In dieser bayerischen Schule ist digital komplett normal
Schöllnach - In wissbegierige Augen schaut Andreas Oswald (41) momentan nicht. Jedenfalls nicht direkt. Auch nicht in ängstliche oder vielleicht übermüdete. Bayerns Schulen sind dicht, die Schüler daheim, der Realschullehrer für Deutsch und Geschichte ebenso.
Seine Klassen der Staatlichen Realschule Schöllnach im Landkreis Deggendorf sieht Konrektor Oswald vorerst nur bei virtuellen Meetings. Pixel statt Präsenz. So weit, so normal. Also in Krisenzeiten jedenfalls.
Die Realschule lernt seit Jahren digital
Corona-Verzweiflung und Technik-Chaos, wie man es von so manch anderen Schulen im Freistaat hört, herrscht in der niederbayerischen Realschule jedoch nicht. Digitales Lernen und Lehren ist dort Alltag – nicht erst seit Corona. Sondern seit Jahren. Davon profitiert die Schulgemeinschaft jetzt in der Krise enorm.
Oswald will diese positiven Erfahrungen mit der Digitalisierung sichtbar machen, weil im Moment ohnehin so viel über Schulen "gschimpft" wird. Das sagt er nicht überheblich, nicht besserwisserisch, nicht belehrend. Sondern als jemand, der offen für den Unterricht von Morgen ist. Er druckt schon jetzt kein Blatt Papier mehr aus und ist "Riesen-Fan" von der Lernplattform Mebis.
Seit 2016 nimmt die Schule am Projekt "Digitale Schule" teil
Aber warum läuft es nun in Schöllnach rund, und bei anderen hakt es? "An unserer Schule war man schon vor vielen Jahren der Meinung: Mit digitalen Methoden zu arbeiten, bringt Vorteile." Seit 2016 ist die Realschule zudem eine von acht Schulen in Bayern, die beim Projekt "Digitale Schule 2020" mitmachen. Es geht dabei darum, digitale Medien für Lehr- und Lernprozesse zu nutzen. Schon diverse TV-Sender wollten sich das vor Ort genauer anschauen. Kürzlich drehte RTL bei Oswald daheim.
Anwesenheitspflicht ab 8 Uhr – auch online
Und wie schaut der Unterricht nun konkret aus? Für das Corona-Homeschooling hat die Schule festgelegt, dass der Unterricht nach dem bestehenden Stundenplan abgehalten wird. Das heißt: Ab 8 Uhr besteht Anwesenheitspflicht. In jeder Stunde gibt es ein kurzes Video-Meeting über Microsoft Teams.
Dann gehen die Methoden der einzelnen Lehrer auseinander: "Es kommt auf das Fach, die Klasse, den Jahrgang an", erzählt Oswald im Gespräch mit der AZ. Bei Mathe oder Englisch zum Beispiel ergäben Videokonferenzen oder Live-Erklärstunden mehr Sinn als etwa in Geschichte oder Erdkunde. "Bei mir bekommen sie oft Wochenaufgaben, bei denen sie dann selbst bestimmte Sachen erstellen müssen", sagt der Lehrer.
Der Lehrer bleibt im Chat für die Schüler erreichbar
Das war auch vor Corona schon so, weswegen seine Schüler laut Oswald nahezu keinen Unterschied merken – außer, dass sie nun eben daheim und nicht in der Schule ihre Aufgaben erledigen. Während die Schüler selbstständig arbeiten, bleibt Oswald im Chat oder der Besprechung erreichbar, gibt Verbesserungsvorschläge oder korrigiert Aufgaben.
Aktuelle Beispiele: Achte Klasse, Geschichte. Es steht der Wiener Kongress auf dem Plan. Oswalds Arbeitsauftrag: eine Landkarte erstellen, wie Europa vor und nach Napoleon ausgeschaut hat. Seine siebte Klasse beschäftigt sich mit dem Investitur-Streit und hat die Aufgabe, dazu ein kurzes Video zu gestalten.
Und seine Zehntklässler sollen den Bau der Berliner Mauer kreativ umsetzen – das Medium dafür dürfen sie sich selbst aussuchen. Von Webseite bis Online-Vortrag – alles ist möglich. "Das Entscheidende ist, dass sie die Aufgabe selbst erarbeiten. Sie sollen lernen, anderen Inhalte zu vermitteln."
Online-Unterricht: Für viele Schüler ein Vorteil
Diese Art von Unterricht hat für bestimmte Schüler einen besonderen Vorteil: "Es gibt Schüler, die im normalen Unterricht untergehen, weil sie schüchtern sind oder sich nichts sagen trauen. Und hier stellen sie plötzlich Projekte zusammen, die einfach hervorragend sind."
Die Rückmeldungen seien überwiegend positiv. "Natürlich haben wir auch Leute, die kein gutes Internet daheim haben, aber im Großen und Ganzen sind die Rückmeldungen in den bisherigen Eltern-Fragebögen fast zu 90 Prozent sehr gut bis gut", so der Lehrer.
Und das, obwohl es für die Schüler deutlich mehr Arbeit bedeutet. "Eine Webseite zu erstellen, das bedeutet harte Arbeit. Der Aufwand im Vergleich zu einer einfachen Ex ist deutlich höher. Aber die meisten finden die Art und Weise des Unterrichts gut."
Sein Rat: Seminare und eine "Kultur des Teilens"
Dazu kommt: "Auf dem Papier haben unsere Schüler so viel Unterricht wie noch nie" – denn in der Krise fielen sämtliche Fahrten, Exkursionen und Ähnliches aus. Distanz-Unterricht sei im Übrigen auch für Lehrer keineswegs wie Ferien – "Unterricht in Präsenz ist die deutlich einfachere Variante".
Natürlich bekommt er die Baustellen in Sachen Homeschooling mit und auch er hat Kritikpunkte. Etwa die Kommunikation von Seiten der Politik – wenn sie als Betroffene zum Beispiel etwas erst aus den Medien erfahren.
Auch an der Technik hapert es vielerorts, dem ist sich der Konrektor bewusst. "Wenn ich von anderen Kollegen höre, sie haben nicht einmal WLAN in der Schule – wie sollen die dann mit Tablets arbeiten?" Die Beschaffung von Geräten wie Rechnern gestaltet sich zuweilen umständlich und langwierig - das hemmt.
Was er lobt: Mittlerweile gebe es viele Möglichkeiten für Lehrer, an Fortbildungen zum Thema digitaler Unterricht teilzunehmen. Er rät anderen Lehrkräften zudem: nachfragen, sich austauschen. Die "Kultur des Teilens" sei gefragt. Man dürfe sich zudem nicht abschrecken lassen, manche Ideen gingen auch mal in die Hose. Aber am Ende des Tages motivieren Oswald auch Nachrichten von Eltern wie diese: "Wir sind so froh, dass unser Kind bei euch ist."
- Themen:
- Covid-19