Bayerns neuer Gesundheitsminister Holetschek: Biontech-Impfstoff nicht mehr zurücklegen
München - Klaus Holetschek im AZ-Interview: Der 56-jährige CSU-Politiker war Bürgermeister von Bad Wörishofen, Bürgerbeauftragter der Staatsregierung sowie Staatssekretär im Bau- und Gesundheitsministerium. Seit gut einer Woche ist er Bayerns Gesundheitsminister.
AZ: Herr Holetschek, als Sie im August als "Verstärkung" ins Gesundheitsministerium berufen wurden, war doch schon klar, dass Sie über kurz oder lang Minister würden, oder?
KLAUS HOLETSCHEK: Nein - klar ist aber, dass Melanie Huml und ich im Gesundheitsministerium als Team eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet haben.
Gesundheitsminister Holetschek unter Druck
Der Ministerpräsident meinte damals, dass Frau Huml Verstärkung gebrauchen könne, weil das Ministerium wegen Corona stark beansprucht sei. Sie aber müssen ohne Staatssekretär auskommen. Wie erklärt sich das?
Ein wichtiger Punkt ist, dass wir jetzt eine schlagkräftige Waffe gegen die Corona-Pandemie haben: Impfstoff. Und die Impfungen haben wir in Bayern gut vorbereitet. Mittlerweile konnten bei uns bereits rund 154.000 Menschen geimpft werden.
Der Ministerpräsident hat Sie als "Macher und Entscheider" empfohlen. Söder hat Ihnen zudem die Dienstbeschreibung mit auf den Weg gegeben, es gehe in Ihrem Ressort "um Leben und Tod". Wie sehr fühlen Sie sich unter Druck gesetzt?
Es ist die Corona-Pandemie selbst, die uns "unter Druck" setzt. Wir müssen die Infektionszahlen möglichst schnell eindämmen, um möglichst viele Todesfälle zu verhindern. Und genau daran arbeiten wir - sogar unter Hochdruck.
"Wir gehen davon aus, dass genügend Masken zur Verfügung stehen"
Noch am Dienstagabend ergaben Kaufversuche in Apotheken und Drogerien in München: keine FFP2-Maske verfügbar. Bahnt sich hier ein Desaster an?
Nein - wir gehen davon aus, dass genügend Masken zur Verfügung stehen werden.
FFP2-Masken sind nicht ganz billig und man braucht täglich eine. Kann der Freistaat da etwas tun, um nicht so betuchten Bürgern zu helfen?
Wir haben beschlossen, dass wir 2,5 Millionen Masken für Hilfsbedürftige zur Verfügung stellen.
Wann ist für Sie der Zeitpunkt gekommen, an dem man eine Corona-Impfpflicht für das Pflegepersonal ernsthaft angehen müsste?
Zunächst ist es wichtig, dass sich der Ethikrat mit dieser Frage beschäftigt. Denn es geht darum, Corona-Infektionen in Pflege- und Altenheimen zu vermeiden und damit Leben zu retten. Deshalb müssen wir es schaffen, dass sich mehr Pflegekräfte als bisher gegen Corona impfen lassen.
Wann ist der Großteil der bayerischen Bevölkerung immunisiert?
Ministerpräsident Söder hat große Sorge vor einem mutierten Virus geäußert. Gibt es da etwas, was wir noch nicht wissen sollen?
Es ist doch ganz klar: Wir müssen die möglichen Risiken ernst nehmen und vorausschauend tätig werden. Auch das ist ein Grund für unsere Entscheidung zu den FFP2-Masken.
Wenn es beim Tempo der Impfungen so weitergeht wie bisher, wie viele Jahre dauert es dann, bis zwei Drittel der bayerischen Bevölkerung immunisiert sind? Wir sind auf knapp zwei Jahre gekommen (bei 100.000 Impfungen pro Woche für 8,7 Mio. Einwohner, d. Red).
Am 27. Dezember haben in Bayern die Impfungen mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer begonnen. In Bayern wurden bislang mehr als 154.000 Menschen geimpft. Die Anzahl der durchführbaren Impfungen ist insbesondere abhängig von der Menge des verfügbaren Impfstoffs. Aktuell liegt der Schwerpunkt der Impfungen auf Alten- und Pflegeheimen durch Mobile Impfteams sowie auf dem Personal von Kliniken und Unikliniken. Sobald die Impfungen in den Impfzentren beginnen, wird die Anzahl der Impfungen voraussichtlich deutlich steigen.
Holetschek: "Wir stehen im Austausch mit der Firma Biontech"
Haben Sie sich ein Datum gesetzt, bis wann diese Durchimpfung vollzogen sein soll? Wann können die 99 bayerischen Impfzentren mit voller Kapazität arbeiten? Die Freien Wähler erwarten Vollzug im "Sommer".
