Lehrermangel: Michael Piazolo will Pensionisten zurückholen

München - Die Stimmung unter den Lehrkräften ist gereizt, der Lehrermangel eskaliert. Tausende gingen im Februar auf die Straße. Sie demonstrierten gegen Zwangsmaßnahmen, die Mitte Januar an Grund-, Mittel- und Förderschulen vom Kultusministerium eingeführt wurden.
Es setzt hierbei auf eine Kombination aus dienstrechtlichen und freiwilligen Maßnahmen. Dabei geht es um eine Erhöhung der Teilzeit, um Mehrarbeit und einen späteren Eintritt in den Ruhestand.
Auf die Senioren hat es nun Michael Piazolo (FW) abgesehen, wie sein Schreiben belegt, das der AZ vorliegt. Darin will er auch 70-jährigen Pensionisten die Rückkehr in den Schulalltag schmackhaft machen. So eilig hatte es der Kultusminister mit seinem Brief offenbar, dass nach AZ-Informationen sogar versehentlich ehemalige Lehrer angeschrieben wurden, die bereits verstorben sind.
Eile ist auch nötig: In dem Schreiben von Anfang April muss Piazolo einräumen, dass die "vorhandenen Bewerberinnen und Bewerber nicht mehr ausreichen", um den Fehlbedarf von etwa "1.400 Vollzeitkräften" im nächsten Schuljahr auszugleichen.
"Erfahrene Kräfte" statt "Seiteneinsteiger" lautet die Devise
Damit aber die Unterrichtsversorgung gesichert werde, sollen nun "Rückkehrer" die aktiven Lehrkräfte unterstützen. Nicht auf "ungeschulte Seiteneinsteiger" hat es der Minister abgesehen, sondern "erfahrene Lehrkräfte im Ruhestand" sollten über sein Angebot "nachdenken".
Damit ihnen dies leichter fällt, liegt dem Schreiben auch gleich ein Merkblatt über "Rechenbeispiele zur Hinzuverdienstgrenze" zum Ruhegehalt bei. Je nach Besoldungsgruppe und Eintritt in den Ruhestand ist eine "monatliche Hinzuverdienstmöglichkeit" von bis zu "2.341,31 Euro brutto" möglich.
Piazolo "appelliert" an die Pensionäre, über eine Rückkehr nachzudenken, schließlich würde man "mit offenen Armen empfangen" werden.
Von "blankem Hohn" in Zeiten von Corona einen solchen Brief zu verschicken, spricht der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Deren Präsidentin Simone Fleischmann kritisiert, dass dem Kultusministerium "jegliches Feingefühl" fehle.
"Ich habe lange genug den Mangel verwaltet"
"Es ist kaum zu glauben", zitiert der BLLV eine Pensionistin, "da zählen wir alle aus Altersgründen zur Corona-Risikogruppe. Wir sollen keinen Kontakt zu den Enkelkindern haben und dann sollen wir zu den Kindern in die Schule. Corona ist doch bis September nicht erledigt. Da fühlt man sich als Kanonenfutter. Will man vielleicht unsere Pensionen einsparen?"
Eine ehemalige Grundschulleiterin zur AZ: "Ich habe lange genug den Mangel verwaltet". Mit über 70 Jahren stelle sie sich keinesfalls zur Verfügung, "um Fehlplanungen auszugleichen". Präsidentin Fleischmann fordert, die Rettung der Unterrichtsversorgung "nicht auf der Gesundheit der Pensionisten auszutragen."
Das Kultusministerium teilt auf Anfrage mit, dass es sich um ein freiwilliges Angebot an ehemalige Lehrkräfte handle, die sich für ihre Schülerinnen und Schüler noch engagieren und etwas hinzuverdienen wollen. Zudem erklärt Günther Schuster, Pressesprecher des Kultusministeriums: "Erste Rückmeldungen zeigen, dass es einige Lehrkräfte gibt, die hieran Interesse haben." Ein möglicher Einsatz im Schuldienst müsse selbstverständlich abhängig vom Infektionsgeschehen zum Beginn des Schuljahres 20/21 unter Berücksichtigung des Infektionsschutzes erfolgen.
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