In Bayern gibt es immer weniger Hebammen - Mit einer Hebamme unterwegs

In Bayern fehlen die Hebammen – in der Klinik, aber auch in der Nachsorge. Die AZ hat eine von ihnen begleitet – und gefragt, warum das so ist.
Lisa Marie Albrecht |
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Juliette Mihaljevic mit ihrem kleinen Sohn Alphonse – sie wird von Hebamme Angelika Füßl-Geier (kl. Foto) betreut.
Sigi Müller Juliette Mihaljevic mit ihrem kleinen Sohn Alphonse – sie wird von Hebamme Angelika Füßl-Geier (kl. Foto) betreut.

München - Schon als die Tür ins Schloss fällt, meldet der drei Wochen alte Alphonse Mihaljevic lautstark, dass er Hunger hat. Das gellende Babygeschrei ist die Melodie von Angelika Füßl-Geiers Beruf. Ganz selbstverständlich nimmt die 56-jährige Hebamme den kleinen Buben aus dem Arm der Mama, legt ihn auf die Wickelunterlage und untersucht ihn. Danach beginnt für Mutter Juliette die Stillzeit.

Jeder Handgriff von Füßl-Geier ist Routine, schließlich arbeitet sie schon seit fast 30 Jahren als Hebamme in München. Inzwischen betreut sie die Mütter nur noch vor und nach der Geburt. Obwohl das Jahr nur ein paar Wochen älter ist als Alphonse, ist ihr Terminkalender schon bis Herbst voll. Mittlerweile würden sich die Frauen in der fünften Woche bei ihr melden. "Sie sind teilweise sehr verzweifelt, sagen mir, dass ich die dreißigste Hebamme bin, die sie anrufen", sagt Füßl-Geier der AZ. Wenn sie absagt, höre sie manchmal, wie am anderen Ende der Leitung die Tränen heruntergeschluckt werden.

Babyboom in München und Bayern

Im Jahr 2016 sind im Freistaat 125,.700 Kinder zur Welt gekommen, so viele wie seit 18 Jahren nicht mehr. In München gab es über 18.000 Geburten, deutlich mehr als in den Jahren zuvor. Gleichzeitig fehlt es an Hebammen und die Zahl der Geburtsstationen nimmt ab: Seit 2015 wurden laut Deutschem Hebammenverband allein in Bayern acht Kreißsäle geschlossen, zwei weitere vorübergehend. Im schwäbischen Dillingen muss die Geburtshilfe im März aus Personalmangel für drei Monate schließen.

Beleghebammen bekommen nur noch zwei Geburten bezahlt

Es sind vor allem die kleinen Geburtshilfestationen auf dem Land, die zumachen müssen. Den Hebammen wird die Arbeit zusätzlich durch einen Schiedsspruch erschwert, der seit Anfang des Jahres in Kraft ist. Laut diesem bekommen freiberufliche Hebammen, sogenannte Beleghebammen, nur noch die parallele Betreuung von zwei Frauen während der Geburt bezahlt.

Astrid Giesen, Erste Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbands, hält dieses Verhältnis grundsätzlich für sinnvoll, in der jetzigen Mangelsituation jedoch für realitätsfern. Um ein angemessenes Einkommen zu erzielen, müssen die Hebammen rund um die Uhr zwei Frauen betreuen. "In kleinen Geburtsabteilungen ist das nicht gegeben", so Giesen. In großen Geburtshäusern dagegen fehlt es an der benötigten Hebammenzahl – realistisch sei eher, dass die Hebammen drei, vier oder gar fünf Frauen gleichzeitig betreuen müssen.

Hundert Prozent mehr Leistung

Auch die Betreuung im Wochenbett empfindet Füßl-Geier als "schrecklich". Besonders in München, aber auch bayernweit fehlt es an Personal. Die bayerische Hebammenverbands-Chefin Giesen erklärt den Bedarf damit, dass Frauen früher durchschnittlich zehn Tage im Krankenhaus waren. Heute dagegen würden die Frauen nach 48 Stunden nach Hause kommen und benötigten tägliche Besuche. "Es wird 100 Prozent mehr Hebammenleistung gefordert", so Gießen. "Doch es wurden nicht entsprechend viele Hebammen ausgebildet."

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Juliette Mihaljevic gehört zu denen, die Glück hatten. Schon beim ersten Frauenarzttermin hat ihr eine Hebamme drei Adressen gegeben, eine davon war Füßl-Geier. Aber eingestellt habe sie sich auf eine lange Suche, sagt die 32-Jährige. Wenn sie keine Hebamme gefunden hätte, dann hätte sie sich an Freundinnen mit Kindern gewandt und Rat gesucht, sagt sie pragmatisch. Sie überlegt kurz. "Aber es gibt viel Aberglauben, und dann ist es schwierig zu entscheiden, ob die Person einen fachgerechten Rat gibt oder nur etwas aufgeschnappt hat".

Das Ministerium kann keinen Mangel erkennen

Heute, sagt Füßl-Geier ehrlich, würde sie sich nicht unbedingt noch einmal für ihren Beruf entscheiden. Dabei teilt das Gesundheitsministerium auf Anfrage mit, dass ein Hebammenmangel in Bayern durch Zahlen nicht belegbar sei. Die Zahl der freiberuflichen und angestellten Hebammen sei von 2004 bis 2016 sogar von 2.400 auf 3.700 gestiegen. Um Ursachen für die Engpässe zu erforschen, hat das Ministerium eine Studie in Auftrag gegeben, die Ergebnisse kommen im Frühjahr. Ein Förderprogramm über 30 Millionen Euro soll Kommunen und Geburtshilfeabteilungen im ländlichen Raum stärken.

Das Münchner Gesundheitsreferat sieht die Gründe für den Mangel in den hohen Versicherungsprämien, anspruchsvollen Berufsbedingungen, aber auch in hohen Lebenshaltungskosten. Hilfe für Mütter will man unter anderem mit einer Hebammen-Hotline schaffen.

Bessere Bezahlung und Ausbildung könnte helfen

Um Nachwuchs zu gewinnen, fordert Giesen, dass Hebammen an Hochschulen ausgebildet werden, wie es die EU vorgibt, und eine angemessene Bezahlung. Füßl-Geier wünscht sich für München einen Pool an "Notfall-Hebammen" von der Stadt, auch, damit Ärzte entlastet werden.

Für den kleinen Alphonse ist die Welt inzwischen wieder in Ordnung. Satt kuschelt er sich an Mamas Brust. Füßl-Geier steht im Türbogen und lächelt in sich hinein. "Wahrscheinlich würd ich’s doch wieder machen", sagt sie, bevor sie ihren Rucksack nimmt. Man kann nur hoffen, dass künftigen Hebammen diese Entscheidung leichter gemacht wird – und die Mamas am Telefon nicht mehr mit den Tränen kämpfen müssen.

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