Fotos auf den Gleisen: Alles für den K(l)ick
München - Zwei Freundinnen albern herum, sie lachen und balancieren händchenhaltend auf Bahnschienen. Eines der Mädchen zieht ihr Smartphone aus der Manteltasche, umarmt ihre Freundin und drückt auf den Auslöser der Handykamera.
Das Rattern eines Zuges unterbricht ihr Lachen. Mit aufgerissenen Augen starrt das Mädchen auf den entgegenkommenden Zug, ihre Haare flattern im Fahrtwind. Die Bremsen des Zuges quietschen – doch es ist zu spät. Auf dem Gleis liegt nur noch das Smartphone mit dem Foto, das Display ist zersprungen.
Die Szene stammt zum Glück nur aus einem Video, mit dem die Deutsche Bahn junge Mädchen aufrütteln möchte. Denn immer wieder riskieren sie für ein Foto ihr Leben. Erst vor Kurzem hat eine Polizeistreife zwei Mädchen in Bergen (Lkr. Traunstein) gerade noch rechtzeitig von den Schienen gezogen. Sie wollten ein paar Fotos für Facebook knipsen.
Anfang April haben zwei Freundinnen in Nürnberg auf den Gleisen posiert, auch sie konnten von der Polizei gerettet werden. Andere hatten weniger Glück: In Memmingen sind 2011 zwei Mädchen noch im Kiesbett der Gleise gestorben. Doch ihr tragischer Tod schreckt offenbar nicht ab. "Der Trend in Bayern ist ungebrochen", sagt Matthias Knott, Sprecher der Bundespolizei.
Immer mehr Personen tummeln sich auf den Gleisen
"Bei der Serie ,Germany’s next Topmodel‘ war erst vor Kurzem ein Fotoshooting auf den Gleisen. In dem Fall war der Bereich natürlich abgesperrt, aber das animiert viele Mädchen." Wie viele Mädchen in Bayern auf den Gleisen posieren, lässt sich nicht sagen. "Wir können nur feststellen, dass wir immer mehr Personen auf dem Gleis haben", sagt Franz Lindemair, Sprecher der Bahn. Dabei kann es sich aber auch um Betrunkene, spielende Kinder oder Suizidversuche handeln. Im vergangenen Jahr kam es allein im Bereich der Münchner S-Bahn zu mehr als 300 Vorfällen.
"Oft entdecken wir die Fotos erst im Internet", sagt Matthias Knott von der Bundespolizei. Die Bilder kursieren auf Youtube oder in sozialen Netzwerken wie Facebook oder Instagram. Wenn die Polizei auf ein Foto stößt, nimmt sie mit den Models Kontakt auf.
Den Mädchen zwischen zwölf und 16 Jahren sei die Gefahr nicht bewusst, sagt der Sprecher. Einige erklären, sie hätten doch im Fahrplan überprüft, dass kein Zug fahre. Nur: Güterzüge stehen in keinem Fahrplan. Ist ein Zug noch 100 Meter entfernt, hat man etwa 2,5 Sekunden Zeit, um aus dem Gleis zu kommen – also kaum eine Chance.
Die Bundespolizei will Jugendliche über die Gefahr aufklären. Allein im vergangenen Jahr waren die Beamten über 300 Mal in bayerischen Schulen. "Die Sicherheit im Gleisbereich ist in der Prävention mittlerweile ein Schwerpunktthema", sagt Knott.
Auch über die strafrechtlichen Konsequenzen sind die Mädchen überrascht: Wenn ein Zug angehalten werden muss, kann das bis zu 5000 Euro kosten. Bei einer "konkreten Gefährdung" sind sogar Haftstrafen bis zu zehn Jahren möglich.
Für die Mädchen ist das Selfie keine Mutprobe. Sie suchen vielmehr nach einer symbolträchtigen Fotokulisse, erklärt Martin Voigt. Er hat für seine Doktorarbeit an der Universität München Mädchenfreundschaften in Sozialen Netzwerken analysiert. "Dabei fiel mir das Gleis-Selfie als herausragendes Motiv auf", sagt der Sprachwissenschaftler.
Die Schienen dienen als Symbol, das die Gefahr noch verstärkt
Gleise symbolisieren Fernweh, einen gemeinsamen Weg. "Bahngleise laufen immer parallel – wie ein Paar, das sich niemals trennt." Für viele Freundinnen sei das Gleis-Selfie deshalb ein "fotografisches Must-have". Die Gefahr verstärke die Symbolik nur noch.
"Auch wenn jetzt ein Zug kommen würde . . .", heißt es in einem Video auf Youtube. Ein Foto: Zwei Mädchen balancieren auf den Schienen, ihre Hände sind fest ineinander verschränkt. Das Foto verschwindet, dafür erscheint eine weiße Schrift: "Ich würde deine Hand nie loslassen und auch wenn er uns erwischen würde ich wäre froh bei dir zu sein."