Bayern will Baurecht lockern: Wenn der Spielplatz zum Luxusgut wird

Die Staatsregierung will die Rechtslage vereinfachen – doch vor allem ein Teil des Vorhabens stößt auf erheblichen Widerstand.
Tobias Lill |
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Ein Kind steht vor einer abgesperrten Schaukel und einem Klettergerüst in Würzburg. Ob es nach einer Idee von Ministerpräsident Markus Söder künftig auch noch so viele Spielstätten im Freistaat gibt, wird sich zeigen. Die Architektenkammer übt starke Kritik.
Ein Kind steht vor einer abgesperrten Schaukel und einem Klettergerüst in Würzburg. Ob es nach einer Idee von Ministerpräsident Markus Söder künftig auch noch so viele Spielstätten im Freistaat gibt, wird sich zeigen. Die Architektenkammer übt starke Kritik. © Heiko Becker/HMB Media/imago

München - Es war ein Hilferuf. Knapp 40.000 Menschen in Bayern seien wohnungslos, warnte die Diakonie erst vor einigen Wochen. Und laut einer Studie des Pestel-Instituts fehlen im Freistaat fast 200.000 Sozialwohnungen. Als Folge leben viele Gering- und mitunter auch Normalverdienende in Wohnungen, die sie sich eigentlich nicht leisten können. In Ballungsräumen frisst die Miete schnell 40 oder 50 Prozent des Einkommens auf.

Doch bislang gelang es weder dem Bund noch dem Freistaat trotz enormer und teils kostspieliger Anstrengungen, den Wohnraummangel wirksam zu bekämpfen. Für dieses und das kommende Jahr stellt der Freistaat jeweils einen Rekordbetrag von rund 1,1 Milliarden Euro für die Wohnraumförderung in Bayern zur Verfügung. Und die Ampel pumpt allein 2024 knapp 3,2 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau.

Immer weniger Genehmigungen für Wohnungsbau – Situation könnte sich weiter verschärfen

Trotz des vielen Fördergelds sank die Zahl der Genehmigungen für den Bau von Wohnungen in den ersten sechs Monaten dieses Jahres deutschlandweit drastisch – um 21,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 106.700.

Die Situation könnte sich weiter verschärfen: Das Ifo-Institut erwartet in den nächsten Jahren eine fortgesetzte Talfahrt. Die Zahl der neu gebauten Wohnungen könnte hierzulande demnach im gesamten Jahr 2026 auf nur noch 175.000 absinken. Dies wäre ein Minus von über 40 Prozent im Vergleich zu 2022. Damals wurden noch knapp 300.000 Wohnungen innerhalb eines Jahres gebaut.

Immer wieder heißt es, ein wesentlicher Grund für die Flaute beim Wohnungsbau sei neben konjunkturellen Faktoren die enorme Bürokratie auf Länderebene. Die Staatsregierung will genau hier jetzt den Hebel ansetzen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) möchte im Zuge seiner Entbürokratisierungsoffensive im Baurecht rund 30 Vorgaben abschaffen oder lockern.

Bayern will Baurecht verschlanken: Kommunen sollen über Bau von Spielplätzen und Stellplätzen entscheiden

Vor Kurzem hat der Landtag in Erster Lesung drei Gesetzentwürfe der Staatsregierung zum Bürokratieabbau in Bayern beraten. Im Rahmen eines Modernisierungsgesetzes soll das Baurecht verschlankt werden. Bislang ist etwa die Errichtung von Kinderspiel- und Parkplätzen ab einer gewissen Größe eines Gebäudes Pflicht.

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Die Entscheidung darüber, ob es Spielgeräte oder Stellplätze tatsächlich braucht, soll künftig in die Hand der Kommunen gelegt werden. Setzt sich die Staatsregierung mit ihren Plänen durch, sollen zudem künftig Bauvorhaben wie ein Dachgeschossausbau, die Errichtung von Terrassenüberdachungen, der Bau von Gartenpools sowie mehrere weitere kleinere Maßnahmen verfahrensfrei sein.

Überdies sollen Freiflächengestaltungssatzungen von Kommunen, in denen Vorgaben zur Verhinderung von Bodenversiegelung oder Nutzung standortgerechter Bepflanzungen gemacht werden konnten, komplett abgeschafft werden.

Bayerischer Bauindustrieverband stellt sich hinter Forderungen von Markus Söder

Der Bayerische Bauindustrieverband (BBIV) begrüßt die geplanten Reformen. Mit dem ersten Modernisierungsgesetz habe die Staatsregierung bestätigt, "dass es ihr mit der Initiative zum Bürokratieabbau ernst ist", sagt dessen Hauptgeschäftsführer Thomas Schmid der AZ. Schmid zufolge sei "das Maßnahmenpaket geeignet, dem Wohnungsbau in Bayern neuen Schwung zu geben".

