Abschlussklassen in Nürnberg streiken – aus Angst!
Nürnberg - An sieben Nürnberger Schulen sind die Klassenzimmer der Abschlussschüler zu Beginn dieser Woche noch leerer als sonst. Denn die Schüler verweigern den vom Kultusministerium beschlossenen Wechselunterricht, bei dem ein Teil der Klasse in der Schule präsent sein muss, wie der BR berichtet – aus Angst vor einer Corona-Ansteckung.
Schüler "sind es satt, ignoriert zu werden"
In der Stadt Nürnberg lag der Inzidenzwert am Dienstag bei 131,8. Die Schüler streiken und wollen es dabei auch in den kommenden Tagen belassen, wie der Sender weiter berichtet.
Darunter ist auch die Fachoberschule II, die Tim Volkmann besucht. Er sagt zu den Gründen zur AZ: "Erst wieder am Freitag haben wir erfahren, dass wir diese Woche kommen sollen. Viele haben Risikogruppen daheim, die Mutationen grassieren."
Sie fordern unter anderem eine Reduzierung der Prüfungen. Das Kultusministerium tat den Streik am Montag ab, doch Volkmann und seine Mitschüler wollen weiter machen, nur etwa 30 der 400 Abiturienten seien in die Schule gekommen. Die Schüler "sind es satt, ignoriert zu werden und es zu spüren zu bekommen, dass ihre Sorgen und Ängste anscheinend niemanden im Kultusministerium interessieren", teilen sie mit.
Immer neue Verschärfungen - und nun Präsenzunterricht?
Tobias Fritz (22), Sprecher des Landesschülerrats Bayern aus Bad Neustadt an der Saale, sagt dazu auf AZ-Nachfrage: "Generell bevorzugen wir als Landesschülerrat den Weg der Kommunikation. Doch wir können absolut nachvollziehen, wenn sich Schüler gezwungen sehen, so zu handeln, um sich nicht einer hohen Infektionsgefahr auszusetzen."
Es sei nicht nachvollziehbar, dass auf der einen Seite von einem immer längeren Lockdown und weiteren Verschärfungen die Rede ist, auf der anderen Seite aber Schüler wieder in den Präsenzunterricht geschickt werden, meint Fritz.
Den Wechselunterricht hatte Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) Ende vergangener Woche verkündet – und es hagelte Kritik, etwa von der Lehrergewerkschaft GEW: "Eigentlich hatte die Kultusministerkonferenz vorgesehen, gemäß Stufenplan vor allem die Jüngsten als erstes wieder in den Präsenzunterricht zu bringen – was ja Sinn machen würde", sagte der stellvertretende GEW-Landesvorsitzende Florian Kohl. "Digitale Lernangebote sind gerade für die Jüngsten viel schwerer umzusetzen."
Fleischmann: "Es hat keinen Sinn, nur an kleinen Schräubchen zu drehen"
"Das war wieder eine Hauruckaktion entgegen unserer Warnungen", sagt auch Tobias Fritz. Wechselunterricht sei die schlechteste Alternative und "aus den Reaktionen und Erfahrungen der Schülerschaft wissen wir, dass er fast nirgends reibungslos funktioniert".
"Die ganze Situation hat mit Normalität nichts zu tun", sagt auch die Präsidentin des bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands BLLV, Simone Fleischmann der AZ. Dass unter den aktuellen Umständen der Wechselunterricht die falsche Wahl ist, da sei man sich mit der Schulfamilie, also den Lehrern, auch seiner Erfahrung nach einig, so der Landesschülerratssprecher zur AZ. Simone Fleischmann: "Es hat keinen Sinn, nur an kleinen Schräubchen zu drehen, sondern das Hetzen Richtung Abschluss endlich sein lassen."
Nicht nur Schüler, auch Lehrer hätten Bedenken, wenn sie wieder Präsenzunterricht geben müssen, Ängste, die man ernst nehmen müsse. Außerdem sei ja klar, dass der Wechselunterricht mancherorts wieder zu Quarantänen führen werde.

"Wie sollen alle das gleiche Ziel auf unterschiedlichen Wegen erreichen?", fragt Fleischmann und meint die bayernweit einheitlich festgelegten Abschlussprüfungen im Gegensatz zu völlig unterschiedlichen Inzidenzzahlen und technischen Möglichkeiten an den einzelnen Schulen.
20 Millionen Euro fließen in Sonderprogramm
AZ-Informationen zufolge haben mancherorts Schulleiter Vereinbarungen mit den Abschlussklassen getroffen, dass sich Schüler, die Angst vor einer Ansteckung haben, vom Präsenzunterricht befreien lassen können, um online von daheim aus teilzunehmen. Immerhin: Zum Schutz vor Ansteckungen finanziert die Staatsregierung zusätzliche Schulbusse nun bis zum Beginn der Sommerferien. Für das entsprechende Sonderprogramm werden weitere 20 Millionen Euro bereitgestellt, hat das Kabinett am Montag beschlossen.
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