Vom Paradies zur Gefahrenzone? So steht es wirklich um die Sicherheit in den Alpen

Der April begann in den Südtiroler und Schweizer Alpen mit einem Wetter-Chaos. In Zermatt riss eine Lawine mindestens drei Wintersportler in den Tod. Gleichzeitig verursachten starke Regenfälle Erdrutsche und Steinschläge in Südtirol. In Lahn stürzte ein Felsbrocken in eine Tischlerei. Ein anderer Felsbrocken traf die "Alpen-Adria-Autobahn" nahe Udine. Bei solchen Meldungen stellt sich die Frage: Wie schlimm steht es um die Alpen?

Der Münchner Alpengeologe und Ruhestandsprofessor Helmut Heinisch beobachtet das Hochgebirge seit den 1970er Jahren und gibt auch heute noch Kurse zum Thema an der Münchner Volkshochschule. An Ostern habe schon eine abnormale Wetterlage in den Alpen geherrscht, meint er. Generell sei aber davon auszugehen, dass sich solche Felsstürze im Zuge des Klimawandels künftig häufen werden: eine Gefahr für die Anwohner und auf den Verkehrsrouten. Jahrelang sei ohne Rücksicht auf die roten Zonen der Georisikokarten in den Wintersportorten heftig gebaut worden, sagt der Experte. Eben weil die anderen Gemeinden das auch so gemacht hätten. Nach dem Motto: "Wird scho nix passieren."
"Die Alpen sind schon längst übernutzt", sagt Heinisch. Der Ausbau, der dort betrieben worden sei, sei ein Verbrechen an der Natur. Und das Ganze wider besseres Wissen, meint der Geologe. Denn die Wissenschaft wisse schon lange, dass es so nicht weitergehe.
Klimawandel macht den Alpen zu schaffen: Der Bergwald stirbt
Grund für die Felsstürze sei der nachlassende Permafrost: Das permanent gefrorene Wasser klebt die Felsbrocken zusammen. Wenn es dann taut, gibt es keine Haftung mehr, die Felsmassen lockern sich und stürzen ins Tal. Infolge des Klimawandels wandere die Permafrostgrenze immer weiter nach oben, sagt Heinisch. Normalerweise beginne das Permafrostgebiet auf der Schattenseite bei ungefähr 2700 Metern und auf der Sonnenseite bei 2400 Metern, unter der Grenze taue das Eis im Sommer, darüber herrsche immer Frost.
Ein Problem sei auch, dass der Bergwald, der früher die Täler vor Lawinen schützen sollte, stirbt. Zudem käme es durch das fehlende stabilisierende Wurzelwerk bei Starkregenereignisse öfter zu Schlammfluten.
Auf Wirtschaft und Tourismus sieht der Experte Milliardenkosten infolge des Klimawandels zukommen. Zum einen aufgrund der Sicherungsmaßnahmen, die notwendig werden, zum anderen aufgrund des Rückgangs im Tourismus. Denn der permanente Ausbau der Wintersportorte sei nicht nur aus geologischer Sicht Unfug, sondern auch aus volkswirtschaftlicher: Die Skilifte und Pisten würden über Kredite finanziert, und wenn irgendwann die Leute keine Lust mehr auf Skifahren hätten, weil links und rechts der Wald grünt, stünden die Gemeinden mit Lift und Schulden da, sagt Heinisch.
Münchner Geologe Helmut Heinisch: "Das hätte man schon viel früher machen sollen"
Doch kann man die Alpen überhaupt ganz vor Felsstürzen sichern? Theoretisch möglich wäre das schon, sagt Heinisch. Man könnte die Berge mit Felsankern und Betonstützmauern zunageln – was ja zum Teil schon passiere. "Da muss man nur auf der Brennerautobahn mal hochblicken, wie zugenagelt die Berge dort schon sind."
In der Schweiz gebe es bereits Bergsturzampeln: Wenn die Bewegung eines Hanges eine kritische Stufe überschreite, würden Straßen gesperrt, Kraftwerke abgeschaltet und die Gemeinde gewarnt. Solche Ampeln wären in Deutschland oder Österreich in bestimmten Bereichen zwar auch sinnvoll, jedoch zu teuer. Zudem habe es zuletzt spontane Abgänge kleinerer Art gegeben, die man schwer vorhersagen könne. "Da müsste man ganz Österreich verkabeln."
Was die Sicherung der Alpen betrifft, machten die Leute eh schon, was möglich sei, meint Heinisch. Positiv sieht er etwa, dass es immer mehr Tunnel gebe. Endlich werde nun auch der Brenner Basistunnel gebaut. "Das hätte man schon viel früher machen sollen." In den 1970er Jahren, erinnert Heinisch, sei in bestimmten Kreisen schon an dem Projekt geplant worden.
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