Der BBIV begrüße ausdrücklich die Anpassung der Garagen- und Stellplatzverordnung. Durch die Neuregelung erfolge "eine weitere Flexibilisierung im Hinblick auf die Stellplatzpflicht vor allem bei Neubauten".

Dass die Pflicht zur Schaffung von Kinderspielplätzen und Stellplätzen künftig in kommunale Hände gegeben wird, begrüße man zwar grundsätzlich. Schmid hält jedoch ein nachlaufendes Monitoring hinsichtlich der Wirksamkeit der Neuregelung für sinnvoll. "In der Praxis muss sich erst zeigen, ob die Kommunen diese neue Flexibilität auch nutzen."

Die geplanten Vereinfachungen bei den Brandschutzvorschriften seien "ebenfalls sinnvoll". Diese erlaubten es, "durch einen intelligenten Ansatz im Brandschutzbereich Baukosten zu senken, ohne den Brandschutz einzuschränken".

Bayerische Architektenkammer: "Überbordende Bürokratie lähmt die gesellschaftliche Entwicklung"

Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, stimmt den grundsätzlichen Anliegen des Gesetzentwurfs zu. Haack sagt der AZ: "Überbordende Bürokratie lähmt die gesellschaftliche Entwicklung." An der konkreten Umsetzung übt die Kammer jedoch Kritik. "Erheblichen Nachbesserungsbedarf sehen wir insbesondere bei den Streichungen der Ermächtigungsgrundlagen für kommunale Satzungen."

Darunter könne die Wohnqualität leiden. "Eine Siedlungsentwicklung, die sich an den Erfordernissen der Klimaanpassung, der Biodiversitätskrise und der notwendigen Durchgrünung der Siedlungsräume orientiert, braucht verbindliche Maßstäbe, die für alle gelten", glaubt die Architektenkammer. Die Kommunen bräuchten hier "starke und wirksame Instrumente, wie sie bisher mit den Freiflächengestaltungssatzungen existieren".

Die Architektenkammer lehnt die Kommunalisierung von Spiel- und Kleinkinderspielplätzen ab. "Damit würden künftig rein rechnerisch weniger Spielplätze geschaffen, was nicht sozial- und kindgerecht sein kann", findet Haack. So sieht das auch die SPD-Landtagsabgeordnete Sabine Gross:

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"Spielplätze sind nicht nur ein Ort des Spielens, sondern auch der Begegnung und des sozialen Miteinanders. Wer diese Pflicht abschafft, spart an der falschen Stelle – auf Kosten unserer Kinder und Familien."

"Das falsche Signal": Kritik vom Bayerischen Städtetag

Der Bayerische Städtetag moniert auf Anfrage, dass er nicht in die Vorbereitungen für die Baurechtsreform einbezogen worden sei. Auf Widerstand stößt unter anderem die Abschaffung der staatlichen Stellplatzpflicht. In Zeiten der Klimakrise sei dies "das falsche Signal", teilt der Verband mit.

Der Städtetag fürchtet, dass viele Hausbesitzer und Mieter dann mangels eigenem Parkplatz Straßen und Gehwege zu parken. Auch die Grünen kritisieren, dass den Kommunen zu viele Rechte genommen würden. Der CSU-Abgeordnete Konrad Baur ist dagegen überzeugt: "Wir beschleunigen und entfesseln Bayern."

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4 Kommentare
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  • Gelegenheitsleserin am 22.10.2024 12:53 Uhr / Bewertung:

    @AufmerksamerBürger
    "Spielplätze sind etwas aus dem letzten und vorletzten Jahrhundert, Kinder wollen heute zu Hause vor dem PC sitzen oder sich mit dem Handy beschäftigen."

    Komisch, dass die Spielplätze an denen ich vorbeikomme, immer voller Kinder sind ...

  • FRUSTI13 am 21.10.2024 18:10 Uhr / Bewertung:

    Dass die Stellplatzverordnung abgeschafft werden soll, halte ich für fatal. Dann werden keine TGs mehr gebaut und die Karren stehen noch mehr auf der Straße bzw. . Gehwegen rum!
    Die Kinderspielplatzverordnung allerdings kann weg, weil auf diesen lieblos, in irgendwelche Ecken der Wohnanlage gepreßten Spielplätze sowieso kaum Kinder spielen. Lieber großzügige, städtische Spielplätze einrichten. Da haben dann auch mehr Kinder was davon.

  • MUC0 am 21.10.2024 17:56 Uhr / Bewertung:

    Seit dem letzten Krieg gab es hier keine Wohnungen und Eigentümer von Häusern wurden von Staats wegen belegt. Das alle Gewalt vom Staat ausgeht ist ja sehr gut, aber an dem Mangel an Wohnungen hat sich seit der Wende sehr vieles verschlechtert. Grundrecht gut und schön, den Durchschnittslohn und Rente kennen junge Politiker teilweise auch nicht, es wäre gut wenn denen klar ist wohin das Betroffene führt und wie bemühte sich redlich da dann gesehen wird.

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