Retro-Radeln: Die Klapprad-WM in Bayern

In Pfronten im Allgäu treten über 150 Teilnehmer bei dem Gaudi-Rennen an. Die Gefährten müssen zwischen 1960 und 1980 gebaut worden sein, sogar die Klingel muss ein Originalteil sein. Doch das Rennen ist schwierig.
Lutz Bäucker |
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Knochenarbeit: 640 Höhenmeter und Steigungen bis zu 20 Prozent sind zu bezwingen gewesen.
Knochenarbeit: 640 Höhenmeter und Steigungen bis zu 20 Prozent sind zu bezwingen gewesen. © Lutz Bäucker

Pfronten – Eigentlich taugen sie nur zum Semmelnholen: die Klappräder aus den 60er und 70er Jahren. Zu klein für vernünftiges Radeln, mit Rücktritt und ohne Gangschaltung, die Witzfiguren des Bikegeschäfts. Also genau richtig für das größte Gaudi-Radrennen in den bayerischen Alpen an diesem Wochenende: die Klapprad-WM in Pfronten.

Das Reglement ist streng: Reifengröße 20 Zoll, Baujahr zwischen 1960 und 1980, nur Originalteile inklusive funktionierender Klingel. Die Strecke: zuerst sechs Kilometer flach, dann sechs Kilometer hinauf auf die Hochalpe, 640 Höhenmeter mit Steigungen bis zu 20 Prozent.

"Machbar, irgendwie"

"Unmenschlich!" stellt Markus (35) aus Oy nüchtern fest. Er hat seine Freunde Moritz und Dennis aus dem Württembergischen überredet, die Wand am Breitenberg in Angriff zu nehmen. Die beiden wissen nicht, was sie erwartet: "Dabei sein ist doch alles", sagen sie vor dem Start in Pfronten.

Auch Werner (58), Felix (50), Veit (54) und Jochen (44) aus Nürnberg versprühen Optimismus: "Machbar", sagt Werner, "irgendwie". Jochen hat extra trainiert, um überhaupt eine Chance beim Kampf um den Klapprad-Titel zu haben: "Eine Woche quer durch die Alpen, mitm Radl!"

"Irgendwie schaffen wir es !" (v.l.): Werner, Felix,Veit und Jochen sind extra aus Nürnberg angereist.
"Irgendwie schaffen wir es !" (v.l.): Werner, Felix,Veit und Jochen sind extra aus Nürnberg angereist. © Lutz Bäucker

154 Klappräder sind angemeldet, manche mit künstlichem Fuchsschwanz am Lenker, andere mit Bierfäßchen auf dem Gepäckträger – die Strecke zieht sich, bei den hochsommerlichen Temperaturen, da muss unterwegs "nachgetankt" werden.

Die Idee für dieses zugegebenermaßen ziemlich verrückte Bergrennen hatte vor 16 Jahren Organisator Bernhard Dinser: "Warum denn nicht?!", sagt er und grinst. Es gibt keine Preise, kein Geld, keine Urkunde. Mitmachen ist alles.

"Bei der Quälerei am Berg sind alle gleich"

"Bei der Quälerei am Berg sind alle gleich", sagt Markus, "da ist es wurscht, woher einer kommt, was er für einen Job hat". Die Gleichmacher sind ihre Fahrräder. Manche rostig direkt vom Dachboden, andere hochglanzpoliert aus dem Internet oder liebevoll gepflegt von Generation zu Generation weitervererbt: "Meine Tochter steht auf das Ding", erklärt Jochen, "aber noch brauch' ich's, zum Brötchenholen, jeden Sonntag."

Klappräder fordern besonders die Oberarmmuskeln, weiß Florian (44) aus Bad Wurzach: "Und du musst treten, treten, treten, das macht deine Oberschenkel kaputt!"

Tragen ist verboten

Dann treten sie in die Pedale: Tamas und Luis lassen ihre Beine wirbeln, wie Geschosse jagen sie am Pfrontener Leonhardskirchlein vorbei, die Zuschauer jubeln, "Go, Papa, go!" steht auf einem Transparent, Kuhglocken, Böllerschüsse, Polizeisirenen. Die Reporter hetzen zur Breitenbergbahn, um rechtzeitig oben am Ziel in 1510 Metern Höhe zu sein.

Aus lautlos dahinschwebenden Kabinen beobachten sie die Dramen des Klapprad-Spektakels, das sich auf den endlosen Serpentinen unter ihnen abspielt. Die unhandlichen Fahrräder fordern ihren Tribut.

Schon kurz nach dem Einstieg in die Wand steigt praktisch jeder ab. Schieben ist angesagt, Tragen ist strikt verboten. Der Weg ist schottrig, die Sonne sticht, die Luft wird immer dünner, der Schweiß strömt. Oben auf der Hochalpe sitzen die Zuschauer im Schatten und schlürfen kühle Getränke: "Das schaffen die nie", wird gemutmaßt, "mit solchen Fahrrädern, unmöglich, ein Wahnsinn".

Viel Zeit für das Bergpanorama und für Spekulationen bleibt nicht, bald taucht tief unten der erste Klappradler am Waldrand auf: "Das gibt's doch nicht!", begeistert sich eine Dame und wischt sich den Schweiß von der Stirn.

Dieser junge Teilnehmer gewinnt

"E-li-as! E-li-as! E-li-as!", skandiert ein Trupp junger Dirndlträgerinnen, die Startnummer 899 schleppt sich den Berg hoch, ein junger Mann im gescheckten Kuhkostüm keucht dem Ziel entgegen. Es ist der neue Weltmeister der Klappradler, Elias Keck aus Weitnau im Oberallgäu, 21 Jahre alt, mit einem Gefährt, das etwa dreimal so alt ist wie er: "Das war echt hart", japst der Champion, "einmal hätt ich fast aufgegeben".

Mit letzter Kraft: Der neue Weltmeister Elias Keck aus Weitnau schleppt sich auf dem Breitenberg ins Ziel.
Mit letzter Kraft: Der neue Weltmeister Elias Keck aus Weitnau schleppt sich auf dem Breitenberg ins Ziel. © Lutz Bäucker

Hat er aber dann doch nicht, als professioneller Skilangläufer startet Keck für den TSV Buchenberg und hat es schon in den Kader von Bundestrainer Peter Schlickenrieder geschafft. Das verpflichtet: Keck bezwingt die Wand mit einer "fifty-fifty"-Kombination aus Treten und Schieben in weniger als einer Stunde!

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Da bleibt nicht nur dem Vizeweltmeister buchstäblich die Luft weg: Dietmar Müller aus Missen im Oberallgäu ist 52 und wird zum dritten Mal Zweiter am Breitenberg: "Ich hab mir's wieder bewiesen - ich schaff's immer noch!", sagt er jubelnd und geht Arm in Arm mit Elias ein kühles Bier trinken. Alkoholfrei.

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