtenbesuch in den Schengenraum zurückzukehren.“ Wer seinen Asylantrag allerdings zurückzieht und freiwillig ausreist, bleibt von dieser Maßnahme verschont. „Da wird ein riesiger Druck aufgebaut“, sagt Thal. „Das ist schlicht Erpressung.“

Bei der Caritas, die für die Asylsozialberatung in Manching zuständig ist, stört man sich vor allem an „dem Motto: schnell, schnell“. Man befürchte, dass die einzelnen Anträge dadurch nicht gründlich genug geprüft werden, sagt Fachdienstleiterin Gabriele Störkle. „Wir kennen aus der Beratung humanitär dramatische Schicksale – und diese Menschen werden trotzdem abgelehnt. Da haben wir Bedenken.“

Die beschleunigte Bearbeitung der Anträge bedeute nicht, „dass das rechtsstaatliche Verfahren in irgendeiner Form beschnitten wird“, sagt hingegen Regierungsvizepräsidentin Maria Els.

Fakt ist aber auch: Von 500 Asylanträgen, die von den BAMF-Mitarbeitern auf dem Kasernengelände bearbeitet wurden, ist kein einziger bewilligt worden.

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