Ronja Endres und Florian von Brunn im Interview: "Bayern würde frischer Wind sehr guttun"
München - AZ-Interview mit Ronja Endres und Florian von Brunn, den Vorsitzenden der bayerischen SPD.
AZ: Frau Endres, Herr von Brunn, Bundeskanzler Olaf Scholz verkündet eine "Zeitenwende" und plötzlich gibt es ganz viel Geld für die Bundeswehr. Was sagt die SPD-Basis zur deutschen Aufrüstung?
RONJA ENDRES: Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, das ist jedem klar. Einen Krieg direkt vor unserer Haustüre konnten sich viele gar nicht mehr vorstellen. In der SPD gibt es eine ganz große Anteilnahme am Leid der Menschen in der Ukraine. Allen ist klar: Wir müssen die Bundeswehr so ausrüsten, dass wir unsere Bündnisversprechen einhalten können. Insofern gibt es eine große Einigkeit.
Auch bei den Waffenlieferungen?
ENDRES: Ja. Aber es ist uns wichtig, dass es sich um Verteidigungswaffen handelt. Und es ist klar, dass die Nato nicht direkt eingreifen kann. Ansonsten würde sich das Kriegsgeschehen auf ganz Europa und die Nato-Verbündeten ausdehnen. Aber die Menschen, die gerade so tapfer um ihr Land kämpfen, müssen sich verteidigen können.
"Wir können den Gashahn leider nicht sofort zudrehen"
Bayern ist weiterhin auf Gas aus Russland angewiesen - das sagen die Staatsregierung und die bayerische Wirtschaft. Was sagt die SPD?
FLORIAN VON BRUNN: Leider ist das noch so. Mit Blick auf die Menschen in Bayern, aber auch auf die Wirtschaft können wir den Gashahn leider nicht sofort zudrehen. Aber wir müssen dringend die Alternativen zu russischem Gas fördern. Die Staatsregierung hat es in den vergangenen Jahren versäumt, hier die Weichen richtig zu stellen. Wir müssen den Ausbau der Erneuerbaren Energien viel schneller voranbringen. Windkraft darf nicht verhindert, sondern muss gefördert werden. Auch weil es sich dabei um die günstigste Form der Energieerzeugung handelt. Um etwaige Lücken zu schließen, müssen wir jetzt übergangsweise auch Kohlekraftwerke länger laufen lassen beziehungsweise vermehrt ans Netz bringen.

Eine andere Lösung wäre der Betrieb des Atomkraftwerks Isar II über 2022 hinaus.
VON BRUNN: Wir haben uns aus guten Gründen für den Ausstieg aus der Atomkraft entschieden. Zum einen handelt es sich um eine Hochrisikotechnologie. Zum anderen ist überhaupt nicht geklärt, wo der gefährliche Atommüll hin soll. Darauf liefern auch Markus Söder und Hubert Aiwanger keine Antwort. Das Bundeswirtschaftsministerium hat die Möglichkeit intensiv geprüft: Man könnte die Brennstäbe in einem sogenannten Streckbetrieb noch drei Monate weiterverwenden. Dazu müssten wir aber im Moment weniger Strom produzieren. Dann bräuchte es ein Jahr, um neue Brennstäbe überhaupt erst zu produzieren. Außerdem müsste die seit zwei, drei Jahren überfällige Sicherheitsprüfung für Isar II nachgeholt werden. Ausgang offen. Nein, eine Rückkehr zur Atomkraft durch die Hintertür ist nicht die Lösung.
Die Ampel-Koalition reagiert mit einem Entlastungspaket auf die stark gestiegenen Energie- und Spritpreise. Sind Sie mit dem Kompromiss zufrieden?
VON BRUNN: Ich halte das Verhandlungsergebnis tatsächlich für eine sehr gute Lösung. Das Paket entlastet die große Mehrheit, vor allem die, die jeden Tag hart arbeiten, und nicht den Villenbesitzer mit eigenem Pool. Die Entlastungen sind sozial gerecht. Wir treiben die Energiewende voran, sparen Energie und entlasten die Menschen mit klarer Orientierung auf die, die es am nötigsten haben.
