Hubert Aiwanger: Ich bin einer, der helfen will

München - Hubert Aiwanger (48) ist bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie. Die AZ hat sich mit dem Chef der Freien Wähler unterhalten.
AZ: Herr Aiwanger, in Kürze sind Sie 100 Tage stellvertretender Ministerpräsident – zweitmächtigster Mann im Freistaat. Müssen Sie sich morgens noch kneifen, um zu begreifen, was da passiert ist?
HUBERT AIWANGER: Ehrlich gesagt, nein. Ich bin in der Realität angekommen. Mir war schon im Wahlkampf klar, dass es so ausgehen wird. Ich habe auch immer gesagt: Der CSU wird’s nicht reichen, keine Sorge, das schaffen wir. Da haben viele noch an eine Dreier-Koalition oder an Schwarz-Grün geglaubt. Als das Wahlergebnis da war, habe ich sehr schnell zu Söder gesagt, dass wir für eine bürgerliche Regierung bereitstehen. Du brauchst nur noch ja sagen, dann ist’s erledigt.
Mit den Grünen wäre es wohl nicht ganz so flott gegangen.
Es wäre vielleicht spannend geworden für die Medien, aber es hätte massive politische Lähmung gebracht. Ich wollte aber auch keine ideologischen Grundsatzdebatten führen, vielleicht über die Frage, ob wir Kreuze jetzt wieder abhängen. Nein, ich wollte gezielt die Probleme Bayerns lösen. Das Ganze auf vernünftiger Verhandlungsgrundlage, ohne sich gegenseitig vorzuführen.
Aiwanger: Die Freien Wähler kommen nicht unter die Räder
Die Arbeit macht mehr Spaß, seit Sie Minister sind?
Natürlich. Früher mussten wir Volksbegehren auf den Weg bringen, heute geht vieles direkt vom Kabinettstisch.
Die Frage kommt vielleicht ein bisschen früh: Glauben Sie, dass diese Konstruktion aus CSU und Freien Wählern ein Zukunftsmodell sein wird?
Davon gehe ich aus. Ich glaube, dass wir in dieser Koalition sogar zulegen werden an Zustimmung, weil wir jetzt deutlich mehr Möglichkeiten haben.
Es heißt doch, dass der kleinere Koalitionspartner stets unter die Räder kommen würde.
Das sehe ich nicht so. Im Gegenteil. In vielen Gebieten holen wir 20, 30 Prozent. Wenn wir in den großen Städten wie München um die acht, neun Prozent bekommen und auf dem Land 15 bis 20 Prozent – da sehe ich uns strategisch eher in einer Wachstumsphase.
Hinderlich könnte da sein, dass Sie viele Menschen gar nicht richtig kennen. Für die sind Sie "Mr. Freie Wähler" oder der Ferkel schenkende Landwirt aus Niederbayern...
...der Bairisch spricht und vom Dorf kommt...
Genau. Nervt Sie dieses Image?
Ich trage es mit einer gewissen Gelassenheit. Teilweise geht es allerdings über die Realität hinaus und bietet ein Zerrbild. Mir sagen die Leute, dass das Bild, das über die Medien transportiert wird, viel negativer ist als das Bild, das entsteht, wenn sie mich persönlich kennenlernen. Das sollte auch den Medien zu denken geben, wenn sie nicht an Glaubwürdigkeit verlieren wollen.

Aiwanger: "Traue mich zu sagen, dass ich ein Bauer bin"
Arbeiten Sie an Ihrem Image?
Das Klischee des bodenständigen Landbewohners, dafür schäme ich mich nicht. Ich traue mich auch zu sagen, dass ich ein Bauer bin und aus der Landwirtschaft komme. Das wird allerdings in vielen Berichten dargestellt als zurückgeblieben und nicht auf der Höhe der Zeit. Dieses Etikett lasse ich mir nur ungern anheften. Teilweise steckt da Methode dahinter, da sollen die Freien Wähler diskreditiert werden. Aber das wird irgendwann auf die Medien zurückfallen, die dieses Bild transportieren.
Welche zum Beispiel?
Ich habe zu den herablassenden Kommentaren über mich seitens einer wichtigen Zeitung gesagt, dass es mittlerweile an Rassismus grenzt, was ihr da macht. Wenn ihr in mir die zurückgebliebene Dorfbevölkerung personifizieren und mich da vorführen wollt, dann ist es, wie in eine Kolonie zu fahren, um sich dort arrogant über die Ureinwohner lustig zu machen.
