Fall Peggy: Kommt Ulvi Kulac am 9. Januar frei?

Neuer Anhörungstermin: Ulvi Kulac könnte noch im Januar freikommen. Derzeit ist der 37-Jährige noch in der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth untergebracht.
von  Helmut Reister
Ulvi Kulac vor Gericht. Kommt der 37-Jährige jetzt endgültig frei? Es gibt einen neuen Anhörungstermin.
Ulvi Kulac vor Gericht. Kommt der 37-Jährige jetzt endgültig frei? Es gibt einen neuen Anhörungstermin. © dpa

BAYREUTH - Im Sommer ist der geistig behinderte Gastwirtsohn Ulvi Kulac (37) aus Lichtenberg (Oberfranken) in einem Wiederaufnahmeverfahren vom Vorwurf freigesprochen worden, die kleine Peggy (9) ermordet zu haben. Aus der geschlossenen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth, wo er seit 13 Jahren untergebracht ist, kam er dennoch nicht frei. Das könnte sich am 9. Januar ändern. Für diesen Tag wurde ein gerichtlicher Anhörungstermin festgesetzt.

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Der Frankfurter Rechtsanwalt Michael Euler war für Ulvi Kulacs Betreuerin Gudrun Rödel lange Zeit so etwas wie eine Lichtgestalt im Dschungel der Paragraphen. Immerhin war er es, der den neuen Prozess und den Freispruch durchsetzte. Inzwischen haben sich ihre Wege getrennt, ein neuer Anwalt ist in den Ring gestiegen. Als Grund für die Beendigung der Liaison macht Euler „unterschiedliche Auffassungen“ geltend, Gudrun Rödel wirft ihm dagegen ganz offen „entscheidende Fehler“ vor.

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In den sozialen Netzwerken, vor allem auf Facebook, hat sich auf unterschiedlichen Plattformen eine Fan-Gemeinde gebildet, die sich gegenseitig anstachelt und die grundsätzliche Erkenntnis eint, dass der Fall ein nicht enden wollender Justizskandal ist. Die nach wie vor bestehende Unterbringung des geistig Behinderten in der Psychiatrie, so die Meinung der sogenannten „Unterstützer“, sei nach dem Freispruch nur das letzte Kapitel davon - und der Umgang der Behörden mit Ulvi Kulac insgesamt nur Teil eines menschenunwürdigen Psychiatrie-systems. Doch ganz so einfach ist es nicht.

Das Urteil des Hofer Landgerichts aus dem Jahr 2004, das den Behinderten mit dem Makel eines Mörders ausstaffierte, besteht aus zwei wesentlichen Teilen. Der eine umfasst den Mord an Peggy, der sich inzwischen in Luft aufgelöst hat, der andere den Missbrauch von einem halben Dutzend Kindern durch Ulvi Kulac. Diese Verurteilung ist nach wie vor rechtskräftig, weil sich die erfolgreiche Wiederaufnahme nur auf das Kapitalverbrechen beschränkte. Dadurch ist eine bizarr anmutende rechtliche Situation entstanden.

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Die Hofer Richter hatten ihr Mordurteil damit begründet, dass der Behinderte wenige Tage zuvor Peggy missbraucht hätte und sie dann umbrachte, weil sie ihm gedroht habe, ihn auffliegen zu lassen. Ein klassisches Motiv für einen Verdeckungsmord? Gudrun Rödel sieht das nach dem Freispruch etwas anders: „Wenn Ulvi den Mord nicht begangen hat, was inzwischen ja feststeht, kann es zwangsläufig auch das Motiv nicht gegeben haben.“ Das sagt sie auch mit Blick darauf, dass sich das Gericht bei dem Missbrauch von Peggy allein auf die Aussagen des Behinderten stützt. Für Gudrun Rödel ein schwer verdaulicher Aspekt: „Ulvi hat in den Vernehmungen Vieles gesagt. Unter anderem hat er ja auch den Mord gestanden, den er nicht begangen hat.“

Spätestens seit dem Freispruch Ulvis von den Mordvorwürfen liegt es auf der Hand, dass die Ermittlungen der Polizei unter der Federführung der Hofer Staatsanwaltschaft nach Peggys Verschwinden im Mai 2001 keine detektivische und juristische Glanzleistung waren. Das ändert allerdings nichts daran, dass auch der Umgang der Lichtenberger mit dem geistig zurück gebliebenen Ulvi Kulac kein Lehrstück für sozial sinnvolle Integration darstellt. Erst im Zuge der Ermittlungen wegen Peggy kam zum Vorschein, dass die sexuelle Auffälligkeit des Erwachsenen mit dem geistigen Potenzial eines Kindes zum Einen im ganzen Ort bekannt waren, zum Anderen eine tolerierbare Grenze längst überschritten hatten.

