Stellenstreichungen: Was ist los beim Bayern-Riesen BayWa?

Ein Traditionsunternehmen ist in Schieflage geraten. Droht die Insolvenz? Die Hintergründe.
Ralf Müller |
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Die Zentrale der BayWa AG im Münchner Arabellapark.
Die Zentrale der BayWa AG im Münchner Arabellapark. © imago

München – Die 1923 gegründete "Bayerische Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften AG", heute kurz BayWa AG, gehört so unverrückbar und scheinbar ewig zu Bayern wie das Oktoberfest oder das Schloss Neuschwanstein – dachte man bisher.

"Gott mit dir, du Land der BayWa", dichtete die Biermösl Blosn schon vor Jahrzehnten in Anlehnung an den Text der Bayernhymne. Doch jetzt ist eines der ökonomischen Wahrzeichen des Freistaats in Schieflage geraten. Schlimmstenfalls droht der BayWa AG die Insolvenz.

Außenstehende Experten wundern sich, wie schnell es mit dem Agrar- und Baustoffhändler BayWa, der inzwischen weltweit aktiv ist und 24.000 Mitarbeiter zählt, abwärts ging. Noch 2022 vermeldete der Konzern einen Vorsteuer-Gewinn von mehr als einer halben Milliarde Euro. Die Namensaktie erreichte mit 47 Euro ein Allzeithoch.

BayWa-Absturz: "Ich bin vollkommen überrascht"

Zum Ende der vergangenen Woche lag sie zeitweise bei 12,18 Euro. Nicht nur Börsen-Laien wunderten sich, sondern zum Beispiel auch Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW): "Ich bin vollkommen überrascht." Was war geschehen? Dass die Geschäfte nicht mehr so rund liefen wie in den Jahrzehnten zuvor, zeichnete sich spätestens im März dieses Jahres ab, als der Vorstand über einen Verlust von 93 Millionen Euro bei einem Jahresumsatz von 23,9 Milliarden Euro im Jahr 2023 berichtete. Eine Dividende wurde gestrichen.

So schee war's noch letztes Jahr: Festakt zum 100-jährigen Bestehen in der Isarphilharmonie.
So schee war's noch letztes Jahr: Festakt zum 100-jährigen Bestehen in der Isarphilharmonie. © imago

Die Alarmglocken schrillten lauter, nachdem bekannt wurde, dass die BayWa im ersten Quartal 2024 rote Zahlen in Höhe von 108 Millionen Euro geschrieben hatte. Als der BayWa-Vorstand in einer Pflichtmitteilung über die Einholung eines "Sanierungsgutachtens" berichtete, war klar, dass es sich um mehr als eine leichte Delle handeln musste.

Die Gründe für den plötzlichen Absturz der Traditionsfirma sind im Grunde recht einfach. In den 15 Jahren bis 2023, in denen Klaus Josef Lutz als Vorstandschef an der Spitze des Konzerns stand, hat das Unternehmen international expandiert.

Klaus Josef Lutz war von Juli 2008 bis März 2023 Vorstandsvorsitzender der BayWa AG.
Klaus Josef Lutz war von Juli 2008 bis März 2023 Vorstandsvorsitzender der BayWa AG. © Sven Simon/imago

Man kaufte nicht nur weltweit Agrarhandelsunternehmen und -produzenten, sondern stieg auch in das Geschäft mit Erneuerbaren Energien ein. Die BayWa erstellte im In- und Ausland teilweise hochinnovative Anlagen und brachte fast 300 Megawatt an Solar- und Windparks ans Netz.

Allerdings ist das Geschäft mit Erneuerbaren wegen der langen Projektphasen sehr kapitalintensiv, so Daniel Bauer, Vorstandsvorsitzender der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK): "Generell war die Strategie richtig, man hätte aber wohl das Zinsänderungsrisiko mehr beachten sollen."

Die höheren Zinsen produzieren jetzt immer höhere rote Zahlen

Denn getätigt wurden die Investitionen in der Niedrigzinsphase mit entsprechend günstigen Krediten. 5,6 Milliarden Euro Schulden verteilt auf drei Bankengruppen sind bis heute angefallen. Die höheren Zinsen produzieren jetzt immer höhere rote Zahlen. Im Jahr 2023 sollen die Zinsen 340 Millionen Euro erreicht haben.

Zur für Schuldner ungünstigen Zinsentwicklung kam noch Pech. Der Preis für Solarmodule, mit denen die Unternehmensgruppe ebenfalls handelt, sind wegen der chinesischen Dumping-Konkurrenz stark gefallen, und Windparkprojekte der BayWa sind später fertig geworden, listet SdK-Vorsitzender Bauer auf: "Es ist also auf eine Mischung aus unglücklichen Umständen und wohl auch ein wenig zu lässiges Management in Zeiten, in denen es gut lief, zurückzuführen."

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Der im vergangenen Jahr noch hinter den Kulissen tobende Machtkampf zwischen Ex-Vorstandschef Lutz und seinem Nachfolger Marcus Pöllinger ist längst öffentlich geworden. Lutz wechselte ohne die normalerweise vorgeschriebene "Abkühlphase" ins Amt des Aufsichtsratsvorsitzenden.

