Tausende Verdachtsfälle von Sozialbetrug in Bayern: "Falsche Ukrainer" unter Geflüchteten

Es ist eine gigantische Zahl: Bis Januar 2024 registrierten deutsche Behörden rund 1,1 Millionen Menschen, die als ukrainische Kriegsflüchtlinge in die Bundesrepublik gekommen sind. Viele flohen aus Furcht vor russischen Bomben, Raketen oder weil ihr Zuhause in die Hand des Feindes fiel. Allerdings gibt es darunter auch Menschen, die zu Unrecht in Deutschland Schutz suchen. Bereits Anfang November vergangenen Jahres berichteten zahlreiche bayerische Landkreise und Städte auf Anfrage der Abendzeitung, dass manche vorgeblich ukrainische Flüchtlinge womöglich in Wahrheit aus Ungarn stammen könnten.
Diverse Ausländerämter witterten Sozialbetrug. Der Grund: Flüchtlinge, die ausschließlich die ukrainische Staatsbürgerschaft besitzen, bekommen vom ersten Tag an Bürgergeld in voller Höhe – EU-Ausländer in Deutschland haben in der Regel dagegen nur Ansprüche auf Sozialleistungen, wenn sie längere Zeit hier gearbeitet haben.
Bürgergeldbetrug : BAMF nennt erstmals Zahlen
Der Freistaat hatte nach AZ-Recherchen alleine bis Oktober rund 1.200 Verdachtsfälle zur Überprüfung an den Bund weitergegeben. Das Bundesinnenministerium versprach damals, "mit den ukrainischen und ungarischen Behörden einen entsprechenden Registerabgleich zu etablieren". Auch forderte es alle Bundesländer auf, entsprechende Verdachtsfälle zu melden.
Nun nennt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erste Zahlen über den Umfang des möglichen Sozialbetrugs. "Im Rahmen des Verfahrens zur Klärung von Zweifeln über die Staatsangehörigkeit von Antragstellenden für eine Aufenthaltsgewährung zum temporären Schutz mit ukrainisch-ungarischem Bezug wurden dem BAMF mit Stand 19.02.2024 insgesamt 5.609 Verdachtsfälle aus den Bundesländern gemeldet", sagte ein Sprecher der AZ. Mit 2.846 stammt die Hälfte der Verdachtsmeldungen aus Bayern, 1.980 aus Baden-Württemberg sowie 697 Fälle aus Thüringen – der Rest aus Niedersachsen, Hessen und Sachsen-Anhalt.
Hohe Dunkelziffer: "Anstrengungen deutlich intensivieren"
Die übermittelten Verdachtsfälle würden "sukzessive durch die ungarischen und ukrainischen Behörden geprüft", so der Sprecher. Die Zahl der bislang tatsächlich Überführten ist zwar gering. "Nach bisherigen Rückmeldungen konnten 208 Personen mit einer ungarische Staatsangehörigkeit identifiziert werden, für 1.258 Personen konnte eine ukrainische Staatsangehörigkeit bestätigt werden." Doch manche Mitarbeiter in Ausländerbehörden gehen ebenso wie Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, von einer hohen Dunkelziffer aus. Throm fordert deshalb in der "Welt", der Bund müsse seine "Anstrengungen deutlich intensivieren, um solche Betrugsversuche aufzudecken".
Vermehrt Ungarn mit druckfrischen ukrainischen Pässen
Die AZ berichtete bereits im Oktober, dass sich Meldungen von Familien, die zwar perfekt Ungarisch, aber kein oder kaum Ukrainisch sprechen, in zahlreichen Landkreisen, häuften. Thomas Karmasin, Präsident des Bayerischen Landkreistags wunderte sich, dass in seinem Heimatlandkreis Fürstenfeldbruck viele dieser Menschen "auf wundersame Weise" im Besitz druckfrischer ukrainischer Pässe seien. Eine Sprecherin des Landratsamts Rosenheim sagte damals der AZ: Vor allem die seit Anfang 2023 zuziehenden ukrainischen Flüchtlinge mit Roma-Hintergrund würden "meist neu ausgestellte Reisepässe besitzen". Ein Teil dieser Menschen würde Ungarisch sprechen. "Viele können im anschließenden Verwaltungsverfahren ihre Schutzberechtigung nicht geltend machen, da sie nicht nachweisen können, vor Kriegsausbruch in der Ukraine gelebt zu haben."
Besonders betroffen von dem Phänomen war Oberbayern. Das Tölzer Landratsamt teilte auf Anfrage mit, die aus dem ukrainischen Grenzgebiet in den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen gekommenen Flüchtlinge "mit neu ausgestellten Reisepässen" würden "oft Ungarisch sprechen". Auch reisten sie "häufig für nur wenige Tage zum Monatsende beziehungsweise Monatsanfang in einen EU-Staat" - meist nach Ungarn oder Rumänien.
Roma-Vertreter: "Nur wenige Ausnahmefälle"
In der Folge beschwerten sich Roma-Vertreter über Rassismus seitens bayerischer Behörden. Mehmet Daimagüler, Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung,sagte der AZ im Dezember: "Natürlich wird es unter den Geflüchteten aus der Ukraine auch Fälle von Doppelstaatsbürgerschaften geben, nicht nur bei denen mit einem Roma-Hintergrund." Er ging jedoch davon aus, "dass es sich um wenige Ausnahmefälle handelt". Für die große Zahl an neuen Pässen könne es eine einfache Erklärung geben: "Die Ukraine hat vielen Roma schlicht jahrelang einen Pass verweigert." Und viele Roma würden Zuhause Romanes oder Ungarisch und eben nicht Ukrainisch sprechen.
Wie hoch der Anteil an Roma unter den vom Bund untersuchten Fällen tatsächlich ist, bleibt derweil unklar. Eine entsprechende Anfrage der AZ ließ das BAMF unbeantwortet.
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