Warum, glauben Sie, stellt man Sie so dar?
Was da versucht wird, ist, verschiedene Milieus aufeinanderprallen zu lassen, verschiedene Gesellschaftsbilder. Auf dem Land ist das Konservativere, das Bodenständigere, das Traditionellere zuhause, in der Stadt das Liberalere und so weiter. Man sollte diese Weltbilder nicht so gegeneinander ins Feld führen, was jedoch gezielt getan wird.
Aber in Bayern gibt es diese beiden Welten doch auch, betrachtet man zum Beispiel das wirtschaftlich hochgerüstete München und die mit Problemen kämpfende Oberpfalz.
Das ist ein ganz großer gesellschaftlicher Auftrag, das Land zusammenzuhalten, keine Stadt-Land-Konflikte heraufzubeschwören.
Aiwanger: Hier liegen meine Stärken
Wie kann das gelingen?
Ganz einfach, indem man Verständnis füreinander erzeugt. Das hat nicht nur mit Land zu tun, sondern auch mit Handwerk, mit Mittelstand, überhaupt mit praktischer Tätigkeit. Nicht, dass sich hier eine Hochdeutsch sprechende Elite abkoppelt von denen, die sich bei der Arbeit die Hände schmutzig macht und Bairisch spricht. Diese Spaltung dürfen wir nicht zulassen.
Zurück zur Person Hubert Aiwanger. Werden Sie häufig unterschätzt?
Offenbar ja, das ist Vor- und Nachteil. Vorteil, weil ich da bisher in der Regel positiv überraschen konnte. Aber jetzt ist der Zeitpunkt da, die Dinge möglichst real zu sehen. Ich sage nicht, dass ich besonders klug bin, aber ich habe politisch schon etwas bewegt bei und mit den Freien Wählern und bin auch als Vorsitzender immer mit sehr guten Ergebnissen gewählt worden. Das sollte einmal nüchtern zur Kenntnis genommen werden.
96,6 Prozent der Delegierten haben Sie 2018 zum Vorsitzenden gewählt – da hätte sich sogar Honecker Freude. Aber wir schweifen ab. Verraten Sie doch einmal, wie Sie wirklich sind, wo Ihre Stärken liegen?
Ja, wie bin ich? Ich versuche, vernetzt zu denken, nicht eindimensional. Jedes Thema, das man anfasst, muss man in seiner Gesamtheit betrachten. Ich glaube auch, dass ich Leute zusammenführen und für eine Idee begeistern kann.
Diese Politiker haben die dreckigsten Dienstwagen
Sie sind ein guter Moderator?
Wenn ich Leute mit unterschiedlichen Interessen habe wie beim Energiegipfel, wenn da ein Stromtrassengegner und ein Großindustrieller an einem Tisch sitzen und am Ende nicht zerstritten gehen, sondern sagen: Wir müssen das gemeinsam packen – dann geht an dieser Stelle nicht mehr. Solche Dinge sind mir bisher immer ganz gut gelungen.
Sie haben jetzt viel über den Politiker Hubert Aiwanger gesprochen, aber wie sind Sie als Mensch, wie würden Sie sich charakterisieren?
Ich bin schon einer, der jedem helfen will. Aber das hat seine Grenzen, weil vieles zeitlich gar nicht zu bewerkstelligen ist. An mich werden so viele Wünsche herangetragen, die ich schlicht nicht mehr erfüllen kann. Mal kam einer, der sagte, dass ihn seine Schwester beim Testament betrogen hätte. Er bat darum, dass ich ihm helfe, die Sache zu korrigieren. So etwas kann ich natürlich nicht. Der muss zum Anwalt gehen oder zum Notar. Aber so etwas beschäftigt mich, da bin ich nicht kaltschnäuzig genug, um zu denken, das ist mir wurscht.
Aiwanger sieht sich "meist viel zu nachsichtig"
Das klingt sehr empathisch. Innerparteilich wurden Ihnen allerdings auch schon "diktatorische Führungsverhältnisse wie in Kuba" nachgesagt.
Das waren missgünstige Kritiker, auf die dieses Etikett selbst zutrifft. Ich fühlte mich da nicht angesprochen.
Sind Sie ein strenger Mensch?
Im Gegenteil. Ich bin meist viel zu nachsichtig. Nein, ich habe noch von keinem gehört, dass ich zu streng bin. Sondern: Viele raten mir, öfter auf den Tisch zu hauen, mir nicht alles gefallen zu lassen. Das höre ich regelmäßig. Aber intern hat noch keiner gesagt: Aiwanger, du bist ein Diktator. Diesen nachsichtigen Führungsstil habe ich nun seit zwölf Jahren, als ich Landesvorsitzender wurde. Lieber lasse ich mir ein wenig auf der Nase herumtanzen, als dass ich ungerecht oder zu streng wäre.
