Leid am Fließband: "Soko Tierschutz" deckt nächsten Skandal auf

In einem Schlachthof in NRW werden Kälbchen und Schafe illegal geschächtet – das Ende eines Leidenswegs, der oft in Bayern beginnt.
Lisa Marie Albrecht
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Friedrich Mülln von der "Soko Tierschutz" am Rande einer Demonstration. (Archivbild)
Friedrich Mülln von der "Soko Tierschutz" am Rande einer Demonstration. (Archivbild) © Ralf Zwiebler/dpa

Selm/München - Rinder, denen bei vollem Bewusstsein die Kehle durchtrennt wird und die qualvoll ausbluten: Die Bilder, welche Tierschützer mit einer versteckten Kamera auf einem Schlachthof im nordrhein-westfälischen Selm (Kreis Unna) einfangen konnten, sind schwer zu ertragen. Dort, so hat es die "Soko Tierschutz" aufgedeckt, sind Kälber, Schafe und andere Tiere illegal geschächtet worden.

In den Augen der Rinder steht "die pure Verzweiflung"

"Ich war selten so wütend wie zu dem Zeitpunkt, als ich dieses Material gesehen habe", sagt Friedrich Mülln von der Augsburger Organisation. "Man sieht in den Augen der Rinder die pure Verzweiflung."

Eine Träne rollt aus dem Auge eines Kalbs, das auf einem Schlachthof in Selm ohne Betäubung getötet wird.
Eine Träne rollt aus dem Auge eines Kalbs, das auf einem Schlachthof in Selm ohne Betäubung getötet wird. © Soko Tierschutz

Schächten - also das Schlachten von Tieren ohne vorherige Betäubung - ist in Deutschland verboten, weil es einen extrem qualvollen Tod bedeutet. Zwar gibt es Ausnahmegenehmigungen, doch kaum ein Betrieb habe diese, erklärt Mülln – und in Nordrhein-Westfalen gebe es keine einzige davon.

Geschächtet: Tierleid am Fließband

Dennoch sind in dem Schlachthof Tiere offenbar nahezu ausschließlich geschächtet worden – einen solchen Fall von Tierleid am Fließband hat auch die "Soko Tierschutz" noch nie erlebt. Geschächtetes Fleisch ist vor allem für streng gläubige Juden und Muslime aus religiösen Gründen Pflicht.

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Der Kreis Unna stoppte am vergangenen Freitag die Schlachtungen in dem Betrieb, wie es in einer Mitteilung heißt. Ein Entzug der Zulassung werde geprüft. Die "Soko Tierschutz" hatte zuvor Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Dortmund erstattet.

Leidensweg der Tiere beginnt oft in Bayern

Doch für die Tierschützer hört der Skandal damit noch nicht auf. Denn vor dem qualvollen Tod der Kälber haben diese ihren Recherchen zufolge bereits einen langen Leidensweg hinter sich - der oft in Bayern beginnt. Die "Soko" fand heraus, dass Kälber in ihren ersten Lebensmonaten bis zu sechs Mal von Viehhändlern verkauft werden, bis sie im Schlachthof enden.

Etwa 30 Prozent der Kälber, die in Selm landeten, stammen aus Bayern, schätzt Mülln. Einige Fälle sind datumsgenau dokumentiert.

Mülln: "Es kann nicht sein, dass ein Lebewesen so zur Ware verkommt"

Der Weiterverkauf von Kälbern ist zwar legal, der Tierschützer sieht in den teils sehr lange dauernden Transporten und der Verladung der Tiere aber eine enorme Quälerei.

Das Kalb wird zur Schächtung gezerrt - danach wird ihm die Kehle durchgeschnitten.
Das Kalb wird zur Schächtung gezerrt - danach wird ihm die Kehle durchgeschnitten. © Soko Tierschutz

Hatten die Bauern Kenntnis davon, was mit ihren Kälbern geschieht? Ein Landwirt aus Hauzenberg (Landkreis Passau), dessen Tiere laut "Soko" nach mehreren Verkäufen in Selm landeten, verneint dies auf Nachfrage der AZ. Er habe seine Tiere guten Gewissens an den Viehhändler verkauft, der ihm versichert habe, die Tiere an einen Mäster weiterzugeben.

Er finde nicht gut, dass die Tiere so schnell weiterverkauft und geschlachtet würden. Aber er sagt auch, was nach dem Verkauf passiere, "das geht mich ja eigentlich nichts mehr an". Er wolle sich dennoch in Zukunft genauer über den Verbleib seiner Kälber erkundigen.

Tierschützer Mülln reicht das nicht - er will, dass Bauern mehr Verantwortung übernehmen. "Die wissen ganz genau, dass es ein Horrortrip wird, wenn sie die Kälber auf diese Reise schicken." Und auch das ständige Weiterverkaufen der Tiere für ein paar Cent Gewinn hält er für verwerflich. "Es kann nicht sein, dass ein Lebewesen so zur Ware verkommt, dass es verschachert wird wie ein Karton."

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5 Kommentare
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  • Phipsli am 24.03.2021 16:53 Uhr / Bewertung:

    Ein Besuch im Schlachthof hatte mich vor Jahren bewogen kein Fleisch mehr zu essen. Ich bekehre aber niemanden zum Fleischverzicht, fühle mich aber weder besser noch schlechter, gesünder oder kränker. Es ist einfach eine persönliche Entscheidung.
    In meiner Anwesenheit verfehlte nämlich ein Schlachter dem jungen Kälbchen einen korrekten Betäubungsschuss zu versetzen, das vorgeschriebene Ersatzgerät funktionierte offensichtlich nicht, sodass das Tier verletzt an den Läufen aufgehängt und ebenfalls unbetäubt ausgeblutet wurde. Horror pur - im Schlachthof (Akkordarbeit) = daily business.
    Selm ist leider kein Einzelfall bezüglich des Tierleids...

  • Der wahre tscharlie am 24.03.2021 15:45 Uhr / Bewertung:

    Letztens las ich irgendwo, dass der Fleischkonsum in Deutschland zurück geht. Kein Wunder bei solchen Fällen. Den Betreibern gehört die Genhmigung auf Lebenszeit untersagt.
    Und wie ich heute in der AZ las, dass Kälber innerhalb eines Jahres 6-7 mal weiterverkauft werden, da frag ich mich schon, was das soll.

  • am 24.03.2021 12:59 Uhr / Bewertung:

    Was für eine unglaubliche Tierquälerei! Der Betreiber und seine Handlanger gehören hinter Gitter!

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