"Die Staatsregierung hat ihre Lektion von 2015 nicht gelernt"
Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Ihrer Parteifreundin, wird vorgeworfen, die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine unterschätzt zu haben. Ist die Kritik berechtigt?
ENDRES: Nein. Nancy Faeser kümmert sich intensiv um die Umsetzung des Verteilschlüssels. Allerdings ist die Rechtslage anders als zum Beispiel bei den Flüchtlingen aus Afghanistan. Ukrainer dürfen ihren Aufenthaltsort in Deutschland erst einmal frei wählen. Wichtig ist deshalb zunächst, sie alle zu registrieren. Das wird jetzt in Angriff genommen. Nachholbedarf sehe ich in Bayern vor allem bei der ordentlichen Unterbringung und bei der Unterstützung der Schulen. Hier hat die Staatsregierung ihre Lektionen von 2015 nicht gelernt.
Die Grünen fordern 100 Millionen Euro unter anderem für Beratung, psychosoziale Betreuung und Unterbringung der ukrainischen Flüchtlinge. Was fordern Sie?
VON BRUNN: Bayern muss vor allem mehr bezahlbare Wohnungen bauen. Zu uns kommen Menschen, die wohl nicht so schnell in ihre zerbombten Städte zurückkehren werden. Das verschärft die ohnehin schon vorhandene Wohnungsnot in Bayern. Deshalb wollen wir mit einem entsprechenden Antrag insbesondere die Wohnraumförderung im bayerischen Haushalt erhöhen.
Es gibt bereits Überlegungen, Fachkräfte aus der Ukraine vor allem dort rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wo dringend Leute gebraucht werden. Ein Beispiel ist die Pflege. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek will nicht auf die Anerkennung ukrainischer Ausbildungsbelege warten, sondern Pflegepersonal bereits nach einer Art bestandenem Praxistest einsetzen. Richtig oder falsch?
ENDRES: Ein Praxistest klingt zunächst nach einer guten Lösung. Einen solchen zu erarbeiten, würde aber ebenfalls viel Zeit in Anspruch nehmen. Denn am Ende muss die Qualität stimmen. Die Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen muss insgesamt beschleunigt werden. Das steht im Koalitionsvertrag und darum müssen wir uns kümmern. Jetzt zwei Prozesse parallel laufen zu lassen, würde noch mehr Aufwand bedeuten.
Sie führen die Bayern-SPD nun seit fast einem Jahr als Doppelspitze. Läuft das immer friedlich oder zoffen Sie sich auch manchmal?
ENDRES: (lacht) Ich kann sagen, wir haben echt viel Spaß miteinander. Mit Generalsekretär Arif Tasdelen als Drittem im Bunde sind wir ein tolles Team. Das war schon ein gutes Jahr.
VON BRUNN: Nein, es gibt keinen Zoff. Manchmal diskutieren wir halt Punkte aus, wo wir inhaltlich unterschiedlicher Meinung sind. Aber das ist gut so, weil sich dadurch Positionen klären.
"Die Leute merken, da tut sich was in der Bayern-SPD"
Als Sie die Partei übernommen haben, lag sie in den Umfragen bei sieben bis acht Prozent. Zuletzt waren es 13 bis 14 Prozent. Ihr Verdienst - oder der von Olaf Scholz?
VON BRUNN: Es hilft uns natürlich sehr, dass Olaf Scholz die Bundestagswahl gewonnen hat. Auch dass er der beliebteste Politiker Deutschlands ist - im Gegensatz zu Markus Söder, der mittlerweile der zweit-unbeliebteste Politiker vor Sahra Wagenknecht ist. Gut tut uns auch der Zuspruch für die Politik der Ampel. Das ist natürlich ein toller Rückenwind. Es ist uns meiner Meinung nach aber schon auch gelungen, in Bayern wichtige Themen nach vorne zu stellen. Sei es über die Medien oder im direkten Gespräch mit den Bürgern. Die Leute merken, da tut sich was in der Bayern-SPD, die kümmert sich um unsere Probleme. Etwa um bezahlbaren Wohnraum, gute Schulen oder die Frage, wie wir Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit unter einen Hut bringen.
