Deutschlands jüngster Bestatter: "Viele beschäftigen sich zu wenig mit dem Tod"
Fürth - Der 16-Jährige Luis Bauer macht in Fürth eine Ausbildung zum Thanatopraktiker, also Einbalsamierer, und informiert auf TikTok über eine Million Fans über seine Arbeit und Fragen rund um den Tod. Mit seinem Vater, dem Chef des Bestattungsunternehmens, hat er nun ein Buch geschrieben.
AZ: Herr Bauer, haben Sie heute schon einen Toten gesehen?
LUIS BAUER: Ja, nicht nur einen.
Viele Menschen dürften - jenseits des "Tatorts" - noch nie eine Leiche gesehen haben. Bei Ihnen ist das Alltag. Wie kam es dazu?
Mein Vater ist ja Bestatter, daher kenne ich es nicht anders: Am Abendbrottisch ging es schon immer darum, was bei ihm in der Arbeit passiert ist. Schon als kleines Kind war das dadurch für mich etwas ganz Normales. Den ersten Verstorbenen habe ich gesehen, als ich in der Grundschule war. Dann wurde das Interesse auch immer größer an der Arbeit und letztes Jahr habe ich dann mit der Schule aufgehört und bin komplett hier in meiner Ausbildung zum Einbalsamierer.
"Ein Freund war dabei, ist bei uns aber dann in Ohnmacht gefallen"
Wie haben Ihre Freunde darauf reagiert?
Unterschiedlich. Viele kennen mich eh schon als Bestatter-Sohn, viele haben auch mit Interesse reagiert. Ich hab auch mal einen Freund mitgenommen und ein bisschen hier herumgeführt, weil er sich so dafür interessiert hat. Das Dumme war: Er ist dann in Ohnmacht gefallen, weil er's dann noch nicht ganz verkraftet hat.
Klar, der Beruf ist nichts für Zartbesaitete, die Arbeit kann auch eklig sein, oder?
Sicher, man sieht schon Dinge, die für andere nicht alltäglich sind. Aber man kann sich an ganz viele Sachen gewöhnen. Diese Ekel-Schwelle kann man schon weit nach unten schrauben.
Die Angst vor dem Tod selber auch?
Ja, man kann sie teilweise beseitigen. Ich lese das auch oft in den TikTok-Kommentaren, ich rede einfach ganz normal und locker über das Thema und das springt dann auf andere über. Gestern erst habe ich mit jemandem eine Versorgung gemacht, der vorher noch nie mit dem Thema in Berührung kam. Ich habe ihm alles normal erklärt und er meinte, ja, stimmt, das ist gar nicht so schlimm.
Stumpft man dann auch ab, wenn in der eigenen Familie jemand stirbt?
Nein, aber man hat einen gesunden Umgang mit der Sache dadurch. Man weiß trauerpsychologisch besser Bescheid und kann die Muster, die es gibt, die man sonst von Angehörigen kennt, auf sich selber anwenden. Das gibt einem eine gewisse Sicherheit, wenn es einen doch mal selber trifft.
Für Sie ist es Alltag, für die Trauernden eine absolute Ausnahmesituation. Wie geht man mit den Angehörigen richtig um?
Ganz wichtig ist, dass man keine dummen Floskeln anwendet wie "Die Zeit heilt alle Wunden" oder "Alles wird gut". Dann schaut der dich an und sagt: "Spinnst du? Ich habe gerade meine Mutter verloren, nix wird gut." Man braucht Fingerspitzengefühl, Feingefühl und tatsächlich ist es manchmal auch schwierig, Reaktionen dann nicht auf sich selbst zu übertragen.
Inwiefern?
Beispielsweise bei Männern äußern sich die angestauten Gefühle oft in Wut. Da kann es zu brenzligen Situationen kommen, bei denen es eine Kunst ist, das nicht persönlich zu nehmen, sondern sich auf dessen schwierige Situation zu besinnen. Man muss ein Topf sein, in den man Gefühle und den Redebedarf fallen lässt. Den man abends dann aber auch zumachen kann und nicht mit nach Hause nimmt.
