Sozialgericht Regensburg: Er ist blind und trotzdem Richter

Florian Schürbesmann entscheidet bald über Fälle am Sozialgericht in Regensburg mit – und ist damit in Bayern der einzige Schöffe mit Sehbehinderung.
von  Hanna Gibbs
Florian Schürbesmann (26) im Gerichtssaal.
Florian Schürbesmann (26) im Gerichtssaal. © Hanna Gibbs

Regensburg - Die neue Aufgabe von Florian Schürbesmann (26) ist in zweierlei Hinsicht außergewöhnlich: Der Schwandorfer wirkt ab 1. Juni als jüngster Richter an einem bayerischen Sozialgericht – und er ist zugleich der einzige Blinde in diesem Ehrenamt.

Im größten Sitzungssaal des Sozialgerichts Regensburg sitzt der junge Mann schon einmal Probe: Hier wird er künftig neben einem Berufsrichter und einem weiteren ehrenamtlichen Richter über Fälle im Schwerbehindertenrecht entscheiden.

Schürbesmann, der von Geburt an blind ist, wird dabei Verantwortung tragen. Theoretisch könnten die beiden Ehrenamtler den hauptberuflichen Richter überstimmen.

Der Weg in den Sitzungssaal im ersten Stock ist ein Leichtes für den 26-Jährigen. Ein Aufzug fährt ihn nach oben, der Saal ist barrierefrei zugänglich. Der Weg hin zum neuen Amt war hingegen mit etwas Aufwand verbunden.

Schürbesmann, der schon als Kind ein Faible für die Juristerei entwickelt hatte, hörte davon, dass ehrenamtliche Richter an Sozialgerichten teils händeringend gesucht werden. Er griff zum Telefonhörer und kontaktierte den Sozialverband Deutschland, der ehrenamtliche Richter für Sozialgerichte vorschlagen darf. Claudia Henze vom Sozialverband freute sich darüber, dass ein junger Mann Interesse für das Amt zeigt, hielt ihn für geeignet und schlug ihn vor.

Mitte Mai hatte der Schwandorfer schließlich die Berufungsurkunde im Postkasten. Ab 1. Juni ist er offiziell einer von 203 ehrenamtlichen Richtern am Sozialgericht Regenburg.

Vizepräsident Wilfried Porzner hat keine Bedenken, einen blinden Richter zu beschäftigen. Eine Übertragung der Akten in Blindenschrift sei nicht nötig, da sich die ehrenamtlichen Richter ohnehin auf die mündliche Verhandlung konzentrieren sollen. Insgesamt gebe es wenige behinderte Menschen unter den ehrenamtlichen Richtern, eine stärkere Mischung sei "gut für die Gerichtsbarkeit".

Irgendwann will Schürbesmann Berufsrichter sein

Wie oft Schürbesmann zum Einsatz kommen wird, lässt sich schwer sagen. Von den 3000 bis 4000 Fällen, mit denen sich das Sozialgericht Regensburg jährlich beschäftigt, fallen mehrere 100 in den Bereich Schwerbehindertenrecht, für den Schürbesmann zuständig ist. Die Mehrheit der Fälle wird in Erörterungsterminen geklärt, die ohne ehrenamtliche Richter auskommen. Erst in strittigeren Sachen kommt es zur Verhandlung.

Häufig geht es dabei etwa um die Einstufung des Behindertengrades. Ein Beispiel: Einen Schwerbehindertenausweis gibt es ab einem Grad von 50 Prozent. Ein Betroffener, der davon ausgeht, dass ihm ein solcher Ausweis zusteht, den das zuständige Zentrum Bayern Familie und Soziales aber niedriger eingestuft hat, kann klagen.

Schürbesmann ist gespannt auf seine erste Verhandlung. "Mich faszinieren Gesetze." Er verfügt zudem über ein ausgesprochen gutes Zahlengedächtnis – seien es Telefonnummern oder Paragrafen. Das fehlende Augenlicht schärft bekanntlich die übrigen Sinne, insbesondere beim Hören kommt es im Gerichtssaal auf Feinheiten an.

Ziel des Schwandorfers bleibt es, Jura zu studieren – und möglicherweise selbst eines Tages Berufsrichter zu werden.

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