ENDRES: Wir haben einen Hammer-Wahlkampf zur Bundestagswahl geleistet - auch in Bayern. Die Leute haben wieder Lust am Gewinnen. Wir sind mit dem Versprechen angetreten, die Sichtbarkeit der Bayern-SPD zu erhöhen. Ich denke, das haben wir geschafft.
Im Saarland sieht es so aus, als würde Ihre Parteifreundin Anke Rehlinger den CDU-Ministerpräsidenten Tobias Hans ablösen. Würden Sie auf einen Sieg wetten?
VON BRUNN: Ich setze auf Anke Rehlinger. Im Bundesvorstand erlebe ich sie als kompetente und durchsetzungsstarke Politikerin. Und die Umfragen sind super. Ich glaube tatsächlich, dass sie den Sieg nach Hause fährt.
ENDRES: Anke Rehlinger wird es machen.
"Söder und Merz geht es selbst jetzt nur um die eigene Person"
Erhoffen Sie sich einen Trend, von dem dann 2023 vielleicht auch die Bayern-SPD profitieren könnte?
VON BRUNN: Die Menschen in Deutschland erkennen, dass es Olaf Scholz und der Bundesregierung nicht um Parteipolitik oder ums eigene Ego geht. Mit den 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr oder dem jetzt beschlossenen Entlastungspaket fällt die Ampel in einer außenpolitischen Krisensituation wichtige Entscheidungen. Das ist eine ideologiefreie Politik, die sich daran orientiert, was die Bürgerinnen und Bürger brauchen. Markus Söder und Friedrich Merz hingegen geht es selbst jetzt nur um die eigene Person. Die Ampel eröffnet auch eine Chance für den Freistaat...
Dabei haben SPD, Grüne und FDP wahrlich nicht nur Gemeinsamkeiten.
VON BRUNN: Die drei Parteien decken miteinander ein breites Spektrum ab. Das reicht vom wirtschaftspolitischen Fokus der FDP über das Augenmerk der SPD auf soziale Gerechtigkeit und gute Arbeitsverhältnisse bis hin zum Schwerpunkt Umweltschutz bei den Grünen. Das umfasst die Interessen sehr vieler Menschen und ist auch eine Machtoption für Bayern. Es geht uns gut in Bayern, die Menschen merken aber auch, dass Markus Söder in manchen wichtigen Zukunftsfragen viel liegengelassen hat. Beispiele sind die Windkraft und der Wohnungsbau. Dazu kommt dann der schwarze Filz, Stichwort Maskenaffäre. Ich glaube deshalb, dass Bayern ein frischer Wind sehr guttun würde.
"Söder hat immer seine eigenen Regeln gemacht"
Am 2. April laufen in Bayern die meisten Corona-Regeln aus. Vorsicht oder Zuversicht, was soll es anschließend für die SPD sein?
ENDRES: Bayern kann jetzt selbst formulieren, was als Hotspot gilt, und dort bestimmte Maßnahmen verlängern. Diese Selbstbestimmung hat die Staatsregierung lange gefordert. Doch statt zu handeln, beschwert sie sich lieber über fehlende Vorgaben vom Bund. Es muss jetzt schnell geregelt werden, welche Bedeutung wir künftig Inzidenzen oder der Belegung von Krankenhausbetten beimessen. Außerdem müssen wir wieder zum demokratischen Prozess übergehen, indem die Maßnahmen auch vom Parlament und nicht nur von der Regierung beschlossen werden.
Aber wären bundesweit einheitliche Hotspot-Regeln nicht viel praktischer und nachvollziehbarer?
VON BRUNN: Für Bayern spielt das keine Rolle, weil Markus Söder sich ohnehin nie an die bundeseinheitlichen Regeln hält. Er hat immer seine eigenen Regeln gemacht und sich dann über den Bund beklagt. Mal war er der strengste Lockdowner, dann der größte Freiheitskämpfer, jetzt will er wieder die härtesten Regeln. Zickzack halt. Insofern ist es gut, dass wir in Bayern jetzt selbst entscheiden können, weil Söder sich dann der Diskussion im Landtag stellen muss.
ENDRES: Mir scheint es so, als ärgere er sich einfach, dass er jetzt den Schwarzen Peter nicht mehr weiterschieben kann.