Ein Intensivpfleger berichtet: Täglich zwischen Leben und Tod
Hubert Rausch steht kurz vor dem Ende seines Berufslebens. Er sagt: "Ein schwerstkranker Intensivpatient mit Corona, das ist etwas anderes als eine bloße Lungenentzündung." Seit knapp zwei Jahren kämpft er gemeinsam mit seinem Team gegen die Pandemie und für das Leben seiner Patienten. Manchmal Wochen lang. Am Ende entscheidet das Virus.
Der Kittel, der Mundschutz, die Haube, das Visier: All das kennt Rausch nur zu gut, all dies ist zum täglichen Werkzeug geworden. Das ständige Ankleiden und Ausziehen, das Ein- und Ausschleusen, wenn er in den isolierten Bereich rein muss, dort, wo Corona-Patienten beatmet und umgelagert werden, das erschwert das Arbeiten deutlich. Rausch weiß aber: Es ist notwendig. Er sagt: "Es ist eine besondere Situation mit deutlicher Mehrarbeit."
So weit müsste es gar nicht erst kommen, sagt Stefanie Roth. Die gebürtige Pfälzerin ist Leitende Oberärztin der Intensivstation. Sie ist erst seit einigen Monaten in Reichenhall, hat davor im Allgemeinen Krankenhaus von Wien gearbeitet, dem Universitätsklinikum der Stadt. Deutlich größere Einrichtung, das Arbeiten sei vergleichbar, die persönliche Komponente in Reichenhall ausgeprägter. Sie sagt: "Jeder sollte stolz sein, dass es ein Haus wie dieses gibt - mit so einer Struktur."
Die Situation arbeitet die Mitarbeiter auf, oft die jüngeren
In Reichenhall stehen derzeit zehn von 16 möglichen Intensivbetten zur Verfügung. Die Kreisklinik hat mit Personalmangel zu kämpfen, so wie überall. Seit beinahe zwei Jahren wird das Pflegepersonal auf eine Weise gefordert, die es so noch nicht gab. "Mitarbeiter bieten an, ihre Urlaube zurückzugeben", sagt die Oberärztin.
Die Situation arbeitet manchen Mitarbeiter auf, oft sind es die Jüngeren. Langgediente Pflegekräfte - davon profitieren Kliniken dieser Tage. Hinzu kommt: Urlaub wäre wichtig, für die Psyche vor allem. Viele sind müde, ausgelaugt, gezeichnet von den Wochen und Monaten, von mittlerweile vier Wellen. Ein Ende ist erst mal nicht in Sicht. Dass es das nun war, daran glaubt keiner, auch nicht in Zeiten sinkender Infektionszahlen. Einmal durchatmen? Die Situation gibt das momentan nicht her. "Wir achten aber darauf, dass unser Team nicht nur angespannte Phasen hat", sagt Roth.

Personal ist aktuell wichtiger denn je. Denn Covid-Patienten erfordern maximalen personellen Einsatz. Allein während des Umlagerns müssen die Mitarbeiter zu dritt, zu viert, zu fünft anpacken, je nach Patient und Gewicht. Es ist ein Arbeiten unter extremen Bedingungen, schildert Rausch. Fast täglich ist er in Vollmontur im isolierten Bereich bei beatmeten Patienten, die ohne die ganze Technik schon lange zu atmen aufgehört hätten.
Ein 50-Jähriger, Sportler durch und durch - Intensivpatient
Seit kurzem wird sein Team von Bundeswehrsoldaten unterstützt. Die Helfer arbeiten nicht an Covid-Patienten. Sie unterstützen aber beim Drumherum, in der Optimierung von Arbeitsabläufen. "Sehr engagiert" seien diese, sagt Rausch. Sie versorgen, helfen, wo es nur geht, "ich bin beeindruckt, wie fleißig sie sind." Aber: "Sie sind nicht vom Fach."
Rausch sieht jeden Tag Patienten, die "schwerstkrank" geworden sind wegen des Virus'. Es gibt einen 50-Jährigen, immer Sportler durch und durch, ob auf dem Rad oder auf den Skiern. Er war Patient auf der Intensivstation. Das Virus hat ihn dauerhaft gezeichnet.
Der Teamgedanke geht über alles, sagt die Leitende Intensivärztin, die acht Assistenzärzte und mehrere Oberärzte unter sich vereint. Hinzu kommen die Pflegekräfte und Intensivbetreuer. Die Motivation sei noch immer spürbar, das Engagement des Einzelnen. Aber auch sie merkt: Die Situation nagt am Personal.
