Chef der Wasserwacht Bayern: Die Sorglosigkeit nimmt zu

München - Die Sonne scheint, die großen Ferien stehen vor der Tür – und damit auch die Tage, die man an einem der vielen bayerischen Seen verbringen kann.
Heuer könnte es da besonders voll werden – denn wegen der Corona-Pandemie entscheiden sich wohl mehr Familien dafür, Urlaub in der Heimat zu machen als sonst. Welche Herausforderungen bringt das mit sich? Welche Gefahren gibt es am See und wie kann man sich vor ihnen schützen?
Die AZ hat mit Thomas Huber gesprochen, dem Vorsitzenden der Wasserwacht Bayern beim Bayerischen Roten Kreuz (BRK).
AZ: Herr Huber, die Sommerferien stehen vor der Tür und viele Familien werden sie wohl am See verbringen. Mit welchen Gefühlen blicken Sie heuer auf die Badesaison?
THOMAS HUBER: Ich blicke mit gemischten Gefühlen auf diesen Sommer. Wir haben in Bayern tolle Seen, die uns gerade in der Corona-Krise eine wunderbare Möglichkeit bieten, Urlaub "dahoam" zu machen. Aber Corona bringt auch viele Herausforderungen, gerade für uns als Wasserwacht. Wenn sich Menschen in Gefahr begeben, ist das auch für unsere ehrenamtliche Helferinnen und Helfer ein Risiko. Im Wasser kann man keine Abstände halten und auch keine Masken tragen – das Ansteckungsrisiko ist also deutlich erhöht. Und das macht mir Sorgen.
Viele Naherholungsgebiete in Bayern berichten inzwischen von einem regelrechten "Freizeitkrieg", der auch im Wasser herrschen dürfte: Stand-up-Paddler, Schwimmer, Segler ... Wird es heuer einfach zu voll an Bayerns Seen?
Die Gefahr ist auf jeden Fall gegeben. Wir als Wasserwacht-Bayern weisen ja bereits jetzt darauf hin, dass es ein erhöhtes Einsatzaufkommen geben kann. Das versetzt uns natürlich in erhöhte Alarmbereitschaft. Unsere Wasserwacht-Stationen sind ja in der Regel nur am Wochenende besetzt. Wenn es unter der Woche mehr Einsätze gibt, ist das eine Situation, für die unsere Wachdienste im Moment nicht ausgelegt sind. Viele vergessen, dass all diese Ehrenamtlichen unter der Woche ihren Berufen nachgehen müssen.
"Bilder von überfüllten Stränden wird es auch hier geben"
Bleibt ein mulmiges Gefühl?
Wir versuchen alles Menschenmögliche, um die Sicherheit der Badegäste zu gewährleisten, aber Risiken gibt es immer. Es ist davon auszugehen, dass viele Menschen außerhalb Bayerns und Deutschlands Urlaub in Bayern machen werden. Bilder von überfüllten Stränden, wie wir sie aus Urlaubsländern wie Spanien kennen, wird es auch hier geben.

Warum müssen Sie zu mehr Rettungen ausrücken?
Die Ursachen sind teils coronabedingt, mehr Urlauber bedeuten mehr Einsätze. Aber Gewässer sind auch unabhängig von Corona gefährlich. Wir beobachten eine erhöhte Risikobereitschaft von jungen, aber auch erwachsenen Menschen. Man überschätzt sich, hat zu wenig Respekt vorm Wasser. Die Sorglosigkeit hat zugenommen und damit auch die Gefahr, in dramatische Situationen zu kommen.
Diese Gefahren lauern an den Badeseen
Welche Gefahren gibt es denn am Badesee?
Da geht es um Wassertemperatur, aber auch das Hineinspringen in Gewässer, die man nicht kennt und die nicht von einer Wasserrettungsorganisation betreut werden. Auch Fließgewässer bergen wegen der Strömung Gefahren. Und Alkohol und Schwimmen ist eine sehr gefährliche Kombination.
Glauben Sie, das könnte heuer zum Problem werden, wenn jüngere Leute den Badesee als Clubersatz sehen und dann nach ein paar Drinks zuviel in den See hüpfen möchten?
