Bayern vor dem Sozialkollaps? Verbände schlagen Alarm
München - Ein großer Niedriglohnsektor, fehlende Tarifbindung, überlastete pflegende Angehörige und fehlende Kitaplätze: Die Liste der Probleme, die das Soziale Netz Bayern der Staatsregierung ankreidet, ist lang.
Das Bündnis aus 16 Verbänden, darunter der Sozialverband VdK, der DGB oder die AWO, mahnte gestern schnelle Verbesserungen für die Menschen im Freistaat an - nicht zuletzt aufgrund der enorm gestiegenen Energiepreise und hohen Lebenshaltungskosten. "Wir sehen die Gefahr, dass die Gesellschaft kippt", warnte DGB-Bayern-Chef Bernhard Stiedl. Große soziale Ungleichheiten und vor allem finanzielle Sorgen könnten der Demokratie schaden - auch im vermeintlich reichen Freistaat.
Armutsgefährdungsquote binnen eines Jahres in nahezu allen Kategorien gestiegen
Stiedl verwies auf den bayerischen Sozialbericht, dem zufolge die Armutsgefährdungsquote binnen eines Jahres in nahezu allen Kategorien gestiegen ist. Frauen über 65 waren 2021 mit einem Armutsrisiko von 26 Prozent (2020: 23,9 Prozent) besonders betroffen, noch stärker Alleinerziehende mit 38,5 Prozent (2020: 35,1 Prozent) - die aktuelle Inflation von elf Prozent in Bayern ist dabei noch nicht berücksichtigt.
Hinzu kommt, so Stiedl, dass Bayern trotz der Einführung des Mindestlohns nach wie vor einen großen Niedriglohnsektor habe und zugleich die Tarifbindung sinke: Nicht einmal mehr die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Freistaat seien in tarifgebundenen Betrieben beschäftigt. Die Staatsregierung habe soziale Themen in den vergangenen Jahren zu stark vernachlässigt, so Stiedls Fazit - sie sei nun in der Verantwortung.
Soziale Netz Bayern fordert erneute Energiepreispauschale
Konkret fordert das Soziale Netz Bayern zusätzlich zu den auf Bundesebene verkündeten Entlastungsmaßnahmen eine erneute Energiepreispauschale in Höhe von 500 Euro, finanziert aus Landes- und Bundesmitteln sowie eine politische Initiative, um prekäre Beschäftigung und Niedriglöhne zurückzudrängen. Stiedl begrüßte den von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigten Energie-Härtefallfonds über 1,5 Milliarden Euro, mahnte aber eine zügige und unkomplizierte Umsetzung an. "Viele brauchen sofort Entlastung und können nicht warten, bis der Winter vorbei ist", so der DGB-Landeschef.
Das Problem wachsender Armut korreliert der VdK-Landesvorsitzenden Ulrike Mascher zufolge auch mit der schwierigen Lage pflegender Angehöriger im Freistaat: Ein großer Teil der 900 000 Menschen, die jemanden daheim betreuen, sei Doppel- und Dreifachbelastungen ausgesetzt, durch Berufstätigkeit, Kinderbetreuung oder eigene Einschränkungen. Die Hälfte der berufstätigen Befragten berichtet, die Arbeitszeit wegen der Pflege reduziert zu haben", so Mascher unter Berufung auf eine VdK-Studie. "Das bedeutet Verdienstausfall von bis zu 2000 Euro monatlich." Dies mache sich später auch bei der Rente bemerkbar.
"Ich sehe keine Wirtschaftskrise"
Der Freistaat müsse deshalb dringend endlich flächendecken Pflegestützpunkte zur Verfügung stellen, Entlastungsleistungen für pflegende Angehörige müssten entbürokratisiert und das Angebot an wohnortnahen Hilfsangeboten wie Kurzzeitpflegeplätzen deutlich ausgebaut werden.
Darüber hinaus drängt das Soziale Netz Bayern auch auf eine Reform in der Kita- und Ganztagsbetreuung. Bayern habe nach Schleswig-Holstein den zweithöchsten Ausbaubedarf in Sachen Ganztag. Zudem brauche es dringend eine Fachkräfteoffensive sowie finanzielle Unterstützung der Kommunen.
DGB-Landeschef Stiedl stellte klar, dass aus seiner Sicht die wirtschaftliche Lage keine Ausrede sein dürfte, um Investitionen herauszuschieben: "Ich sehe keine Wirtschaftskrise", sagte er. Bayerns Arbeitsmarkt sei extrem stabil, der Staatshaushalt gut gefüllt.
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