Bad Aibling: Das Gleis in den Tod

Zehn Tote, 81 Verletzte, ein Vermisster: Mehr als 700 Retter bergen die Opfer beim Zugunglück bei Bad Aibling.
von  AZ
Rettungskräfte an der Unfallstelle.
Rettungskräfte an der Unfallstelle. © dpa

Bad Aibling - Die Bewohner von Bad Aibling glauben zunächst an eine Explosion, als sie am Dienstagmorgen um kurz vor 7 Uhr von einem gewaltigen Krachen aus dem Schlaf gerissen werden. Dem ohrenbetäubenden Knall folgt ein Knirschen. Dann herrscht Totenstille.

Die schreckliche Ursache ist jedoch keine Detonation, sondern eins der schwersten Zugunglücke in der deutschen Geschichte: Am Ortsrand der oberbayerischen Gemeinde sind zwei Meridian-Züge frontal aufeinandergeprallt, die Triebwagen haben sich bis zur Unkenntlichkeit ineinander verkeilt, mehrere Waggons sind entgleist.

In den Trümmern sterben mindestens zehn Menschen. 81 Passagiere werden verletzt, 18 von ihnen schwer, einige lebensgefährlich. Am Abend galt noch mindestens eine Person – ein Meridian-Mitarbeiter – als vermisst.

Wolfram Höfler, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Bad Aibling, ist als erster am Unfallort. Die Unglücksstelle liegt in einer bewaldeten Kurve direkt an der Mangfall und ist nur über einen schmalen Uferweg zu erreichen. Dort taumeln den Rettern die ersten Verletzten entgegen. Kreidebleich. Weinend. Blutverschmiert. Verstört.

Die Unglückszüge waren in entgegengesetzter Richtung zwischen Holzkirchen und Rosenheim unterwegs, als sie zwischen den Haltestellen „Bad Aibling Kurpark“ und „Kolbermoor“ auf einem eingleisigen Streckenabschnitt kollidierten. Laut Polizei waren insgesamt etwa 150 Menschen an Bord.

„Zuerst haben wir gedacht, wir hätten es nur mit einem Zug zu tun. So sehr hatten sich die beiden Bahnen ineinandergeschoben“, sagt Höfler. Erst nach und nach wird das ganze Ausmaß der Tragödie klar. „Es war ein Bild der Verwüstung“, sagt der Feuerwehr-Kommandant.

Seine Kollegen müssen etliche Schwerverletzte mit hydraulischem Gerät aus den Wracks schneiden. „Den letzten konnten wir erst dreieinhalb Stunden nach dem Unglück befreien.“

Rund 700 Rettungskräfte sind vor Ort, auch aus Österreich: Polizei, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Wasser- und Bergwacht. Weil das Gelände so schwer zugänglich ist, werden viele Opfer per Seilwinde in Hubschrauber gehievt und in Krankenhäuser in der Umgebung, in München, Salzburg und Innsbruck geflogen. Dort werden sämtliche planmäßigen Operationen abgesagt, um Versorgungskapazitäten zu schaffen. 15 Helikopter sind im Dauereinsatz.

Die Leichtverletzten werden im Feuerwehrhaus von Kolbermoor erstversorgt, psychologisch betreut und im Laufe des Tages von Verwandten abgeholt.

„Unsere Tochter wollte mit Freunden zum Fasching nach München“, erzählt ein älteres Ehepaar aus Bad Aibling. „Sie hat extra den früheren Zug genommen, damit sie vorher noch bummeln kann.“ Die junge Frau hatte zum Glückl einen starken Schutzengel: Sie saß ganz hinten im Zug und hat nur ein paar Kratzer abbekommen.

Augenzeuge berichtet: „Ich hörte überall im Zug die Leute um Hilfe rufen“

„Es ist Glück im Unglück, dass Schulferien sind“, sagt Feuerwehr-Kommandant Höfler. „Sonst wären die Züge rammelvoll mit Kindern gewesen.“ Bis zu 800 Buben und Mädchen fahren normalerweise mit dem Meridian zu einer der drei weiterführenden Schulen in Bad Aibling. Am Faschingsdienstag hatten sie frei. Im Zug befanden sich vor allem Pendler auf dem Weg zur Arbeit.

Am Nachmittag wurden Bergezüge aus Leipzig und Fulda am Unglücksort erwartet. „Die sind in der Lage, dieses schwere Material auseinanderzuziehen. Das können wir einfach nicht“, sagt Wolfram Höfler. Die Opferzahl werde dann wohl noch steigen, fügt er leise hinzu: „An einer Stelle tropft Blut aus dem Wrack. Die Person ist nicht ansprechbar – und für uns unrettbar.“

Die 37 Kilometer lange Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim wurde nach dem Unglück komplett gesperrt. Wann die Verbindung wieder aufgenommen werden kann, war zunächst unklar. Die Bergung der Todeszüge wird vermutlich mehrere Tage dauern. Für Reisende besteht währenddessen ein Ersatzverkehr mit Bussen.

Vom Unglück berichten: Ralph Hub, Natalie Kettinger, Irene Kleber, Anja Perkuhn, Christian Pfaffinger, Sophie Anfang, Florian Zick.

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