Zwischen ihm und Pöllinger kam es zum Jahreswechsel zum Streit. Möglicherweise spielten dabei die sich abzeichnenden Probleme eine Rolle. Lutz warf Pöllinger Verstöße gegen die Compliance-Grundsätze vor. Dem folgte der Aufsichtsrat aber nicht, und Lutz warf das Handtuch.

In einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" zog Lutz - höchst unüblich in Vorstands- und Aufsichtsratskreisen - über seinen Nachfolger an der Spitze des Konzerns her: "Der aktuelle Vorstandschef ist vielleicht nicht der richtige Vorstand für die aktuellen Herausforderungen." Persönliche Schuld an der Schieflage der BayWa wies Lutz zurück: "Der neue Vorstand hätte die alte Strategie an das neue Marktumfeld anpassen sollen, das habe ich auch geraten."

BayWa-Krise: Einzelne Standorte sollen komplett auf der Kippe stehen

Die bisher einzige personelle Konsequenz betraf die Finanzchefin der Konzerntochter BayWa r.e. Mihaela Seidl, die vor einigen Tagen mit sofortiger Wirkung und "aus persönlichen Gründen" zurücktrat. Die Solar-Tochter BayWa r.e. ist der Konzernteil, der wohl vor allem zur Gesundschrumpfung herangezogen wird. Der Konzern hält an der Tochter, die sich mit den Erneuerbaren Energien beschäftigt, 51 Prozent. Im Gespräch ist der Verkauf von 20 bis 30 Prozent an den bisherigen Minderheitsteilhaber, der Schweizer Investmentgesellschaft Energy Infrastructure Partners AG (EIP).

Den zur BayWa r.e. gehörenden Photovoltaik-Großhändler lehnt EIP aber dankend ab. Diesen Bereich wird der Konzern wohl nur mit erheblichen Abschlägen loswerden.

Die Krise könnte auch für Landwirte problematisch werden

Was das alles für die BayWa-Beschäftigten bedeutet, ist noch völlig offen. Vorstandschef Pöllinger kündigte auf der Hauptversammlung "sozialverträgliche" Stellenstreichungen an. Einzelne Standorte sollen dem Vernehmen nach komplett auf der Kippe stehen.

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Die BayWa-Krise könne für zahlreiche Landwirte zum Problem werden, die gleichzeitig Kunde und Aktionär der Unternehmensgruppe sind, merkte Bergdolt vom DSW an: "Nicht selten ist die BayWa-Aktie wichtiger Teil der Altersvorsorge". Größte Aktionäre sind die Bayerische Raiffeisen-Beteiligungs-AG mit 33,8 Prozent und die österreichische Raiffeisen Agrar Invest AG mit 28,1 Prozent.

Lieferanten sollen schon vereinzelt auf Vorkasse bestehen

Der Konzern ließ auf Anfrage nur wissen, was Unternehmen in solcher Lage meist verlautbaren: "Die BayWa hat ein Sanierungsgutachten in Auftrag gegeben. Dieses Gutachten gibt Banken und Investoren größtmögliche Transparenz über die wirtschaftliche Lage der BayWa und ihre zukünftige Ausrichtung. Die Erstellung eines solchen Gutachtens dauert in der Regel mehrere Wochen. Inwiefern das Ergebnis möglicherweise auf einzelne Regionen oder Standorte Einfluss haben könnte, ist zum jetzigen Zeitpunkt Spekulation." Fest stehe: "Einen Einfluss auf den laufenden Geschäftsbetrieb hat die Erstellung des Sanierungsgutachtens nicht." Die Bemerkung ist wohl nötig, weil Lieferanten vereinzelt auf Vorkasse bestehen sollen.

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12 Kommentare
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  • SL am 31.07.2024 12:23 Uhr / Bewertung:

    Also um die entlassenen Mitarbeiter braucht man sich keine Sorgen zu machen. Der ÖD sucht händeringend Fachkräfte aller Art. Der dbb-Vorsitzende Silberbach spricht von mehr als 500.000 Stellen die es dringend zu besetzen gilt.

  • Boandl_kramer am 01.08.2024 12:16 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von SL

    Die größten Lücken hat der ÖD im Erziehungsdienst, bei den Pflegekräften, bei der Polizei, in der Sozialarbeit und im Schuldienst. Erkennbar an den zahlreichen offenen Stellen und den recht üppig gefüllten Zeitkonten der dort tätigen Leute. Aber haben die BaWa-Leute denn tatsächlich Erzieherin, Pflegekraft, Polizeidienst, Sozialarbeit oder Lehramt gelernt oder studiert? Oder wären sie bereit und in der Lage es zu tun?

  • SL am 01.08.2024 16:16 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Boandl_kramer

    Also die Polizei hat einen historischen Höchststand an Beamten und ebenso an Bewerbern. Woher immer die Meinung kommt dort wären Lücken ist einfach nicht zu belegen. Auch Lehrer haben wir lt. Ministerium für Unterricht und Kultus ebenso so viele Lehrer (innen) wie noch nie, aber aufgrund der Feminisierung in diesem Beruf leider Teilzeitbeschäftigungsquoten von mehr als 60 Prozent. Die Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich hat sich signifikant in den letzten beiden Jahren verbessert unter anderem aufgrund deutlicher Einkommens-und Lohnzuwächse. Aber der ÖD besteht ja nicht nur aus Polizisten, Lehrern und Pfleger. Auch Arbeiter, Verwaltungsleute etc. werden sich doch unter den BayWa-Beschäftigten finden

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