Dubioser Maskendeal: Wie nah standen sich Hubert Aiwanger und der verdächtige Kommunalpolitiker?

München - Hat sich Hubert Aiwanger, Bayerns Wirtschaftsminister, Vize-Ministerpräsident und Chef der Freien Wähler, in einem millionenschweren Betrugsgeschäft mit Schutzmasken zum Handlanger machen lassen?
Billig-Masken als hochwertigen Corona-Schutz verkauft
Zwei Reifenhändler aus Neumarkt/Oberpfalz, einer von ihnen Freie-Wähler-Politiker Matthias Penkala (31), sitzen seit Mitte Juli in Untersuchungshaft (AZ berichtete). Laut Nürnberger Staatsanwaltschaft haben sie 08/15-Gesichtsmasken aus chinesischer Billigproduktion als hochwertigen Corona-Schutz verkauft. Eine entscheidende Rolle dabei sollen mutmaßlich gefälschte Zertifikate gespielt haben.

Für das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) bedeuteten die Qualitätsbescheinigungen, die den chinesischen Masken coronatauglichen Status bescheinigten, "grünes Licht" für einen Millionen-Deal mit den Neumarkter Geschäftsleuten.
Der Auftragswert lag bei 8,99 Millionen Euro
11,422 Millionen Masken im Auftragswert von 8,99 Millionen Euro ließ sich die Behörde im April 2020 - zu Beginn des Covid-Zeitalters - von ihnen liefern.
Ein entscheidendes Kriterium für den Ankauf der Masken durch das Landesamt waren die Zertifikate, in denen den chinesischen Produkten die erforderliche Qualität nach EU-Standards bescheinigt wurde.
Für ein gewisses Beruhigungspotenzial dürfte für die Behörde auch der Umstand gesorgt haben, dass die dringend erwarteten Zertifikate von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger persönlich übermittelt worden waren. Er hatte die Qualitätsbescheinigungen per Mail von einem der Beschuldigten erhalten und kommentarlos an einen leitenden LGL-Mitarbeiter weitergemailt.
Was sagte Hubert Aiwanger zum Masken-Skandal?
Die Erklärung Aiwangers für seine Rolle beim Zustandekommen des Geschäfts fiel knapp aus. Einer der Beschuldigten, erklärte er nach Bekanntwerden des Ermittlungsverfahrens, habe sich im Frühjahr 2020 mehrfach an ihn gewandt und um Hilfe bei seinen Maskenlieferungen gebeten. "Wie bei vielen anderen Anfragen und Lieferanten", so Aiwanger, "habe ich seine Anliegen ans LGL weitergeleitet."
Auf die Person des Absenders und seinen Hintergrund geht Hubert Aiwanger in seinem Statement nicht ein. Er erwähnt nicht einmal dessen Mitgliedschaft bei den Freien Wählern.
Freie Wähler legten Penkala nahe, Parteiämter ruhen zu lassen
In einer kurz zuvor vom Landesvorstand der Partei herausgegeben Erklärung wird Penkala, der nun in U-Haft sitzt, immerhin als "kommunaler Mandatsträger" bezeichnet. Der Landesvorstand habe ihm nahegelegt, seine Parteiämter sowie seine Mitgliedschaft bis zur Klärung des Verdachts ruhen zu lassen. Bis dahin gelte auch vonseiten der Partei die Unschuldsvermutung.
Die eigentliche Brisanz, die Nähe des Beschuldigten zu Hubert Aiwanger, kommt in der Erklärung nur indirekt zur Sprache. "Aktuell", ließ der FW-Landesvorstand mitteilen, "besteht zwischen dem Beschuldigten und der Parteiführung kein Kontakt."
Vor dem Masken-Desaster, über Jahre hinweg und bis in die jüngere Zeit, strahlten Hubert Aiwanger und Matthias Penkala bei ihren gemeinsamen Auftritten oft Seite an Seite in der Öffentlichkeit: der allgewaltige FW-Chef und die Nachwuchshoffnung der Partei im Schlepptau.
