Bayerns Skigebiete im Wandel: Wenig Schnee, viel Seil

München - Winter ade, Berge ohne Schnee: Die "Weißgrenze" nähert sich Jahr für Jahr der Waldgrenze; laut Prognose des Deutschen Wetterdienstes wird sie mittelfristig auf rund 1500 Höhenmeter klettern. Schon der vorige Winter zeigte im Alpenvorland nur noch an 30 Tagen eine geschlossene Schneedecke.
Schnell und trotz Schutzfolien im Sommer schmilzt Deutschlands vielbesuchter Vorzeige-Gletscher, das Zugspitzplatt, eindeutige Folgen des Klimawandels.
Die Staatsregierung fördert Schneekanonen und Speicherbecken
Klar, dass sie den klassischen Winterfreizeitsport erheblich beeinträchtigen und mancherorts zum Erliegen bringen. Nicht nur deshalb sind Begeisterung und Teilnahme am "weißen Rausch" längst dahingeschmolzen wie das "ewige Eis" mancher Firner, wobei besonders bei jungen Leuten ökologische Bedenken mitspielen.
Trotz alledem: Kurz vor Weihnachten haben Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner und Bauminister Hans Reichhart, beide CSU, am Brauneck bei Lenggries eine neue Sechser-Sesselbahn eröffnet; sie könnte stündlich 2.400 Skifahrer zum Schrödelstein schaufeln. Und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ließ zeitgleich wissen, dass die Staatsregierung die Zuschüsse für Seilbahnen, Schneekanonen und dafür nötige Speicherbecken verdoppeln werde – auf fast 40 Millionen Euro im Jahr 2020; überdies wurde das Förderprogramm bis 2022 verlängert.
"Für den Tourismusstandort Bayern waren die Seilbahnen schon immer von grundlegender Bedeutung" – so das freistaatliche Credo. Gewiss, das war einmal. Der Aufschwung der "mechanischen Aufstiegshilfen", wie sie früher amtlich betitelt wurden, wird hierzulande bald auf hundert Jahre zurückblicken können. Er ist nach wie vor "ungebrochen" – so ungebrochen, wie es die Statistiken deutscher Touristiker der Reiselust allgemein und alljährlich wieder bestätigen.
Begonnen hat alles in Reichenhall, das nach dem Ersten Weltkrieg zum Weltbad aufstrebte. Der Kurdirektor und ein Grand-Hotelier initiierten in den 1920er Jahren den Bau einer auf Monumentalstützen und 2380 Meter langen Stahlseilen umlaufenden Gondelbahn zum Hausberg, dem Predigtstuhl.
Sie wurde seither natürlich mehrmals saniert und sogar unter Denkmalschutz gestellt; seit seinem 90. Geburtstag im Jahr 2017 läuft Bayerns Seilbahn-Veteran wieder wie geschmiert: als älteste im Original erhaltene, ganzjährig verkehrende Großkabinenseilbahn der Welt.
Der große Skizirkus ist bald mitten in Bayerns niedrige Berge gezogen
In den 1930er Jahren beförderten bereits fünf bayerische Seilschwebebahnen pro Jahr rund 300 000 Personen, die meisten waren Kurgäste und Ausflügler.
Bald nach dem Zweiten Weltkrieg aber bewegte sich der große Skizirkus mitten hinein in Bayerns vergleichsweise niedrige Berge. Das erste Hauptquartier wurde auf Deutschlands höchstem Gipfelplateau aufgeschlagen. Unter dem Zugspitzgipfel drehte sich in der Wintersaison 1956/57 ein Karussell von sechs in Eis und Fels verankerten Skiliften; mit dem Schneefernerkopf (2.854 m) wurde ein Höhenrekord erreicht.

Sodann, nach zweijähriger Bauzeit, zog man vom Eibsee aus eine Superseilbahn hoch, die dummerweise beim Start im Dezember 1962 mit Prominenten an Bord hängenblieb.
Im Januar darauf wurde nahe der Talstation erstmals Kunstschnee aus einer Maschine made in USA auf eine deutsche Piste gesprüht, während ein Sturm weiter oben ein Elektrokabel zerriss. Keine Panne, keine Geldklemme und zunächst auch kaum ein Umweltprotest konnten die technische Erschließung der bayerischen Bergwelt ab den 1960er Jahren bremsen.
Auch Lawinenunglücke können dem Tourismus nichts anhaben
Nicht einmal die Lawinenkatastrophe vom 15. Mai 1965, die acht Sonnenanbeter von der Terrasse des mondänen Schneefernerhaus in die Tiefe riss und erstickte. Im November 1972 verkündete Zugspitzbahndirektor Bernhardt Schmidt, der beim Unglücksprozess in Garmisch mit Freispruch davongekommen war, das "größte alpine Erschließungssprojek Deutschlands": zwei neue Seilbahnen und fünf Lifte rund um die bislang stille Alpspitze.