Seit langem wird eine Debatte geführt über eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte. Von Steuererleichterungen ist die Rede, von besserer Entlohnung, von Schichtzulagen. Viel Gerede, nicht viel passiert. Rausch sagt: "Ich bin schon froh, dass unser Berufsstand jetzt im Fokus der Öffentlichkeit steht." Dass am Ende jeder weiß, dass Personal Mangelware ist, dass es an allen Ecken und Enden fehlt. Um neues Personal zu rekrutieren, ist eine lohnende Bezahlung aber notwendig. Fünf Jahre Ausbildung hat Rausch hinter sich. Trotz Ausnahmesituation sagt er: "Es ist ein schöner Beruf, nah am Menschen."
In der Kreisklinik Reichenhall hat es dennoch Kündigungen gegeben. Pfleger haben das Handtuch geworfen, sind etwa nach Österreich gewechselt. Dort werden Fachkräfte besser bezahlt als in Deutschland.
"Man müsste die Dienste zu ungünstigen Zeiten besser bezahlen", sagt Hubert Rausch. Nachts oder am Wochenende etwa. Er selbst wird gut entlohnt, sagt er. Natürlich könnte das Ergebnis auf dem Gehaltsschein aber höher ausfallen. Er ist schon lange dabei, kommendes Jahr wird er in Ruhestand gehen.
Arbeit liegen lassen, geht maximal im Büro, nicht in der Pflege
Wieder einer weniger auf der Intensiv. Der Zeitpunkt ist nicht der optimalste, um sich zu verabschieden. Mitarbeiter sind das Kapital im Intensivbereich. Arbeit liegen lassen, geht maximal im Büro, nicht in der Pflege. Mehr als 120 mit dem Virus infizierte Patienten sind seit Pandemiebeginn im Berchtesgadener Land gestorben. Die Patienten werden jünger, deutlich jünger, sagt Rausch. Vor wenigen Tagen war es ein 29-Jähriger, den das Gesundheitsamt als Todesfall meldete. Über Vorerkrankungen ist nichts bekannt.
"Man muss lernen, wie man mit dem Sterben umgeht", sagt Roth. Wenn medizinisch keine Heilung möglich ist, wenn die Therapie selbst nach Monaten keinen Erfolg verspricht, "ist das für jeden schwierig".
Rausch hat etliche hundert Menschen sterben sehen. Das alles zu verarbeiten, ist schwierig. Aber: Man sei nicht auf sich allein gestellt. "Ich gehe manchmal in die Kapelle zum Nachdenken", sagt die Oberärztin. Hauseigene Seelsorger stünden auch für Mitarbeiter zur Verfügung.
Die Impfung, sagen beide, sei das, was zählt, was vielen viel Leid erspart hätte, ersparen wird: "Man kann von Glück sagen, dass die Impfung entwickelt wurde. Sie schützt vor Tod und schwerem Verlauf", sagt Roth. Diese Erfahrung haben die Klinikmitarbeiter zuhauf gemacht, trotz einiger Unverbesserlicher, die selbst vom Krankenbett aus noch nicht vollends überzeugt waren.
Die vergangenen zwei Jahre "haben was mit uns allen gemacht"
Andere wünschten sich, sie hätten sich schneller impfen lassen. Den Ursprung des Problems findet man im Internet, sagt der Intensivpfleger. Rauschs Verhältnis zu Facebook und Telegram ist mehr als gespalten. "Dort wurde viel Schaden angerichtet mit Halbwahrheiten und Falschaussagen", sagt er. Ein verzerrtes Bild, ein Überfluss an Information. Ein Wust an Nachrichten, die schließlich in so manchem Kopf ein falsches Bild der Situation widerspiegeln, sagt die Oberärztin. Die vergangenen zwei Jahre "haben was mit uns allen gemacht", sagt sie. "Derweil gibt es nur ein Ziel", ergänzt Rausch: "Heil durch die Situation zu kommen."
Wie könnte das kommende Jahr in Sachen Covid werden? "Ich habe den Wunsch, dass wir alle ein friedvolles Weihnachtsfest verbringen können", sagt Roth. Dieses Jahr wird sie arbeiten müssen. Denn das Coronavirus macht auch am Heiligabend keine Pause.
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