Großeinsatz wegen Abschiebung: Massive Kritik
Nürnberger Schüler versuchten mit Sitzblockaden die Abschiebung eines afghanischen Flüchtlings (20) zu verhindern. Die Protestaktion endete im Tumult und erregt nun deutschlandweit die Gemüter.
Nürnberg - Zu tumultartigen Szenen ist es Mittwochmorgen vor dem Berufschulzentrum im Norden Nürnbergs gekommen. Die Polizei setzte körperliche Gewalt, Hunde und Pfefferspray ein, als rund 200 Schüler die Abschiebung ihres Mitschülers in Nürnberg verhindern wollten.
Asef N. – er lebt seit vier Jahren in Deutschland, hat am Dienstag den Ausbildungsvertrag für eine Schreinerlehre unterschrieben und sich nichts zuschulden kommen lassen – war kurz nach Schulbeginn von Polizisten im Gebäude festgenommen worden. Nachdem der Abschiebungsversuch aus dem Unterricht eskalierte, meldeten sich zahlreiche Politiker zu Wort. Ates Gürpinar, Landessprecher der bayerischen Linken erklärte: "Die Szenen aus Nürnberg machen fassungslos. Die Polizei hat den berechtigten Protest empörter Mitschüler/innen durch den Einsatz von Kampfausrüstung und Polizeihunden kriminalisiert und gewaltvoll aufgelöst."
Abschiebeflug wegen Bombenanschlags gestrichen
Die Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Bayern griff die Bayerische Staatsregierung und "ihren Abschiebewahnsinn" scharf an. "Mit der Abschiebung eines bestens integrierten jungen Geflüchteten zeigt die Staatsregierung, dass sie Wahlkampf auf dem Rücken der Schwächsten in unserer Gesellschaft macht", so Carlo Kroiß, Bezirksjugendsekretär der DGB-Jugend Bayern. Die DGB-Jugend verweist auf einen Anschlag in Kabul, bei dem am Vortag 80 Menschen ums Leben gekommen waren.
Das Innenministerium hatte die Abschiebung angeordnet. Am Abend sollte Asef N. von Frankfurt aus nach Kabul gebracht werden. Etwa zeitgleich zu der Protestaktion entschied die Bundesregierung, den am Abend geplanten Abflug wegen des verheerenden Bombenanschlags in Afghanistan zu canceln.
De Maizière: Mitarbeiter der Botschaft haben Wichtigeres zu tun
Doch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) betonte, an der grundsätzlichen Haltung der Bundesregierung werde sich nichts ändern. "Es ist keine Veränderung der generellen Linie, sondern es ist eine Entscheidung, die den Umständen des heutigen Tages geschuldet ist", sagte de Maizière am Mittwoch in Berlin. Wegen des schweren Anschlags in Kabul hätten die Mitarbeiter der Botschaft Wichtigeres zu tun als sich mit Abschiebungen zu beschäftigen. Der Abschiebeflug werde jedoch baldmöglichst nachgeholt.
"Der Außenminister (Sigmar Gabriel, SPD) und ich sind uns einig, dass in maßvoller, bestimmter Weise Rückführungen nach Afghanistan zumutbar und notwendig sind, das betrifft eben insbesondere Straftäter." Bei dieser Linie werde es bleiben. Die Abschiebungen sind wegen der Sicherheitslage umstritten. Die asylpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Christine Kamm, mahnte: "Afghanistan ist nicht sicher. Es ist unverantwortlich und unmenschlich, Frauen, Kinder, Männer dahin abzuschieben."
Die Nürnberger Abgeordnete und Vorsitzende der Wohngemeinschaft für Flüchtlingskinder e.V., Angelika Weikert, kritisierte vor allem das rabiate Vorgehen in Nürnberg, es verbreite Panik und blockiere Integrationsbemühungen: "Wer weiß, mit welchen traumatischen Erinnerungen junge Geflüchtete oft kämpfen, kann erahnen, welche Panik das bei den Jugendlichen und in ihrem Umfeld auslöst."
Kundgebung in München geplant
Die Landtags-Opposition, der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisierten die Polizeiaktion scharf. Dass der junge Afghane mit einem "massiven Polizeiaufgebot“ abtransportiert wurde, sei ein „unglaubliches Vorgehen und untragbarer Zustand“, so der bayerische GEW-Vorsitzende Anton Salzbrenner. "Es ist menschenrechtswidrig und menschenverachtend, wie hier das Bayerische Innenministerium agiert." Die Praxis, Schüler aus den Schulen zu holen, müsse sofort beendet werden.
Unter dem Motto "Schützt unsere Schülerinnen und Schüler: Keine Abschiebung von Menschen in Ausbildung und Arbeit" findet am Donenrstag um 18 Uhr eine Kundgebung von Flüchtlings- Organisationen vor dem Kultusministerium am Münchner Salvatorplatz statt.
Drei Polizeibeamte wurden in Nürnberg verletzt
Nach Angaben der Nürnberger Polizei habe sich der Schüler zunächst kooperativ verhalten und sei den Beamten freiwillig zum Streifenwagen vor dem Schulkomplex gefolgt. Nachdem etwa 20 Schüler durch eine Sitzblockade auf der Straße die Abfahrt des Streifenwagens blockierten, wurde die Stimmung zunehmend aggressiver. Auch der festgenommene Afghane begann, sich der Polizei zu widersetzen und musste schließlich gefesselt und gewaltsam von mehreren Beamten ins Auto gebracht werden.
Der Abtransport des festgenommenen Afghanen war jedoch nicht möglich. Hunderte Schüler protestierten lautstark, dutzende verhinderten mit einer Sitzblockade die Abfahrt des Polizeiautos. In der emotional hoch aufgeladenen Stimmung ging die Polizei immer wieder gegen die protestierenden Schüler vor. Die Polizeibeamten setzten dabei auch körperliche Gewalt, Hunde. Schlagstöcke und Pfefferspray ein, eine ganze Reihe von protestierenden Schülern wurde von den Einsatzkräften gewaltsam zu Boden gedrückt und gefesselt.
Da sich die Situation nicht beruhigte und die Blockade des Polizeifahrzeuges nicht aufgelöst werden konnte, wurde der Afghane gegen seinen erheblichen Widerstand von mehreren Beamten aus dem Polizeifahrzeug gezogen und zu einem anderen, abfahrbereiten Wagen gezerrt. Der Abtransport gelang auch in diesem Fall nur durch massiven Polizeieinsatz gegen die Protestierenden. Nach Angaben der Polizei wurden dabei mehrere Beamte verletzt. Wie viele Schüler und Teilnehmer verletzt wurden, ist unbekannt. Asef N. wird am Donenrstag dem Haftrichter vorgeführt.
Auch nach dem Polizeieinsatz beruhigte sich die Lage zunächst nicht. Es kam immer wieder zu körperlichen Auseinandersetzungen. Nach Angaben der Polizei wurden drei Beamte verletzt. Wie viele Schüler und Teilehmer an der spontanen Aktion verletzt wurden, steht momentan nicht fest.