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Auch Gudrun Rödel kann angesichts der Aktenlage nicht bestreiten, dass Ulvi Kulac minderjährige Kinder zu gemeinsamen „Spielchen“ unterhalb der Gürtellinie animiert hat. Selbst seine Eltern hatten damals bereits die Behandlungsnotwendigkeit ihres Sohnes erkannt und ihn für eine Therapie angemeldet, der dann allerdings seine Verhaftung und seine Unterbringung in der Psychiatrie zuvorkam. Ein „unhaltbarer Zustand“ ist eine der noch harmloseren Beschreibungen der Betreuerin für den Umstand, dass Ulvi Kulac seitdem ununterbrochen, 13 Jahre lang, in der geschlossenen Abteilung des BKH untergebracht ist.

„Wir müssen uns schon an die rechtlichen Grundlagen halten und sehen, dass Kulac für mehr als ein Dutzend Missbrauchsfälle rechtskräftig verurteilt ist“, erklärt Thomas Goger, Sprecher der Bayreuther Justiz. Einen Zweifel daran, dass die sexuellen Übergriffe im unteren Bereich der Strafbarkeit angesiedelt sind, lässt aber auch er nicht aufkommen: „Das waren sicher keine brutalen Vergewaltigungen. Aber der Missbrauch an den Kindern hat stattgefunden, war auch nicht Teil des Wiederaufnahmeverfahrens und steht deshalb auch gar nicht auf dem rechtlichen Prüfstand.“

Auf dem Prüfstand steht allerdings, ob Ulvi Kulac wegen sexueller Übergriffe im unteren Deliktbereich nach der langen Unterbringung nicht aus dem psychiatrischen Krankenhaus entlassen werden kann. „Das hätte schon längst passieren müssen“, klagt Gudrun Rödel. Ihre Überzeugung, dass ihr Schützling ohne die Mordvorwürfe bei der tatsächlichen Ausgangslage schon längst wieder frei wäre, ist nicht von der Hand zu weisen. Ein sich näherndes Ende der Unterbringung steht auch auf der Rechnung der Justiz. Justizsprecher Thomas Goger: „Das letzte Gutachten macht das ja bereits deutlich. Er wird sicher nicht sofort aus der geschlossenen Abteilung unkontrolliert in die Freiheit entlassen werden können. Da wird es eine Übergangslösung geben müssen, etwa betreutes Wohnen in einem Heim.“

Betreuerin Rödel wird bei solchen Aussagen unwirsch: „Das ist doch alles schon längst geregelt. Ulvi könnte sofort in einer entsprechenden Einrichtung unterkommen.“ Auf den Gutachter, der ihrer Meinung nach nicht objektiv gearbeitet habe, ist sie nicht gut zu sprechen: „Er bezieht sich in seinem Gutachten erneut auf die Sexualtat wenige Tage vor Peggys Verschwinden, vor dem Mord, der nie stattfand. Aber in den Akten findet sich nicht der geringste Hinweis darauf, dass dieser Missbrauch Peggys durch Ulvi jemals stattgefunden hat.“ Diese Interpretation mag der Aktenlage entsprechen, im rechtskräftigen Teil des ersten Urteils, das noch immer Gültigkeit besitzt, ist Ulvi Kulac jedoch auch in dem Fall der Täter. Die Rechtslage ist für Außenstehende verwirrend.

Der Wechsel zu einem neuen Anwalt, der eine sofortige neue Anhörung Ulvi Kulacs vor Gericht beantragt hat, konnte das Verfahren indessen auch nicht beschleunigen, weil in jedem Fall die notwendigen Fristen für eventuelle Einsprüche und Stellungnahme abzuwarten sind. Insofern läuft der Antrage ins Leere, da im Januar ohnehin eine gerichtliche Anhörung geplant war. Sie findet jetzt am 9. statt. An diesem Tag wird entschieden, wann der Behinderte das BKH in Bayreuth verlassen darf.

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