Gemeinsame Fotos von Hubert Aiwanger und Matthias Penkala
Etliche Bilder derartiger Begegnungen bei Veranstaltungen der unterschiedlichsten Art sind in den Medienarchiven zu finden. Der "kommunale Mandatsträger" ist Stadtrat in seinem Wohnort Freystadt und sitzt für die Freien Wähler im Kreistag der Oberpfalz. In den Fokus überregionaler Medien geriet er vor allem als Vorsitzender der Jungen Freien Wähler in Bayern.
Bis Mitte letzten Jahres nahm er dieses Amt wahr, das einen ständigen Kontakt zum großen Vorsitzenden der Mutterpartei garantiert haben dürfte. Wie eng die Einbindung des jetzt in Untersuchungshaft sitzenden Masken-Dealers in das politische und persönliche Umfeld Aiwangers war, lässt sich auch an der Geschäftsstelle der Freien Wähler (Bezirk Oberpfalz) in Freystadt festmachen: Matthias Penkala war dort als Geschäftsführer tätig.
Chefin von Penkala war Aiwangers Freundin
Seine Chefin zu dieser Zeit, Tanja Schweiger, Landrätin in Regensburg und Bezirksvorsitzende der Freien Wähler, ist außerdem noch die langjährige Lebensgefährtin (zwei Kinder) von Hubert Aiwanger.
Email von Penkala an Aiwanger aufgetaucht
Zu der Mail mit den Zertifikaten, die Aiwanger am 5. April 2020 um 17.57 Uhr von Matthias Penkala erhielt und am nächsten Morgen um 8.23 Uhr ohne Kommentar an einen hochrangigen Mitarbeiter des LGL weiterleitete, gehört auch dieser Begleittext seines Parteifreunds: "Servus Hubert, anbei die Zertifikate, die ich habe. Habe dir auch ein Foto der regulären Verpackung hinzugefügt. Das Unternehmen rät aber in der derzeitigen Lage davon ab, diese zu verwenden, da es sonst Probleme bei der Ausfuhr beim chinesischen Zoll geben könnte. Sobald ,Medical' drauf steht könnte es Verzögerungen oder Probleme geben. LG"
Beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, zumindest beim Endempfänger in leitender Position, blieb der Hinweis auf mögliche Probleme ohne erkennbare Effekte. Das Geschäft mit den Masken aus China war zu diesem Zeitpunkt bereits angelaufen - ganz ohne Zertifikate.
Am 2. April, zwei Tage vor der Aiwanger-Mail, war der erste Auftrag erteilt worden, fünf weitere Lieferungen innerhalb von drei Wochen folgten.
AZ-Info: Fachgruppe des LGL stellte nach erster Lieferung Auffälligkeiten fest
Aus den Ermittlungsakten geht nach Informationen der AZ hervor, dass eine Fachgruppe des LGL schon in einem sehr frühen Stadium, vermutlich bereits nach der ersten Lieferung am 8. April, Auffälligkeiten festgestellt hatte: keine Adressenangaben des EU-Bevollmächtigten, die zwingend erforderlich gewesen wären, keine Angaben über die Norm oder den Maskentyp, lediglich die Aufschrift "Face Mask" gab es. An den Bestellungen, an dem Millionengeschäft, änderte sich aber: nichts.
Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit befindet sich unter dem Dach des Gesundheitsministeriums, handelt nach Angaben eines Ministeriumssprechers aber beim Einkauf der Corona-Schutzmasken eigenverantwortlich. Die Staatsanwaltschaft sprach von einem Schaden im siebenstelligen Bereich.
Ärzte und Krankenhäuser erhielten die Masken
Weitaus weniger präzise lässt sich das gesundheitliche Risiko bestimmen, das durch den Gebrauch der Masken entstanden sein dürfte, die durch ein LGL-Gutachten schließlich "als nicht verkehrsfähig einzustufen" waren. Von den mehr als elf Millionen Stück konnte nur noch ein geringfügiger Bruchteil aus dem Verkehr gezogen werden. Alle anderen Masken, die vor allem Ärzte und Krankenhäuser erhalten hatten, waren zum Zeitpunkt der Alarmierung längst verbraucht.
Der Rechtsanwalt des Beschuldigten wollte zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Stellungnahme zu dem Fall abgeben.