Florian von Brunn tritt an: Mit Rückenwind an die Spitze
München - Er kam im Pullover und ohne den in Bayern üblichen Defiliermarsch, erklomm hurtig das Rednerpodest und legte nach einem kurzen "schönen guten Tach" ohne weitere Umschweife los: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) machte am vergangenen Wochenende der bayerischen SPD bei ihrem 73. außerordentlichen Parteitag in München seine Aufwartung.
Den Saal zum Kochen brachte der sich betont als Arbeitskanzler gebende Hamburger zwar nicht - das hatte ernsthaft auch niemand erwartet -, aber er streichelte allein durch seine Anwesenheit die Seele der bayerischen Genossen. Und erntete schließlich Jubel und stehenden Applaus.
Scholz überlässt die CSU-Schelte von Brunn - bis auf einen Punkt
Die Abrechnung mit der CSU und allem, was im Freistaat aus sozialdemokratischer Sicht zu richten wäre, überließ der Kanzler dem bayerischen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Florian von Brunn: "Wir brauchen überall in Deutschland Männer und Frauen, die etwas dafür tun, dass das auch funktioniert, was wir uns für die Zukunft vorgenommen haben. Und lieber Florian, das ist deine Sache."
Der Angesprochene hangelte sich akribisch, aber auch etwas langatmig durch sein Manuskript, weil er partout jeden einzelnen Politikbereich abhandeln wollte, in dem er es besser machen will als sein Vorgänger-in-spe Markus Söder (CSU).
93 Prozent der Delegierten stimmten für den Spitzenkandidaten
Und das sind eigentlich fast alle Bereiche. Die Politik in Bayern müsse beim Ausbau der Erneuerbaren Energien Verantwortung übernehmen, forderte von Brunn. "Söder tat das nicht, also müssen wir es tun". Das war auch der einzige Punkt, an dem Kanzler Scholz die in Bayern Regierenden aufs Korn nahm: "Der Ausbau der Energieversorgung in Bayern ist nicht richtig gelungen", was auch damit zu tun habe, dass die Regierenden im Freistaat Stromleitungen als "Monster-trassen" schlecht gemacht hätten, bemerkte Scholz.
Unter einem Ministerpräsidenten von Brunn soll sich das ändern: 93 Prozent der 286 Delegierten sprachen sich dafür aus, dass von Brunn die bayerischen Sozialdemokraten als Spitzenkandidat in die Landtagswahl 2023 führen soll.
Vor fünf Jahren, bei der Nominierung der damaligen SPD-Landeschefin Natascha Kohnen, waren es 95 Prozent. "Ich hoffe, dass Träume wahr werden können", hatte zuvor Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) nicht ganz ohne Ironie bemerkt. Er träume davon, dass nächtens in der Bayerischen Staatskanzlei die Aktenschredder heiß liefen, weil die CSU ihren Dauerdienstsitz räumen müsse.
Probleme werden auf die Vorgängerregierung geschoben
Kanzler Scholz sagte zur Bayern-SPD nichts, dafür umso mehr zu dem nach seiner Ansicht bisher gelungenen Management seiner Bundesregierung im Mix diverser Krisen. Gleich in der ersten Minute versprach er weitere Unterstützung für die Ukraine, "Ja, auch mit Waffen" und kam damit auch ukrainischen Demonstranten entgegen, die vor dem Parteitagsgebäude genau dies forderten.
"Wir stehen auf der richtigen Seite der Geschichte", unterstrich der Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Markus Rinderspacher (SPD).
Wenn es dieser Tage Probleme und Unsicherheiten im Lande gebe, dann sind die laut Scholz auf die Vorgängerregierungen zurückzuführen. Dass an denen auch die SPD beteiligt war, ließ er unerwähnt. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt habe er im Wirtschaftsministerium nachgefragt, ob es Pläne für einen Lieferstopp von russischem Gas gebe: "Es gab keine Pläne dafür".
Strom- und Gaspreisbremse sollen alles regeln
Jetzt seien die Erdgasspeicher zu mehr als 95 Prozent gefüllt - als Folge "richtiger Entscheidungen", so der Regierungschef. Im Übrigen kam der Kanzler zu der erstaunlichen Einsicht, dass Russland in Sachen Energie "kein verlässlicher Partner" mehr sei.
Manuskriptlos wiegte Scholz die bayerischen Genossen in einer Art "Wir-machen-alles-richtig"-Gefühl. "Wir haben die Energiesicherheit sichergestellt", versicherte Scholz. Und jetzt habe man die Entscheidungen dafür geschaffen, "dass die Preise 'runtergehen". "Wir werden viel Geld einsetzen, um mit Strompreisbremse und Gaspreisbremse dafür zu sorgen, dass für die Unternehmen - die großen und die kleinen, für die Bürgerinnen und Bürger - die Preise so lange bezahlbar bleiben, wie sie ansonsten zu hoch sind."
Und dabei "verschwindet der Klimawandel nicht von der Tagesordnung", auch wenn zahlreiche Kohlekraftwerke wieder am Netz seien - "nicht für immer, sondern nur für zwei Jahre." Später ließ Scholz bei einem Termin mit Handwerkern durchblicken, dass er sich ein zeitliches Vorziehen der Bremsen vorstellen könne.
Mit den "besten Ideen für Bayern" in die Zukunft
Mit einem überraschend emotionalen Beitrag zur Selbstvergewisserung hatte die Co-Landesvorsitzende Ronja Endres gleich zu Beginn die Delegierten eingestimmt und das vergangene einstellige Landtagswahlergebnis vergessen gemacht. "Das ist der erste Tag der Zukunft der Bayern-SPD", rief sie unter dem Jubel der Delegierten. Die SPD freue sich auf die Landtagswahl: "Wir haben die besten Ideen für Bayern."
Ihren Co-Vorsitzenden von Brunn pries sie in den höchsten Tönen als Spitzenmann für das kommende Wahljahr. Er sei nicht nur ein Kämpfer, sondern auch sensibel genug, Katzenvideos zu verschicken, wenn man mal nicht so gut drauf sei. "Da soll noch einer sagen, dass die Bayern-SPD keinen Spaß machen kann", würdigte OB Reiter die rhetorische Kraftanstrengung der Vorsitzenden.