Gutachten bestätigt: "Deutschlands beliebtester Obdachloser" totgeschlagen

Ein Obdachloser in Immenstadt im Allgäu ist ums Leben gekommen. Ein Gutachten der LMU hat jetzt bestätigt, dass er wegen einer Gewaltattacke gestorben ist.
Patrick Guyton |
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Die Immenstädter verabschieden sich von Martin H. Seit 2018 ist die Gewalt gegen Obdachlose bundesweit um 37 Prozentgestiegen.
Die Immenstädter verabschieden sich von Martin H. Seit 2018 ist die Gewalt gegen Obdachlose bundesweit um 37 Prozentgestiegen. © Patrick Guyton

Immenstadt - Spätabends am 6. Mai dieses Jahres ist der Obdachlose Martin H. am Bahnhof von Immenstadt im Allgäu von einem 17-Jährigen attackiert worden. Auf einer Bank an einem kleinen Platz hatte H. seinen Stammplatz. Der 53-Jährige ging zur Polizei, erzählte von der Gewalttat und beschrieb den 17-Jährigen sehr genau.

Martin H. lehnte die Behandlung durch einen Notarzt ab, die Polizei bestand nicht darauf. Er ging in den Eingangsbereich einer Bank, um dort zu schlafen. Am nächsten Tag wurde er dort tot gefunden, laut einer Obduktion war er an Hirnblutungen gestorben (AZ berichtete). Die Bestürzung war nicht nur in Immenstadt mit seinen knapp 15.000 Einwohnern groß, der Fall gelangte bundesweit in die Medien.

Martin H.: Gutachten bestätigt Totschlag von "Deutschlands beliebtesten Obdachlosen"

Doch war der Angriff des 17-Jährigen, der H. zu Boden stieß, die Ursache für seinen Tod ein paar Stunden später? Das war lange nicht klar. Nun liegt die rechtsmedizinische Stellungnahme der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München vor. Sie belegt, dass die Gewalttat zum Tod des Obdachlosen geführt hat.

Demnach erlitt H., so berichtet die Staatsanwaltschaft Kempten, ein schweres Schädel-Hirn-Trauma und ein "raumforderndes Subduralhämatom" – also eine Hirnblutung –, weil er niedergeschlagen worden und sein Kopf auf den Boden geprallt war.

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Martin H. wurde "Deutschlands beliebtester Obdachloser" genannt

Die Staatsanwaltschaft wird Anklage erheben. Sie sieht laut einem Sprecher einen "Kausalzusammenhang" zwischen den Schlägen, dem Sturz und dem Tod. Bei der Tat waren drei Begleiter des mutmaßlichen Schlägers mit dabei, sie sind Zeugen. Den 17-jährigen Tatverdächtigen fasste die Polizei schnell.

Er ist ihr nicht unbekannt, wird er doch als Intensivtäter geführt. Laut der Staatsanwaltschaft war schon wegen Körperverletzung, Einbrüchen und Bedrohung gegen ihn ermittelt worden. Der Obdachlose Martin H. war erst im Februar in seinen Heimatort Immenstadt zurückgekehrt.

Zuvor hatte er in Berlin gelebt in einer selbst gezimmerten Behausung auf einer Verkehrsinsel in Kreuzberg. Sehen konnte man ihn in einer RTL-Doku "Ein Leben auf der Straße" von 2021, wo er als "Deutschlands beliebtester Obdachloser" ausgerufen wurde.

Viele Menschen gedenken Martin H. mit Kerzen und Nachrichten.
Viele Menschen gedenken Martin H. mit Kerzen und Nachrichten. © Patrick Guyton

Ein Mann mit Struppelbart, der gut gelaunt jeden grüßt und mit jedem quatscht, meist mit Bierflasche und Kippe in den Händen. Er nennt sein Domizil einen "Freistaat" und meint: "Ich brauche Platz, in der Wohnung kann ich nicht denken." Offen bleibt, inwieweit er sich sein obdachloses Leben schöngeredet hatte.

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Die Gewalt gegen Obdachlose nimmt in Deutschland zu. Laut Bundesinnenministerium ist die Gewaltkriminalität gegen Wohnungs- und Obdachlose von 2018 bis 2023 um 37 Prozent gestiegen. Von 2022 bis 2024 ist die Zahl der in Einrichtungen untergebrachten Wohnungslosen in die Höhe geschnellt: von 178.000 auf 439.500 Menschen. Geschätzt 50.000 leben komplett auf der Straße.

Jugendfreund: "Er war ein extrem guter Fußballspieler"

In Immenstadt kannten einige Martin H. von früher. Er war Fliesenleger-Meister und beruflich erfolgreich. Er hatte viel Familie. Zurückgekehrt war er, um Kontakt zu seinem Sohn aufzunehmen. Herbert Gruber, Vorstand des Fußballvereins Immenstadt 07, war sein Jugendfreund.

"Er war ein extrem guter Fußballspieler", sagte er der AZ. Handwerklich sei er sehr begabt gewesen ‒ "und fleißig, immer mit dabei". Über die Tat meinte er: "Man denkt, man lebt in einer heilen Welt." Der 17-Jährige sitzt weiterhin in U-Haft. Er macht keine Angaben.

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2 Kommentare
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  • HanneloreH am 14.10.2024 17:12 Uhr / Bewertung:

    Wer bitte hat die Person zum beliebtesten Obdachlosen Deutschlands gemacht?
    Wenn ich jemanden mag, dann schau ich auch dass es ihm gut geht und geb ihm ein Dach übern Kopf und schau natürlich dass er arbeiten kann, das macht ein Land aus, aber nicht so ein Satz wie hier.

  • Witwe Bolte am 14.10.2024 16:35 Uhr / Bewertung:

    Welch ein trauriges Schicksal. Ein Fliesenlegermeister mit Familie stürzt ab ins Obdachlosen-Dasein und wird von einem Intensivtäter getötet.
    Wütend wird man jetzt schon, wenn man sich ausrechnet, die hoch die Jugendstrafe für ihn ausfallen wird. Vielleicht hatte der Täter eine ungute Kindheit oder ist psychisch krank.
    Dann dürfte die Jugendstrafe ein paar Jährchen (Wohlfühl-)Knast bedeuten.

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