Trifft das auch auf die Erziehung Ihrer beiden Buben zu, den sechsjährigen Laurenz und den zweijährigen Adrian?
Ja, die will ich lieber für etwas begeistern, sie positiv mitnehmen. Es würde mir widerstreben, sie hart anzufassen.
Verwöhnen Sie Ihre Kinder – als Ausgleich für die viele Zeit, die Ihr Beruf in Anspruch nimmt?
Verwöhnen nicht, aber schon die Dinge tun, die sie gerne tun: Geschichten erzählen, Bücher vorlesen, spielen, auch einmal raus in die Natur gehen. Letzten Sonntag war ich mit dem Kleinen im Wald und habe ihm die Bäume und einen Fuchsbau gezeigt. Der ist begeistert von den Tieren, erkennt schon viele Spuren im Schnee, Hase, Reh. Von solchen Eindrücken sind die Kinder so fasziniert, da muss man nicht schimpfen, wenn daheim mal irgendwas runterfällt.
Sie sind passionierter Jäger. Wie erklären Sie Ihren Kindern, dass Sie auch auf süße Bambis schießen müssen?
Der Große weiß schon sehr viel über die Jagd. Die gehört für ihn ganz ungeniert dazu als eine Form der Landnutzung. So wie man Früchte erntet, so wie der Landwirt sein Vieh durch den Akt der Schlachtung zu Lebensmittel umwandelt, so muss man manche Tiere bejagen, damit Bodenbrüter nicht unter Druck kommen. Und man schießt Reh, Hase und Wildente, weil es einen köstlichen Braten gibt.
Über Sie und Ihre Lebensgefährtin Tanja Schweiger ist zu lesen, dass sie – örtlich – getrennt voneinander leben: Sie auf ihrem Hof bei Rottenburg an der Laaber im Landkreis Landshut, Frau Schweiger in Pettendorf im Landkreis Regensburg. Zwischen Ihnen liegen immerhin 50 Kilometer. Wie kriegen Sie das hin?
Das stimmt so nicht. Ich bin zwar so oft wie möglich auf dem Bauernhof in der Nähe von Landshut, lebe aber mit Frau und Kindern in der Nähe von Regensburg. Ansonsten bin ich natürlich viel in München.
Aiwanger: Die Schwiegereltern schmeißen den Laden
Und der Hof?
Das ist der elterliche Hof. Da haben wir jetzt keine Tiere mehr, bisher Milchvieh und Zuchtsauen. Stattdessen bauen wir nachwachsende Rohstoffe an. Die Pflanze heißt Durchwachsene Silphie und kommt in die Biogasanlage. Das macht nicht so viel Arbeit wie früher mit den Tieren.
Jetzt leben Sie also zusammen. Ist das nicht kompliziert? Ihre Lebensgefährtin ist ebenfalls in der Politik, ebenfalls bei den Freien Wählern – derzeit ist sie Bezirksvorsitzende der Oberpfalz und Regensburger Landrätin.
Kompliziert ist das nicht. Wenn wir außer Haus sind – das ist der überwiegende Teil des Tages –, passen die Schwiegereltern auf die Kinder auf. Die schmeißen den Laden.
Wenn Sie beide daheim sind, reden Sie angeblich nie über Politik. Stimmt das wirklich?
Wir reden tatsächlich erstaunlich wenig über Politik zuhause. Manchmal lässt es sich nicht ganz vermeiden. Neulich kam der Große und hat gesagt: Jetzt redet über uns Kinder und nicht über Politik. Aber es ist nicht so, dass wir uns ständig thematisch austauschen, das läuft eher ungezwungen.
Sie kommen wie Ihre Lebensgefährtin aus einer konservativ geprägten Gegend. Wann heiraten Sie?
Eine viel gestellte Frage! Wir haben keine konkreten Pläne, das lassen wir auf uns zukommen. Dabei stehe ich der Institution der Ehe nicht kritisch gegenüber, im Gegenteil. Zur Zeit wüssten wir aber gar nicht, wie wir das zeitlich umsetzen sollten. Standesamtlich ginge vielleicht schnell, aber damit ist das nicht zufriedenstellend erledigt.
Sieht Ihre Lebensgefährtin das genauso?
Ja.