Das hängt vor allem von der Menge des verfügbaren Impfstoffs ab. Insgesamt wurden von Ende Dezember bis zu diesem Mittwoch mehr als 331.000 Impfdosen geliefert. Künftig soll jede Woche Impfstoff geliefert werden. Zudem gibt es inzwischen zwei zugelassene Impfstoffe - und ich hoffe, dass noch weitere hinzukommen. Kurz: Die Antwort auf Ihre Frage hängt von vielen Faktoren ab, auf die wir keinen oder nur bedingt Einfluss haben und die daher nicht seriös prognostiziert werden können. Die Impfzentren jedenfalls sind einsatzbereit. An der Logistik sollte es nicht scheitern.
Ist die lizenzierte Impfstoffproduktion in Bayern bisher nur so eine Idee oder gibt es dafür Konkreteres?
Bayern ist einer der wichtigsten Pharmastandorte in Deutschland. Deswegen liegt es auf der Hand, dass wir Unterstützung bei der Suche nach weiteren Produktionsstandorten anbieten. Dazu stehen wir mit dem Hersteller Biontech im Austausch.
"Es ist nicht die Zeit für Schwarze-Peter-Spiele und Schuldzuweisung"
Der Schwarze Peter für den verzögerten Impfstart wird zwischen München, Berlin und Brüssel hin und her geschoben. Wer ist nun schuld daran, dass vielerorts über das Fehlen von Impfstoff geklagt wurde?
Dies ist nicht die Zeit für Schuldzuweisungen und Schwarzer-Peter-Spiele. Wir stecken inmitten einer weltumspannenden Pandemie, der schlimmsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es geht um Leben und Tod. Deswegen sollten wir gemeinsam nach vorne schauen, Fehler analysieren und pragmatische Lösungen entwickeln.
Wieso werden Impfdosen für die zweite Impfung "zurückgelegt". Wenn zuverlässig Nachschub kommt, wäre es dann nicht vernünftig, alle Dosen sofort zu verwenden?
In der Anfangsphase, als die Lieferungen noch anlaufen mussten, war es wichtig, auf Nummer sicher zu gehen und Impfstoff zurückzulegen. Denn es ist ganz entscheidend, dass jeder die notwendigen zwei Impfungen bekommt, damit der volle Schutz gewährleistet werden kann. Wir haben aber in der Tat beschlossen, bis auf eine Reserve für unvorhergesehene Lieferausfälle oder sonstige Bedarfe künftig die gesamten Lieferungen von Impfstoff auszuliefern, um mehr Menschen impfen zu können. Wir setzen dabei natürlich darauf, dass der Impfstoffnachschub nicht abreißt und die Lieferungen nun verlässlich und vor allem regelmäßig kommen.
Corona-Sterberate in Bayern höher als in USA
Warum liegt die Sterberate in Bayern über der der USA?
Zahlenvergleiche zwischen verschiedenen Ländern beziehen sich stets auf unterschiedliche Rahmenbedingungen, zum Beispiel wie viele Personen und welche Gruppen getestet werden, wie die Altersstruktur einer Gesellschaft aufgebaut ist, die Qualität der Gesundheitssysteme, die Definition der Infektionsfälle und Todesursachen oder die Höhe der Dunkelziffern bei Infizierten und Todesfällen. Insofern sind Vergleiche mit großer Vorsicht zu interpretieren. Umso mehr gilt dies für Vergleiche zwischen unterschiedlichen regionalen Ebenen.
Corona-Tote im Verhältnis zur Bevölkerung sind aber doch ein unumstößlicher Maßstab...
Es kommt aber auch auf die gewählte Maßzahl an. Bei der Fallsterblichkeit aufgrund von Covid-19, die den Anteil der Zahl der gemeldeten Sterbefälle an der Zahl der gemeldeten Infektionsfälle in einer Population darstellt, liegt der Wert für Deutschland bei 2,2 Prozent bzw. für Bayern bei 2,1 Prozent und damit tatsächlich über dem Wert der USA von 1,7 Prozent. Bei der Fallsterblichkeit gelten aber auch die oben genannten Einschränkungen, denn sie hängt auch von dem Anteil der aufgedeckten Fälle bzw. der Dunkelziffer oder der Altersstruktur der Gesellschaft ab. Die Sterblichkeit bei Covid-19 steigt mit zunehmendem Alter deutlich, bei jungen Menschen hingegen ist sie äußerst gering. Das Durchschnittsalter in Deutschland ist mit 45,7 Jahren deutlich höher als jenes in den USA mit 38,3 Jahren. Wird die Zahl der Verstorbenen je eine Million Einwohner betrachtet, zeigt sich ein anderes Bild. Nach den aktuellen Daten der WHO sind in den USA bislang 369.304 Menschen an Covid-19 verstorben. Das entspricht 1.116 Verstorbenen je einer Million Einwohner. Für Deutschland weist die WHO 40.343 Verstorbene, also 482 Verstorbene je einer Million Einwohner, aus.
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