Hochwasseropfer (76): "Was soll ich denn jetzt machen?"

Anzenkirchen - Sie steht knöcheltief im Schlamm. Beim Versuch, einen Schritt nach vorne zu machen, bleibt der Schuh in der graubraunen Schlacke stecken. Mit einem Besen versucht sie, Holz, Metall und Schutt aus dem Hausflur zu schieben. Richtige Kehrbewegungen sind kaum möglich.
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Im Erdgeschoss stapeln sich Kühlschrank, Waschmaschine und andere Haushaltsutensilien wie trotzig hingeworfene Bauklötze. Die Szene wirkt, als hätte man das Haus einmal umgedreht und dann mit Schwung wieder an seinen Platz geworfen. Ein Blick in die Zimmer macht deutlich: Hier ist nichts mehr zu retten. Die Möbel, Böden, ja die komplette Einrichtung im Haus von Erna Breitenbachs Schwester sind vom Hochwasser zerstört worden.
Wassermassen schließen die beiden Frauen ein
Mindestens einmal in der Woche besucht die 76-Jährige ihre pflegebedürftige Schwester Maria in Anzenkirchen, einem Ortsteil der so schwer vom Hochwasser getroffenen Gemeinde Triftern. Am Mittwochnachmittag sind die beiden Frauen von den Wassermassen überrascht worden. Von einer Minute auf die andere drückte die braune Brühe über den Keller und zur Haustüre herein.
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Erna Breitenbach erkennt den Ernst der Lage. "Ich wusste, die Maria hat ihr Schlafzimmer im Erdgeschoss, da konnte sie auf keinen Fall übernachten", sagt die 76-Jährige am Tag nach der Katastrophe. Sie richtet einen provisorischen Schlafplatz im ersten Stock ein. In einem Kraftakt bringt sie ihre Schwester über die Treppe im oberen Stockwerk in Sicherheit. Am späten Nachmittag läuft das Erdgeschoss dann fast bis zur Decke voll. Jetzt sitzen beide Frauen im ersten Stock fest.
"Noch nie dagewesen." Und: "So etwas habe ich hier in meinen Leben nicht gesehen." Das antworten die Anzenkirchner auf die Frage, ob es im Dorf schon mal ein ähnliches Hochwasser gegeben hat. Meterhoch türmen sich Sperrmüllberge am Straßenrand, in den Gartenzäunen hängt das Grünzeug, das der übers Ufer getretene Altbach mitten durch die Siedlungen gespült hat. In der Luft liegt ein Geruchsgemisch aus Moder und Heizöl.
Die Feuerwehr klappert am Morgen danach Haus für Haus ab und erkundigt sich nach möglichen Heizölfässern im Keller. Einige davon hat das Wasser in der Nacht einfach freigelegt und fortgespült. Fortgespült worden sind auch der Geldbeutel und der Autoschlüssel von Erna Breitenbach. "Ich habe beides auf ein Regal gelegt, doch das ist jetzt weg. Was soll ich denn jetzt machen?", sagt die 76-Jährige.
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Gemeinsam mit ihrer Schwester hat sie die Nacht im ersten Stock gut überstanden. Das größte Problem für die beiden Seniorinnen: Der Zugang zur Toilette ist durch die Wucht des Wassers mit Möbelstücken und einer herausgerissenen Tür blockiert gewesen. Sie konnten also nicht aufs Klo gehen. Als das Wasser am Abend weiter steigt, ist Erna Breitenbach kurz davor, einen Rettungshubschrauber anzufordern für ihre pflegebedürftige Schwester. Was ist wenn das Wasser hier hoch kommt? Gemeinsam entscheiden die Geschwister, bis zum nächsten Morgen zu warten, um Hilfe für die 82-Jährige zu holen. Zu diesem Zeitpunkt ist die Straße vor ihrem Haus nur noch mit einem Boot zu befahren.
"Nur noch ein Haufen aufgeweichter Schrott"
Ein ähnliches Bild der Verwüstung findet sich ein paar Straßen weiter in der Blumenstraße. Hier fließt der sonst so beschauliche Altbach parallel zu den Häusern – am Mittwochnachmittag ist er durch ihre Häuser geflossen. "Bei uns ist alles voller Schlamm. Die Einrichtung im Erdgeschoss ist nur noch ein Haufen aufgeweichter Schrott", sagt Christoph Hafner. Er wohnt schon sein ganzes Leben neben dem Altbach und hat ihn schon oft über seine Ufer treten sehen. Dass so viel Wasser so plötzlich den Garten und die Einfahrt hochkommt, das habe er allerdings noch nie erlebt. In der Blumenstraße zeigt sich auch die riesige Solidarität, die die Anzenkirchner bei den Aufräumarbeiten an den Tag legen. Nachbarn, Freunde, Helfer aus umliegenden Ortschaften: alle packen mit an, um dem schier aussichtslosen Chaos Herr zu werden.
Strom haben die Anzenkirchener auch 24 Stunden nach der Katastrophe keinen. "Je nachdem was kaputt ist, aber das kann auch noch zwei Tage dauern, bis alle Haushalte wieder am Netz sind", sagt ein Mitarbeiter des Technischen Hilfswerk. Der unfreiwillige Verzicht auf Elektrizität ist für Erna Breitenbach im Moment eines der geringeren Probleme. Gerade hat sie ihrer Schwester in ein Fahrzeug des mobilen Pflegedienstes geholfen. Die nächsten Wochen wird die 82-Jährige in einer Pflegeeinrichtung in Bad Birnbach verbringen.
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Für Frau Breitenbach beginnen jetzt die Aufräumarbeiten. Dazu hat sie auch schon Hilfe angefordert. In ein paar Stunden kommen ihre Enkel aus dem 200 Kilometer entfernten Peiting in Anzenkirchen an. Bis dahin versucht die 76-Jährige, wenigstens ihren Geldbeutel und ihre Autoschlüssel in den Hinterlassenschaften des Hochwassers wieder zu finden.
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— Michael Burner (@Thorael) 2. Juni 2016