Vor 100 Jahren: Die unblutige Revolution - als Bayern ein Freistaat wurde
München - In der Nacht, in der Bayern vom Königreich zum Freistaat wurde, ist kein Tropfen Blut vergossen worden. Historiker haben diesen wichtigen Punkt der revolutionären Ereignisse vom 8. November 1918 häufig betont. Denn Revolutionen wohnt ja für gewöhnlich ein gewisses Gewaltpotential inne. Das entlud sich in Bayern einige Monate später in den Gewaltexzessen und Unruhen des Jahres 1919. Doch als Kurt Eisner den Freistaat Bayern ausrief und die lange Herrschaft der Wittelsbacher beendete, blieb es friedlich.
Schätzungsweise 60.000 Menschen hatten sich am 7. November zu einer Friedensdemonstration in München versammelt. Die Spannungen zwischen der gemäßigteren SPD und der radikaleren USPD, der Eisner angehörte, waren unübersehbar. "Eisner war entschlossen, zu handeln", obwohl die Mehrheits-SPD die Demonstration friedlich verlassen habe, sagt Ferdinand Kramer, Inhaber des Lehrstuhls für Bayerische Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Eisner und seine Anhänger zogen weiter zu den Kasernen. Zahlreiche Soldaten schlossen sich den revolutionären Plänen Eisners an. Sie waren kriegsmüde, die Monarchie hatte nach Jahren des zehrenden Kriegs ihre Autorität verspielt.
Nach Mitternacht war es dann soweit: Eisner rief den Freistaat Bayern aus. Bereits am Abend hatte der letzte Wittelsbacher König Ludwig III. mit seiner Familie München verlassen und Zuflucht am Chiemsee gesucht. Ludwig entband die Beamten von ihrem Eid, was ebenfalls dazu beitrug, eine blutige Eskalation der Lage zu vermeiden.
Warum ist Kurt Eisner heute so unpopulär?
Überhaupt - die Wittelsbacher. Wer an Bayerns Geschichte denkt, denkt an sie. An die Märchenschlösser und vor allem an das traurige, fast mystische Schicksal von Ludwig II. "Schauplätze in der Landeshauptstadt wie der Odeons- oder Königplatz, die Tradition der großen Museen, die Ludwig-, Maximilians- oder Prinzregentenstraße sind geprägt von der monarchischen Epoche", betont Kramer.
Ein gewisser Kurt Eisner dagegen hat sich kaum ins kollektive Gedächtnis Bayerns eingebrannt. Das Bild von ihm sei früher sehr verzerrt gewesen, da er oft mit Rauschebart und Nickelbrille als typischer Revolutionär dargestellt worden sei, sagt der Historiker. Dabei habe er eine vergleichsweise bürgerliche Existenz geführt. Als Journalist habe er auch historische Abhandlungen geschrieben. Als Redakteur der Parteizeitung "Vorwärts" habe er sich mit kulturellen und politischen Fragen beschäftigt. Wie viele Sozialdemokraten habe er zu Beginn des Ersten Weltkriegs die Kriegskredite unterstützt. "Im Laufe des Krieges ist er aber zu anderen Überzeugungen gelangt. Als die Lage sich 1917/18 zuspitzte, war er handlungsentschlossen."
Der jüdische Anwalt Philipp Loewenfeld, der auf Wunsch Eisners an der ersten bayerischen demokratischen Verfassung mitarbeitete, urteilte in seinen Erinnerungen: "Kurt Eisner war persönlich eine von Grund aus saubere Natur. Er hatte den festen Glauben, dass der Mensch an sich gut sei und dass durch richtige Gestaltung der äußeren Umstände das Gute in ihm geweckt und erhalten werden könne."
Es sei ambivalent zu beurteilen, welche Rolle der Eisner-Revolution in der Geschichte Bayerns zukommt, betont Ferdinand Kramer. Schließlich habe die Revolution bereits beschlossene Pläne zur Parlamentarisierung Bayerns zunächst noch einmal verzögert. Es habe sich erstmal eine revolutionäre Regierung ohne Legitimation durch Wahlen und Parlament gebildet. Die Mehrheits-SPD habe schließlich Landtagswahlen durchgesetzt. Besonders Erhard Auer habe auf die Parlamentarisierung und Demokratisierung gedrängt.
Soldaten sammeln sich während der Novemberrevolution 1918 in München.
Kein Feiertag am 8. November 2018
Die Ereignisse von 1918 und 1919 seien oft schwierig einzuordnen gewesen in die Linien der bayerischen Geschichte und seien lange Zeit wie ein Fremdkörper behandelt worden. Und doch habe die Regierung Eisner die Wahlen 1919 ermöglicht, es seien die ersten allgemeinen Wahlen gewesen, bei der auch Frauen wählen konnten.
Dass ausgerechnet ein radikaler Sozialdemokrat den Terminus "Freistaat Bayern" prägte, der heute als Umschreibung des stolzen und kraftstrotzenden Bundeslandes gilt, klingt ein bisschen wie die Ironie der Geschichte - regiert doch seit Jahrzehnten unangefochten die CSU in diesem Freistaat - und stellt die SPD in den Schatten. Deren Rufen nach einem Sonderfeiertag am 8. November 2018, um Eisners Werk zu gedenken, hat die Staatsregierung eine Absage erteilt.
Diese hat stattdessen ein ganzes Jubiläumsjahr ausgerufen - unter dem Motto "Wir feiern Bayern" wird zugleich zelebriert, dass Bayern 1818 zu einem für damalige Verhältnisse modernen Verfassungsstaat wurde. Der Blick geht dabei nach Angaben der Staatskanzlei aber eher nach vorne: Wie sehen die Menschen Bayern im Jahr 2030? Und einen Hashtag (#wirfeiernbayern) für die sozialen Netzwerke gibt's natürlich auch.
Geplant ist aber am 8. November 2018 ein Staatsakt. Zuvor sind landauf, landab zahlreiche Veranstaltungen vorgesehen. Die Revolution von 1918 und ihre Folgen seien selbstverständlich auch ein "großes Thema" im neuen Museum der Bayerischen Geschichte, das nach einem Brand verspätet erst 2019 in Regensburg öffnet, versichert Richard Loibl, Chef des Hauses der Bayerischen Geschichte.
Eisners Schicksal entschied sich Anfang 1919. Bei den Wahlen musste seine USPD eine heftige Niederlage einstecken, obwohl er als Ministerpräsident Neuerungen wie den Achtstundentag eingeführt hatte. Eisner wollte zurücktreten - und wurde am 21. Februar 1919 aber von einem Rechtsradikalen ermordet. Danach eskalierte die Gewalt zwischen links- und rechtsradikalen Kräften. Und Eisners friedliche Revolution mündete nun doch im Blutvergießen.