Ein toter Beruf: Besuch bei einer Münchner Schriftsetzerin
Christa Schwarztrauber ist Schriftsetzerin. Ein Beruf, den es im Grunde nicht mehr gibt. Die AZ hat in Schwarztraubers Münchner Werkstatt eine Reise in die Vergangenheit unternommen.
Im Grunde ist Christa Schwarztraubers Beruf ausgestorben. Trotzdem steht sie in einem Keller in Haidhausen, an einer alten, lauten Druckmaschine. An der Hüfte der Frau mit den schulterlangen dunkelblonden Haaren hängt eine Schürze aus Leder: leicht eingerissen und stark verdreckt mit Farbresten aus 20 Jahren Arbeit. Schwarztrauber reibt beim Drucken daran immer die Farbe ab. Denn sie ist Schriftsetzerin, eine der letzten in München.
Als Begründer des Schriftsatzes in Europa gilt Johannes Guttenberg. Mitte des 15. Jahrhunderts revolutionierte er durch seine Druckerpresse mit handgegossenen Lettern den Buchdruck in der westlichen Welt. Schwarztrauber beschreibt den Schriftsatz als ehrbare Arbeit. Laut der Handwerkskammer für Oberbayern und München existiert er aber seit 2007 nicht mehr, das Gewerk ist 2011 im Beruf "Drucker" aufgegangen.
Wenn Schwarztrauber einen Text setzt, greift sie in einen ihrer Setzkästen, sucht den Buchstaben in der gewünschten Größe und Schriftform und steckt ihn in einen sogenannten Winkelhaken. Das macht sie so lange, bis sie alle Lettern beisammenhat. Zuletzt muss sie mit Füllmaterial das Konstrukt stabilisieren. Der heutige Digitaldruck macht diese Arbeit überflüssig: Mit einem Computer kann jeder einen Text selbst erstellen. Der Arbeitsaufwand und die Produktionskosten sind geringer – Schwarztraubers Beruf lohnt sich nicht mehr.
Die Setzerin weiß, dass sie mit dem digitalen Druck nicht mithalten kann. Sie weiß auch, dass Laien mit einem Computer ebenfalls schöne Texte herstellen können. Sie arbeitet trotzdem gerne: „Das soll keine Konkurrenz zu den neuen Medien sein“, sagt die Frau, die ihr Alter nicht verraten möchte. „Sondern ich möchte hier das alte Handwerk weiter pflegen.“
Meisterbrief nur für Männer
Schwarztrauber lernte das Setzen in der Druckerei ihrer Eltern in der Pfalz – damals eine ungewöhnliche Arbeit für eine Frau. Auf Schwarztraubers erstem Meisterbrief stand: "Christa Schwarztrauber – Er ist berechtigt, den Lehrmeistertitel zu führen“. Erst nachdem sie sich beschwerte, bekam sie ein Dokument mit weiblichen Pronomen.
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts begann der Fotosatz, den Handsatz zu verdrängen. Beim Fotosatz werden die Buchstaben auf einen Trägerfilm belichtet. Setzer können direkt am Gerät verschiedene Schriftgrößen einstellen. Die Druckereien stellten um, viele Bleisätze kamen auf den Flohmarkt: "Mein erster Kauf war eine Kiste voll mit Interpunktionen", sagt Schwarztrauber. "Denn die wollte niemand haben."
Wie in einem Museum
Zunächst sammelte Schwarztrauber alte Bleisätze. 1989 erzählte sie einer Freundin von ihrer Sammlung. Die war von dem Ganzen so begeistert, dass sie Schwarztrauber überredete, die Werkstatt zu gründen. Heute sieht es dort aus wie in einem Museum: Vier alte Handdruckmaschinen hat die Setzerin, doch sie benutzt überwiegend nur eine – aus Platzgründen. Dutzende Walzen hängen von der Decke. Die Wände sind voller Setzkästen, gefüllt mit Lettern aus Blei und Holz. Vieles fand sie durch Zeitungsanzeigen. Heute hat sie 90 Blei- und 90 Holzschriften. Über wie viele Lettern sie aber genau verfügt, kann sie nicht sagen. Schwarztrauber schätzt, dass in einem vollen Schriftkasten mit einer kleineren Schriftgröße zwischen 10 und 15.000 Buchstaben liegen.
Wenn der Druckfehlerteufel herumspukt
Trotz ihrer jahrelangen Erfahrung unterlaufen Schwarztrauber noch Fehler: "Rechtschreibfehler sind eine üble Tat vom Druckfehlerteufel, der hier überall rumspukt“, sagt sie. "Den kann man auch nicht ausmerzen." So arbeitete Schwarztrauber einmal mit einer Künstlerin an einem Buch. Doch erst beim Buchbinder merkte sie: Bei München fehlt das "n". "Meistens passieren Fehler bei einfachen Wörtern", sagt die Setzerin. "Bei schwierigen eher weniger."
Setzen kostet Geld
Bis zu ihrer Rente arbeitete Schwarztrauber hauptberuflich in einem Druckereibüro. Die Werkstatt war nie als zweites Standbein gedacht, sondern "als kreativer Ausgleich". Dennoch kostet ihre Leidenschaft Geld. Heute muss sie ab und an einen Teil ihrer Rente in ihre Werkstatt investieren. Auftragsarbeiten wollte sie nie machen, zu viel Druck und Stress. In der Anfangszeit entwickelte sie mit einer Freundin eine Ausstellung zum Thema alleinerziehende Frauen, die bundesweit ausgeliehen wurde. Ab 1996 verkaufte sie eigene Arbeiten zu Weihnachten im Kaufhaus Beck und auf verschiedenen Messen. Aufgrund steigender Standkosten ist Schwarztrauber auf kleinere Ausstellungen ausgewichen.
Heute lehrt sie jeden Dienstag Waldorfschüler ihr Handwerk. Die Ergebnisse – kleine Textbroschüren – verkauft die Rentnerin auf Künstlermessen. Wer selbst etwas drucken möchte, kann Gruppenkurse buchen. Persönlich produziert sie Sachen, die sie "schön findet“. Dazu gehören unter anderem Typografien, Minileporellos und Buchkunst in Zusammenarbeit mit verschiedenen Künstlern.
Spaß bei der Arbeit
Schwarztrauber ist seit 15 Jahren in Rente. Sie gibt zu, dass die Arbeit immer mühsamer wird. Dennoch hat sie Spaß daran – sie will damit das alte Handwerk am Leben halten. Wie lange sie das noch macht, weiß sie nicht. Aber eines weiß sie: Was mit ihrer Schürze, die sie seit 20 Jahren trägt, passieren wird: "Das ist meine Lieblingsschürze", sagt sie. "Eines Tages werde ich sie einrahmen."
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