Debatte in Bayern: Die Impfpflicht ruft - oder doch nicht?
München/Berlin - Erhebliche Bedenken gegen eine allgemeine Impfpflicht kommen aus Bayern - von medizinischer und von verfassungsrechtlicher Seite.
Darum ist Sars-CoV-2 nicht dauerhaft zu eliminieren
Wenn sich erhärten sollte, dass die im Vormarsch befindliche Virus-Variante Omikron weniger zu schweren Krankheitsverläufen und Todesfällen führt, lasse sich der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht rechtfertigen, sagt der Augsburger Verfassungsrechtslehrer und Medizinrechtsexperte Josef Franz Lindner.

Die Impfpflicht mache schon deshalb keinen Sinn, weil der Sars-CoV-2-Erreger ständig Veränderungen durchmache, sagt der Erlanger Immunologe Christian Bogdan, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist.
Eine allgemeine Impfpflicht sei vor allem dann sinnvoll, wenn es sich nicht nur um einen gefährlichen, sondern auch stabilen Infektionserreger handelt, der sich einer Immunantwort nach Impfung nicht entziehen kann, ausschließlich beim Menschen vorkommt und somit durch eine Impfung ausgerottet werden kann, sagt Bogdan, der Leiter des Instituts für Klinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene am Universitätsklinikum Erlangen ist.
Beispiele dafür sind die Erreger von Menschenpocken, der Kinderlähmung sowie der Masern. Sars-CoV-2 hingegen verändert sich, ist nicht auf den Menschen beschränkt und ist deswegen nicht dauerhaft eliminierbar.

Bei diesem Virus seien weltweit schon mehrfach Varianten aufgetreten, die sich der durch die zur Zeit verfügbaren Impfstoffe ausgelösten Immunantwort zumindest teilweise entziehen, so Bogdan.
Bei der aktuellen Omikron-Variante wisse man seit Kurzem, dass durch eine dreimalige Impfung mit den vorhandenen mRNA-Impfstoffen noch Schutz vor schwerer Erkrankung erzielt werden könne. "Entsprechend sollte sich jeder impfen und unbedingt auch boostern lassen", sagt Bogdan. Allerdings sei bisher nicht bekannt, wie lang dieser Schutz anhält, vor allem wenn weitere Veränderungen des Virus auftreten. "Ergo wird es mit drei Impfungen nicht getan sein. Diese erwartbare Notwendigkeit von regelmäßigen Wiederimpfungen spricht gegen eine Impfpflicht."
"Braucht es das? Natürlich nicht", sagt der Experte
Drittes Argument des Erlanger Wissenschaftlers: Die Impfquote in Deutschland sei insbesondere in der besonders gefährdeten Gruppe der über 60-Jährigen wesentlich besser als es in der Öffentlichkeit mitunter dargestellt werde.
Mittlerweile seien in dieser Gruppe fast 90 Prozent der Menschen grundimmunisiert, weitere 65 Prozent durch eine dritte Impfung geboostert. Unter den verbliebenen zehn Prozent Ungeimpften seien zudem viele Menschen, die bereits eine Sars-CoV-2-Infektion durchgemacht haben.
"Braucht es da noch eine Impfpflicht? Natürlich nicht, zumal diese bis zur Umsetzung ohnehin zu spät käme, keinen Einfluss auf die bereits begonnene Omikron-Welle hätte und einen unnötigen administrativen Aufwand, gesellschaftlichen Widerstand, gerichtliche Klagen und andere Ausweichmanöver von Impfgegnern auslösen würde", sagt Bogdan.
Die Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht müssen auch mit juristischem Gegenwind rechnen. Gegen Delta wäre eine Impfpflicht nach Ansicht des Augsburger Juraprofessors Lindner "verfassungsrechtlich vertretbar" gewesen, bei Omikron sei es "problematischer". Sollte sich "belastbar" herausstellen, dass Omikron harmloser ist, lasse sich der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit nicht legitimieren. Gerechtfertigt werden könne die allgemeine Impfpflicht allein mit der konkreten Gefahr einer Überlastung der Krankenhäuser.
Eine Impfpflicht bei künftigen Varianten wäre womöglich sinnvoll
Weil Impfstoffe gegen Omikron nur eingeschränkt wirken, stehe auch dies der Einführung einer Impfpflicht entgegen, so der Verfassungsrechtler: "Das heißt nicht, dass man nicht über die Einführung einer Impfpflicht im Hinblick auf künftige Varianten diskutieren und die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen bereits jetzt schaffen sollte."
Sowohl der Mediziner wie auch der Jurist unterstützen die Bedenken des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) gegenüber der Einführung einer "2G plus"-Regel als Voraussetzung für den Besuch von Gaststätten und Bars. Der bayerische Ministerrat will am Dienstag darüber entscheiden, ob diese Vorgabe im Freistaat eingeführt wird.
Menschen, die nur zweimal geimpft sind oder nach durchgemachter Infektion eine Impfdosis erhalten haben, tragen tatsächlich ein höheres Risiko an Omikron zu erkranken als an einer Infektion mit der Delta-Variante, vor allem, wenn die letzte Immunisierung länger als drei Monate zurückliegt, sagt Professor Bogdan.
Daher sei "2G" ohne weitere Einschränkung "kein ausreichendes Schutzschild gegen Omikron". Eine Antigentestung zusätzlich zu 2G leiste aber höchstens einen kleinen Beitrag zur Pandemiebekämpfung, da die Empfindlichkeit der Schnelltests nicht sonderlich hoch sei.
- Themen:
- Markus Söder
- Politik