Bertram Brossardt über Sanktionen gegen Russland: "Es gibt keine andere Antwort"
München - AZ-Interview mit Bertram Brossardt: Der 61-Jährige ist seit 2005 in Personalunion Hauptgeschäftsführer der bayerischen Metall-Arbeitgeberverbände bayme und vbm sowie der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), dem Dachverband aller Arbeitgeberverbände in Bayern.
Zuvor war der Jurist 16 Jahre lang in verschiedenen Funktionen im bayerischen Wirtschaftsministerium tätig, von 1993 bis 1998 als Büroleiter des damaligen Wirtschaftsministers Otto Wiesheu (CSU).

AZ: Herr Brossardt, es überraschte etwas, dass Autohersteller wegen des Krieges in der Ukraine die Produktion einstellen mussten. Wie abhängig ist die bayerische Industrie von Vorprodukten aus der Ukraine?
BERTRAM BROSSSARDT: Produkte aus der Ukraine stellen in Bayern zwar nur 0,2 Prozent aller Importe, allerdings sind darunter Vorprodukte, etwa im Bereich des Automobils, und Rohstoffe wie zum Beispiel Ferrolegierungen, Blei, Erze, Kaolin oder Titan, die für uns unerlässlich sind. Für Vorprodukte sind wir auf Produktionsstätten in der Ukraine angewiesen. Die Zulieferungen erfolgen entweder nur noch unwesentlich oder gar nicht. Dadurch sind Lieferketten gerissen oder drohen zu reißen.
Brossardt: "Besonders geht es um die Energieimporte von Gas, Öl und Kohle"
Man muss wohl damit rechnen, dass auch der Außenhandel mit Russland mehr oder weniger zum Erliegen kommt. Wie sehr ist die bayerische Wirtschaft davon betroffen? Könnte das den sowieso stockenden Erholungsprozess beenden?
Das Russland-Geschäft bayerischer Unternehmen ist bereits seit 2014 im Trend rückläufig. Bayern exportierte im Jahr 2021 Waren im Wert von 3,09 Milliarden Euro nach Russland. Das waren 1,6 Prozent aller bayerischen Exporte. In einigen Branchen und bei einer erheblichen Anzahl von Firmen stellt der Auftragsbestand einen hohen Anteil am Gesamtgeschäft dar. Dort sind die Auswirkungen erheblich. Die Importe summierten sich 2021 auf 6,34 Milliarden Euro, das waren 3,0 Prozent aller Importe.
Überwiegend fossile Brennstoffe?
Besonders geht es um die Energieimporte von Gas, Öl und Kohle. Dort können die Auswirkungen drastisch sein, da die Versorgungs- und Preissicherheit alle Unternehmen in Bayern betrifft. Das ist derzeit das größte Problem. Eine quantitative Prognose der wirtschaftlichen Auswirkungen ist zum jetzigen Zeitpunkt seriös nicht möglich, aber ohne Zweifel wird die Konjunktur spürbar belastet werden, die ja bereits unter Corona und Materialmangel leidet.
Brossardt: "Müssen Lösungen für den nächsten Winter finden"
Die vbw hat in der Vergangenheit die damals noch vergleichsweise milden Wirtschaftssanktionen gegen Russland wiederholt beklagt und der Meinung Ausdruck verliehen, dass diese ohnehin wirkungslos seien. Wie sehen Sie das heute?
Wir erleben heute einen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. Das von der EU beschlossene Sanktionspaket ist massiv und bringt Belastungen und Einbußen für die bayerische Wirtschaft. Trotzdem ist es aus unserer Sicht unumgänglich, wenn wir Demokratie und Freiheit verteidigen und bewahren wollen. Wir sind der Überzeugung, dass wirtschaftlicher Handel und Austausch ein wichtiges Instrument zur Friedenssicherung sind. Aber es gibt keine andere Antwort auf die Missachtung von Völkerrecht und Krieg.
Nach Angaben des bayerischen Wirtschaftsministers sind 1.200 bayerische Firmen geschäftlich in Russland, 680 weitere in der Ukraine engagiert. Was passiert jetzt mit deren Investments? Kommen Betriebe sogar in bedrohliche Schieflage?
Ja. Je stärker Unternehmen in Russland oder der Ukraine engagiert sind, desto kritischer ist die Lage für sie. Es gilt, die wirtschaftlichen Verflechtungen zu überprüfen.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die russischen Erdgas- und Öllieferungen von heute auf morgen ausfallen? Was passiert dann: Gehen in Bayern die Lichter aus?
Das lässt sich nicht seriös einschätzen. Besonders abhängig sind wir in Bayern von Erdgaslieferungen aus Russland. Nach derzeitigem Stand verfügen wir über genug Gasreserven, um bis zum Frühjahr zu kommen. Wir müssen aber jetzt Lösungen für den kommenden Winter finden.
Brossardt: "Wir brauchen mehr Tempo beim Bau der Stromtrassen"
Sie haben Sympathie für den Vorschlag des bayerischen Ministerpräsidenten zur Verlängerung der Laufkraft des Atommeilers Isar 2 gezeigt. Nutzt das denn angesichts der um ein Vielfaches größeren Menge an Energie aus fossilen Energien überhaupt etwas?
Wir müssen alle Energieträger einbeziehen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Insgesamt brauchen wir ein Energiekonzept mit einem Mix aus dem ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien und dem erforderlichen Einsatz von Wärmekraftwerken, um die Stromversorgung in allen Lastbereichen zu sichern. Als erstes muss sich die Energiepolitik auf den Ausbau der Netze konzentrieren. Wir brauchen mehr Tempo beim Bau der Stromtrassen von Nord nach Süd. Zweitens brauchen wir einen zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Zusätzlich ist eine schnelle Diversifikation des Gasbezugs nötig. Flüssigerdgas (LNG) hat ein längerfristiges Potenzial, das aber kurzfristig aufgrund mangelnder Infrastrukturen nicht den erforderlichen Beitrag leisten kann.
Wie stehen Sie zur Wiederinbetriebnahme stillgelegter Kernkraftwerke - soweit überhaupt möglich?
Es geht jetzt darum, die Möglichkeiten und Voraussetzungen für die Verlängerung der noch laufenden Kernkraftwerke für einen Übergangszeitraum von drei bis fünf Jahren zu überprüfen. Darauf sollten wir uns jetzt konzentrieren.
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