Können Sie nach der Arbeit gut abschalten?
Ja, wahrscheinlich auch, weil ich damit aufgewachsen bin. Ich kann gut Distanz schaffen. Und, das klingt jetzt fies, aber es ist nicht mein Leid, das die Menschen erleben. Da eine Grenze zu schaffen, ist schon wichtig. Das heißt nicht, dass ich keine Gänsehautmomente habe oder abgestumpft bin.
Auf der Videoplattform TikTok sprechen Sie viel über Ihren Beruf und Ihren Alltag, informieren über Abläufe. Warum eigentlich?
Im Februar letzten Jahres hatte ich die Idee. Ich bin auf TikTok, wie quasi jeder in meinem Alter, und dachte, vielleicht interessiert es ja jemanden, wenn ein Bestatter ein Video macht und über Dinge spricht, von denen niemand außerhalb einen Plan hat. Dann haben meine Schwester und ich ein kurzes Video über Verstorbene gemacht und am nächsten Tag hatten es schon 15 000 Leute angeschaut. Dann habe ich bemerkt, das Interesse ist da.
Wie sind die Reaktionen darauf?
Überwiegend positiv. Die Leute finden das cool und spannend. Es sind auch Trauernde dabei, die sagen, es hilft ihnen beim Abschiednehmen. Ich kann schon teilweise Ängste nehmen darüber. Es gibt wenige, denen vielleicht meine lockere, natürliche Art aufstößt. Aber ich bin halt ein fröhlicher Mensch und ich denke, genau deswegen kommt das auch so gut an.
"Ich lebe mehr, weil ich weiß, wie schnell es vorbei sein kann"
Welche Fragen kommen denn über TikTok, was fragen sich viele Leute?
Das sind so viele... Wie kalt es in der Kühlung ist, wie tote Menschen riechen, was mit der Zahnspange oder Brustimplantaten passiert, wenn man stirbt. Oder, wozu Bestatter Sekundenkleber brauchen.
Aha, wofür braucht man den als Bestatter?
Damit kann man kleinere Einstiche, etwa von Zugängen aus dem Krankenhaus, verschließen.
Denken Sie generell, dass Leute sich zu wenig mit dem Tod beschäftigen?
Viele, ja. Für den Großteil ist es ein Tabuthema, viele laufen auch davor weg, haben Angst, weil es sie selber irgendwann trifft, was ja jeder weiß. Ich bin aber auch überzeugt, wenn man sich viel damit beschäftigt, wird die Angst kleiner.
Und Sie selbst? Leben Sie durch die permanente Nähe zum Tod bewusster?
Ja, ich lebe mein Leben schon mehr, auch fröhlicher. Weil ich weiß, wie schnell es vorbei sein kann. Es kann ja passieren, dass ich nach diesem Interview aufs Fahrrad steige, um zu einem Freund zu radeln, und dabei überfahren werde. Genau so einen Fall hatte ich schon mal auf dem Tisch liegen. Ängstlich laufe ich dadurch nicht durch den Alltag, aber ich weiß das Leben einfach mehr zu schätzen, denke ich.
Momentan ist es extrem heiß in Bayern, hat das Auswirkungen auf Ihre Arbeit?
Naja, ich stehe meistens im Versorgungsraum, da gibt es leider keine Klimaanlage, deswegen fange ich oft schon früher an, weil es da noch erträglicher ist. Die Kühlung läuft freilich auf Hochtouren derzeit - und einen Verstorbenen aus einer Dachgeschosswohnung im fünften Stock abzuholen, ist momentan natürlich auch noch anstrengender als ohnehin schon.
Sterben mehr Menschen momentan?
Wellenweise merkt man das schon, ja, dass ein bisschen mehr Leute sterben. Eine 80-Jährige, die ohnehin schon krank und bettlägerig ist, packt das einfach dann manchmal nicht mehr.

"Wenn der Tod kommt, ist Sense - Unglaubliche Geschichten und skurriles Wissen aus dem Bestatteralltag" (144 Seiten, 9,99 Euro) von Luis und Johannes Bauer ist im EMF-Verlag erschienen.
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