Die Gefahr ist auf jeden Fall gegeben. Ich kann nachvollziehen, dass man sich in München abends mit Freunden an die Isar setzt, oder anderswo an den See, wenn andere Möglichkeiten eingeschränkt sind. Viele vergessen, dass die Einschränkungen nicht getroffen wurden, weil die Gefahr vom "Club" ausgeht – die Gefahr geht vom zwischenmenschlichen Kontakt, dem feucht-fröhlichen Feiern und der ausgelassenen Stimmung aus. Somit ist die Verlagerung vom Club an den See nicht nur gefährlich, sondern birgt ein neues Risiko: Unfälle im und am Wasser. Nur weil das Virus hierzulande aufgrund der frühzeitig getroffenen Maßnahmen derzeit noch verhältnismäßig mild verläuft, dürfen wir nicht nachlassen und leichtsinnig werden. Das könnte fatale Folgen haben.
Kommt ein Schlauchbootverbot auch für Seen?
Auf der Isar sind zuletzt unzählige Schlauchboote wegen der starken Strömung gekentert, inzwischen gibt es ein Schlauchboot-Verbot. Wäre das auch für Seen sinnvoll?
Grundsätzlich gilt, notwendige Maßnahmen zu ergreifen, die das Leben anderer schützen. Wenn ein Gewässer aufgrund eines hohen Wasserstandes oder sonstiger Verhältnisse gefährlich ist, so müssen Menschen davor gewarnt werden. Bringt das nichts, so sind auch Verbote ein probates Mittel.
Die Deutsche Lebens-Rettungsgesellschaft (DLRG) warnt vor deutlich mehr Badetoten in diesem Jahr. Teilen Sie diese Befürchtung?
Im Vergleich zu 2018 haben wir zwar eine Steigerung, aber über die vergangenen Jahre sind die Zahlen immer relativ gleich geblieben. In Bayern liegen die zwischen 85 und 95. Ich kann da bisher noch keine signifikante Steigerung erkennen. Jeder Badetote ist einer zu viel, darum darf man das auch nicht herunterspielen. Ich halte es aber auch für wichtig, dass wir uns nicht nur mit den Zahlen beschäftigen, sondern auch Angebote entwickeln, um diese Zahlen zu reduzieren.
Das BRK hat dafür 2019 die Aktion "Bayern schwimmt" ins Leben gerufen.
Im letzten Jahr ist es uns gelungen, 4.000 Viertklässler das Schwimmen zu lehren, zusätzlich zu den rund 10.000 Schwimmausbildungen im Jahr, die wir ohnehin als Wasserwacht durchführen. Das wollten wir heuer weiterführen, was aber coronabedingt nicht ging, auch, weil in den Schulen massiv Sportunterricht weggefallen ist. Deshalb haben wir das Ganze als digitales Angebot weitergeführt und elf Videotutorials erstellt, die sich Kinder, aber auch Eltern und Lehrer auf Youtube anschauen können, um sich aufs Schwimmen vorzubereiten.
Rund jedes siebte Kind in Bayern kann nicht schwimmen
Laut BRK sind in Bayern rund 15 Prozent der Kinder zwischen fünf und 17 Jahren Nichtschwimmer. Sollte man auch die Eltern stärker in die Pflicht nehmen?
Ich erkenne hier leider tatsächlich einen Trend, dass das Schwimmenlernen von den Eltern nicht mehr so selbstverständlich ist wie früher. Deswegen mein Appell an alle Eltern: Gehen Sie mit ihren Kindern zum Baden, führen Sie sie ans Wasser heran, bringen Sie ihnen Schwimmen bei! Die Schulen und die Wasserwacht können hier nur unterstützen. Es gibt aber erfreuliche Entwicklungen: Ich gehe selbst regelmäßig Bahnen schwimmen und stelle fest, dass seit Wiederöffnung der Bäder viele Eltern ihren Kindern das Schwimmen beibringen.
Schwimmkurse sind oftmals ausgebucht, teils mit Wartezeiten von über einem Jahr. Was muss hier getan werden?
Meistens mangelt es daran, dass zu den Kernzeiten, also zwischen 16 und 20 Uhr, die Hallenbäder ausgebucht sind. Unterm Strich braucht es einfach mehr Schwimmbäder. Das kostet natürlich Geld und nicht jede Gemeinde kann sich ein eigenes Hallenbad leisten. Deswegen finde ich das Schwimmbad-Sonderprogramm der Staatsregierung auch richtig, mit dem Kommunen beim Bau neuer Schwimmbäder unterstützt werden. Wichtig ist aber auch, dass bestehende Bäder erhalten bleiben und nicht geschlossen werden.
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