Erdinger Wartezentrum: "Ein Drittel zieht auf eigene Faust weiter"

Erding/Feldkirchen – Eigentlich sind Patrick Michutta und seine Kameraden in den Bergen daheim. Führen und Ausbilden sind dort ihre Aufgaben. Eher nicht zum Anforderungsprofil Michuttas gehörte bislang stundenlanges Sitzen auf einer Bierbank oder Verständigung mit Händen und Füßen. "Das ist eigentlich überhaupt nicht unseres", sagt der Hauptfeldwebel. Doch nun schiebt der Gruppenführer des Gebirgsjägerbataillons 232 im Berchtesgadener Land Dienst im sogenannten Warteraum Asyl in Erding. Er ist wie 6000 andere Soldaten der Bundeswehr zum Flüchtlingshelfer geworden.
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Vor eineinhalb Wochen kündigte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) an, die Bundeswehr werde sich künftig stärker und dauerhaft bei der Versorgung der Asylsuchenden und "der Leitung der komplexen logistischen und organisatorischen Aufgaben" einbringen. Dies geschehe auch, um ehrenamtlich getragene Organisationen zu entlasten. "Die Flüchtlingshilfe wird zu einer wichtigen zusätzlichen Aufgabe für die Soldatinnen und Soldaten", stand in einer Mitteilung.
An einem sonnigen Novembertag sitzt Michutta auf einer Bierbank. Fünf Menschen hocken ihm gegenüber, zwischen ihnen steht ein Tisch, darauf ein Laptop. Der 28-Jährige hält fünf schwarzgebundene Pässe in den Händen - eine Familie aus dem Irak: Vater, Mutter, drei muntere Kinder. Gerade erst sind sie in Erding angekommen, am nächsten Tag schon wird es weitergehen. Wohin? Das weiß niemand.
Rund ein Drittel zieht auf eigene Faust weiter
Rund ein Drittel der Flüchtlinge verlassen die Einrichtung auf eigene Faust. "Wir können niemanden zwingen, hierzubleiben", so Werner. Das Recht, Asylsuchende festzuhalten, hat allein die Bundespolizei. Werner schätzt, dass etwa 300 von 1000 Flüchtlingen, die vor ihrer Weiterverteilung in ganz Deutschland nur für kurze Zeit in einem der Wartezentren untergebracht sind, von alleine wieder gehen. Ein Teil wolle nach Skandinavien weiterreisen, ein anderer zu Verwandten anderswo in Deutschland.
"Eine Art logistischer Badewannenablauf" sei das Wartezentrum Asyl, sagt Heiko Werner (44). Eine zweite derartige Einrichtung gibt es in Feldkirchen bei Straubing. Je 5000 Flüchtlinge sollen hier bald schon unterkommen. In Erding ist derzeit winterfester Platz für 3100 Menschen. Hier werden die Migranten vorläufig registriert, hier werden sie versorgt - einen Tag lang.
Wenn die grenznahen Drehkreuze in Passau und Rosenheim überlastet sind, kommen diese Wartezentren ins Spiel. Zwischen 700 und 1200 Menschen würden derzeit täglich nach Erding gebracht, sagt Werner. Die "Badewannen" Passau und Rosenheim - derzeit laufen sie nicht allzu stark über.
Soldaten sehnen den Alltag herbei
Werner ist ein zupackender Mann mit besonnenem Gemüt. Seit Oktober ist der 44-Jährige Aufbauleiter Sondereinrichtungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Er trägt nicht nur die Verantwortung für die Wartezentren in Erding und Feldkirchen, sondern auch für andere "Sondereinrichtungen", etwa die fünf Abschiebeunterkünfte, die vergangene Woche von der großen Koalition beschlossen wurden.
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Das in einem ehemaligen Fliegerhorst der Bundeswehr untergebrachte Erdinger Wartezentrum Asyl ist seit Mitte Oktober in Betrieb. Die Stadt für 5000 Menschen wurde innerhalb weniger Wochen vom Technischen Hilfswerk (THW), dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) und der Bundeswehr aus dem Boden gestampft. Insbesondere die logistische Unterstützung - Zelte abdichten, Stromleitungen und Kanäle legen - wurde zuletzt vom THW geleistet. Derlei Organisationen seien für Soforthilfe "auf Alarm-Knopfdruck" vorbereitet, sagt Werner.
"Aber die sind nach acht Wochen am Ende", fügt er hinzu. Deshalb hat jetzt die Bundeswehr die logistischen Aufgaben des THW übernommen. Zusätzlich wurden Soldaten abgeordnet, für das Bamf die vorläufige Registrierung der ankommenden Flüchtlinge sowie eine sogenannte Camp-Registrierung nur für den Warteraum zu übernehmen. "Es wäre gar nicht gegangen ohne die Hilfe der Bundeswehr", sagt Werner. Und weil es ohne Bundeswehr nicht ginge, sitzt Michutta auf der Bierbank - zwölf Stunden täglich, sieben Tage am Stück.
Wenn man mit Soldaten über ihre Arbeit spricht, sind sie nicht unbedingt begeistert. Es gebe "viele negative Punkte", sagt Michutta. "Relativ ungewohnt" und "monoton" nennt er seine Tätigkeit. Außerdem würden etliche Krankheitserreger in das Zelt getragen. Er sei froh, wenn wieder Alltag einkehrt, rechnet aber damit, nach kurzer Pause wieder in Erding eingesetzt zu werden. "Als Soldat ist man sowieso vieles gewohnt", sagt Michutta und sucht nach dem passenden Wort für seine Haltung: "anspruchslos".