Rund um den Winterolympiaort von 1936 – und nicht nur dort – wurde fortan gesprengt, gebaut, mechanisiert, untertunnelt, planiert, immer kühner, immer höher hinauf geplant. Neben Bergstationen schossen gastronomische Großbetriebe, Freizeitparks, High-Tech-Anlagen, Konferenzzentren und sogar kleine Gotteshäuser aus dem Felsboden, dessen Schneedecke indes immer dünner wurde. Inzwischen sind große Teile des nördlichen Alpenrands "erschlossen", sind viele der 1378 nennenswerten Gipfel vom Jenner bei Berchtesgaden bis zum nur 1055 Meter hohen Hündle bei Oberstaufen mit einem Netz von Seilbahnen überspannt.
Der Skitourismus boomte: Stellen- und zeitweise trieb er tolle Blüten. Top-Orte und Bahnbetreiber überboten sich mit Shows, Konzerten, Partys und sonstigen Events in ihren schneesicheren Arenen; beim üblichen Open-Air-Festival im Oktober 1981 tobten über zweitausend Schneesüchtige auf dem Dach Deutschlands.
Wenn Naturschützern das Auto angezündet wird
Am Watzmann hätten die Berchtesgadener Olympiawerber die Fünf Ringe am liebsten durch Laser bestrahlt. Immerhin konnten Naturschützer (einem wurde das Auto angezündet) den von Sagen und Bergsteigerdramen umwobenen Berg vor jeglicher Erschließung bewahren, ebenso wie Rotwand und den Geigelstein.
Lange Zeit leistete der bayerische Staat – der Seilbahnreferent im Wirtschaftsministerium hieß Seiler – ziemlich hemmungslos Aufbauhilfe beim Ausbau und laufender Modernisierung immer größerer "Aufstiegshilfen". Dies schien nicht nur wegen der schier übermächtigen Konkurrenz alpiner Nachbarländer geboten, vielmehr verlangten die wärmer werdenden Winter solche Anpassungsstrategien. Mit Millionensubventionen wurde daher aufgerüstet. Bald hatte jeder noch so kleine Skiliftbuckel seine lärmende Schneekanone. Die künstliche Beschneiung wiederum erforderte Speicherseen und führte zu enormem Wasser- und Energieverbrauch. Vom Flächenfraß gar nicht zu reden.
Derzeit werden über 700 Schlepplifte in Bayern betrieben
Gleichzeitig mobilisierte allerorten massiver, wissenschaftlich flankierter Widerstand gegen den Ausverkauf unserer Bergwelt. Das konnten die Verantwortlichen nicht überhören. Bereits seit 1972 versuchten bayerische Ministerien, das ungestüme Wachstum am Berg zu zügeln, zumal auch österreichische Investoren in Bayerns Alpen drängten.
Gelegentlich legten Gemeinden und Unternehmer, nicht zuletzt wegen mangelnder Rentabilität, den Rückwärtsgang ein. So wurde die eine oder andere Seilbahn demontiert, etwa am Wank bei Partenkirchen und am Taubenstein am Spitzingsee. Manches Projekt wurde gar nicht erst realisiert, wie kürzlich das am Riedberger Horn.
Trotz alledem wurden weiterhin in neue Bahnen und Beschneiungsanlagen investiert, jedes Jahr 50 bis 70 Millionen Euro, wovon bis zu ein Drittel aus staatlichen Fördertöpfen floss. Derzeit werden in Bayern 152 Seilschwebebahnen und Sesselbahnen betrieben, dazu über 700 Schlepplifte.
Hundert Millionen Gäste pro Jahr
Alle zusammen befördern jährlich etwa hundert Millionen Gäste. Künstlich beschneit werden – doch die Temperaturen scheinen das immer seltener zuzulassen – 64 Skigebiete. 36 von ihnen locken abends mit Flutlicht und 18 mit alpinen Funparks. Wie viele Anlagen aber in diesem Winter überhaupt noch schwarze Zahlen damit machen, steht vorerst in den Wolken.
Können die subventionierten "Anpassungsstrategien" bei weiterem Winterschwund wirklich helfen? Der neue Präsident des Verbandes Deutscher Seilbahnen und Schlepplifte, Peter Schöttl, sieht eine "klare Entwicklung" voraus, die eine klare Entscheidung erfordere: "Entweder macht man alpinen Wintersport oder man lässt es bleiben." Ein Zwischenweg sei extrem schwierig. Manche müssten sich wohl doch "anders aufstellen". Freilich hat dieser Manager von Nebelhorn- und Fellhornbahn bei Oberstdorf gut reden: Der Deutsche Wetterdienst hält in Bayern nur noch diese beiden Skiberge sowie das Zugspitzplatt bis zum Winter 2050 für schneesicher.
Vorsorglich hat die Seilbahnbranche auch auf urbane Verkehrssysteme umgeschaltet. Das Wirtschaftsministerium hat 2018 schon einen entsprechenden Arbeitskreis gebildet und einen Leitfaden für interessierte Kommunen herausgegeben. In der Warteschlange befindet sich auch München.
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