Digitalisierung in Bayern: Die Schule von morgen
Verzweifelte Eltern, überforderte Schüler und Phantom-Lehrer, die wochenlang nicht erreichbar sind: Dieses Negativ-Bild vom Distanzunterricht in Corona-Zeiten geisterte immer wieder durch die Medien. Hinzu kam ein nicht abreißender Strom an Kritik an der digitalen Organisation des Homeschoolings seitens des Freistaats.
Doch wie haben Bayerns Schüler, Lehrer und Eltern den größtenteils digitalen Unterricht im vergangenen Jahr wirklich erlebt? Die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) hat dies von der LMU in einer Studie herausfinden lassen. Ein Überblick:
Digitalisierung ist vorangekommen
Frank Fischer ist Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der LMU München und hat die vbw-Studie "Digitale Bildung an bayerischen Schulen vor und während der Corona-Pandemie" erstellt. Befragt wurden dazu Schüler, Lehrer und Eltern aus allen Schulformen. Fischer kommt - auch mit Blick auf eine Vorgängerstudie von 2017 - zu dem Ergebnis, dass sich in Sachen Schul-Digitalisierung in der Zeit bis Ende 2019 einiges getan hat, auch wenn kein "fundamentalen Wandel" stattgefunden habe.
Digitale Medien würden stärker im Unterricht eingesetzt und Medienkompetenzen nehmen im Lehramtsstudium eine wichtigere Rolle ein, so Fischer gestern bei einem Online-Kongress der vbw. "Die bayerischen Schulen haben bei der digitalen Bildung bereits einiges erreicht" sagte auch vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt.
Herausforderung Distanzunterricht
Mit Blick auf den digitalen Unterricht seit Corona, um den es im zweiten Teil der repräsentativen Studie geht, heißt es: Im Großen und Ganzen habe "die Umsetzung des schulischen Lernens zu Hause technisch geklappt". Aus den Befragungen ergebe sich, dass "praktisch alle Schülerinnen und Schüler in Bayern mit einer Menge an digitalen Lernmaterialien und Übungsmöglichkeiten versorgt" wurden, es viel Feedback seitens der Lehrer gegeben habe und diese den digitalen Unterricht auch dazu genutzt hätten, Lernaktivitäten anzuregen, die über die bloße Bereitstellung von Lernmaterialien hinausgehen.
Die Studie führt die Erfolge auch auf die vorangegangenen politischen Anstrengungen im Schulwesen zurück.
Die Baustellen
Bei aller Euphorie offenbart die Studie aber auch teils eklatante Defizite: "Selbststeuerung, wackliges Internet und manchmal fehlende Endgeräte sind die Hauptprobleme des schulischen Lernens zu Hause", fasst Fischer zusammen. Viele Schüler und auch Lehrer gaben an, dass es schwer falle, die Motivation zu erhalten, insbesondere Lehrer klagten über mangelnde digitale Infrastruktur.
Hinzu kommt die soziale Ungleichheit: So wurden in Bayern 3,4 Prozent der Schüler in Grundschulen und 4,5 Prozent der Schüler an weiterführenden von den Lehrkräften überhaupt nicht erreicht - eine kleine, aber wichtige Gruppe, so Studienleiter Fischer.
Zudem wurden Eltern stark belastet: Den Befragungen zufolge haben Eltern im Lockdown durchschnittlich zwei bis drei Stunden täglich ihre Kinder beim schulischen Lernen unterstützt, bei Grundschülern waren es sogar 4,8 Stunden. Dabei wurde die Beschulung mehrheitlich von Müttern geleistet; Kinder Alleinerziehender kamen im Schnitt nur auf 0,3 Stunden Homeschooling.
Was sich ändern muss
Als zentrale Handlungsempfehlungen für die Zukunft der Digitalisierung an Schulen sieht die vbw den Ausbau einer robusten und flächendeckenden digitalen Grundausstattung der Schulen mit Endgeräten und digitaler Infrastruktur auch im Präsenzunterricht und eine stärkere Verankerung der digitalen Qualifizierung von Lehrkräften im Studium. Außerdem müsse es nach der Pandemie eine gezielte Förderung der Kinder und Jugendlichen mit Kompetenzlücken geben, sagte Fischer.
Für mehr gezielte digitale Förderung sprach sich am Mittwoch auch die FDP im Bayerischen Landtag aus und reichte mehrere Dringlichkeitsanträge ein. Darin fordert sie eine Einstellungs-Offensive von 1.000 Lehrkräften als "Corona-Feuerwehr" bis 2025, digitale Lernstandserhebungen und individuelle Förderpläne. Zudem müssten hochwertige bestehende digitale Lernangebote mit der Lernplattform Mebis verknüpft und auch die seelische Gesundheit der Kinder in der Krise berücksichtigt werden, sagte Matthias Fischbach von der FDP-Fraktion. Es brauche "digitale und niedrigschwellige Hilfsangebote wie Messenger-Dienste, auf die die jungen Menschen rund um die Uhr zurückgreifen können".