Lebt das Mädchen noch - in der Türkei?
Mehrere Zeugen wollen Peggy noch gesehen haben, als sie bereits als vermisst galt. Wurde sie über Tschechien nach Anatolien verschleppt? Einige Indizien sprechen dafür.
Lichtenberg - Seit zwölfeinhalb Jahren sucht die Polizei nun schon nach Peggy Knoblochs Leiche – und hat sie wieder nicht gefunden.Spätestens seit Dezember 2013 ist zudem klar: Ulvi Kulac hat das Mädchen wohl nicht ermordet, auch wenn er dafür verurteilt wurde. Das Verfahren gegen den geistig behinderten Gastwirtssohn wird neu aufgerollt (AZ berichtete), sein Strafverteidiger fordert einen Freispruch.
Und nicht nur in Lichtenberg stellen sich die Menschen die Frage, ob Peggy womöglich noch lebt. Denn vieles deutet darauf hin, dass die damals Neunjährige verschleppt wurde – vielleicht in die Türkei.
„Am Tag ihres Verschwindens, dem 7. Mai 2001, haben sieben Kinder Peggy in Begleitung eines unbekannten Mädchens gesehen“, sagt Ulvis Anwalt Michael Euler: Stunden nachdem Kulac die Kleine ermordet haben soll. Zwei Buben hätten angegeben, dass Peggy mit der Fremden in einen roten Mercedes mit tschechischem Kennzeichen gestiegen sei. Der Jurist hält die Zeugen für glaubwürdig. Die Kinder sind nicht die einzigen, die Peggy noch begegnet sein wollen.
Auch aus München meldete sich eine Zeugin bei der Polizei, eine Textil-Verkäuferin. Michael Euler erzählt: „Vor der Ladentür hielt ein Mercedes mit ausländischem Kennzeichen. Ein Mann stieg aus – mit Peggy an der Hand, sagt die Zeugin. Die Frau hat das Kind gefragt, ob es ein Bonbon möchte. Sie hatte den Eindruck, es wolle ihr etwas sagen, traue sich aber nicht.“ Der Mann sei ihr sofort ins Wort gefallen: „Die mag keine Bonbons.“ Dann habe er das Mädchen geschnappt und sei davongerast.
Seinen Wiederaufnahmeantrag stützt der Jurist unter anderem auf die Aussage einer Freundin der Vermissten. Sie erhielt Wochen nach Peggys Verschwinden einen Anruf: „Ich bin’s, Peggy. Mir geht’s gut, aber ich weiß nicht, wo ich bin.“ Dann riss die ohnehin schlechte Verbindung ab.
Für besonders interessant halten „Peggy-Experten“ die Türkei-Theorie, zu der viele Puzzleteile passen würden: Schon 2001 war spekuliert worden, ob das Kind in das Heimatland seines Stiefvaters Erhan Ü. verschleppt wurde. Anfangs verfolgte auch die Soko diese Spur, der Lebensgefährte von Susanne Knobloch zählte zu den Verdächtigen. „In den Ermittlungsakten ist eine ganz Reihe von möglichen Motiven aufgelistet“, sagt Euler. „Von Geldproblemen, die durch eine Zwangsheirat gelöst werden sollten, bis zu sexuellem Missbrauch.“
Erpresste Erhan Ü. Peggys Mutter damit, ihr die Tochter zu nehmen? „Davor hatte Frau Knobloch Angst. Das wissen wir heute“, sagt Michael Euler. Kein Wunder. In einer SMS drohte Ü. ihr: „Hast noch ein wenig Zeit. Überlege es Dir ganz gut so lange es noch geht. Mit 50 000 DM kann man viel machen…“ In einem abgehörten Telefonat mit einer Freundin wog er außerdem die Konsequenzen einer Kindsentführung in die Türkei ab.
Dieselbe Bekannte erreichte wenig später eine Nachricht von Ü.s Mobiltelefon: „Hallo! Hab meine Mama so lange nicht mehr gesehen.“ Tippte Peggy diese Zeilen? Beim tschechischen Geheimdienst war man davon überzeugt. Ein V-Mann lieferte Hinweise darauf, dass Peggy über den osteuropäischen Staat an den Bosporus verschleppt worden war – und dass Erhan Ü. in die Entführung verwickelt war. „Aber in den Akten steht nichts darüber, wie die deutschen Ermittler diesem Tipp nachgegangen sind“, sagt Michael Euler.
Wenn am 10.April der Wiederaufnahmeprozess beginnt, will der Anwalt nicht nur beweisen, dass Ulvi Kulac unschuldig ist. Es gelte auch, Peggys Mörder zu finden, sagt er. Oder ihren Entführer.