20 Birkhühner und Spezlwirtschaft? Eklat um Kampenwandbahn

Um die Erneuerung der Kampenwandbahn ist ein erbitterter Streit mit dem Bund Naturschutz entbrannt. Macht das Forstministerium Spezlwirtschaft?
Heidi Geyer |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Die Kampenwandbahn ist nicht mehr die Jüngste - aber um die Modernisierung tobt ein Rechtsstreit.
Die Kampenwandbahn ist nicht mehr die Jüngste - aber um die Modernisierung tobt ein Rechtsstreit. © dpa

Aschau im Chiemgau - Süß sind sie, die kleinen Knutschkugeln, die derzeit auf die Kampenwand führen. Die gleichnamige Bahn bringt von Aschau im Chiemgau (Landkreis Rosenheim) Ausflügler auf den Berg und beliefert die Gastronomie am Gipfel.

Weil die Bahn mit Baujahr 1957 aber nun in die Jahre gekommen ist, soll sie erneuert werden. Denn im Moment ist jedes Ersatzteil laut Seilbahnbetreiber eine Sonderanfertigung, zudem sind die Kabinen für behinderte Menschen und Kinderwagen nur eingeschränkt nutzbar.

2017 hat das Landratsamt Rosenheim die Pläne für eine Erneuerung genehmigt. 2022 änderte die Behörde die Genehmigung.

Breitere Schneise und Birkhühner

Dem Bund Naturschutz (BN) ist der Ausbau ein Dorn im Auge, er klagte gegen die Änderung. Die Gründe: Mit der neuen Bahn solle es eine breitere Schneise geben, Bäume würden dem zum Opfer fallen. Außerdem seien die Birkhühner, eine streng geschützte Art, in Gefahr.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Und tatsächlich hatte der BN Erfolg. Das Verwaltungsgericht München entschied 2023, dass die Genehmigung zu ungenau und damit rechtswidrig sei. Ein wesentlicher Kritikpunkt war dabei, dass in der Genehmigung unklar blieb, welche Bäume für die neue, an beiden Seiten um jeweils 2,5 Meter breitere Trasse gefällt werden müssen.

Die Frage, wie viele Bäume für den Neubau dran glauben müssten, kann der BN der AZ nicht beantworten.

Berufung zugelassen

Gegen dieses Urteil wehrte sich der Betreiber der Kampenwandbahn. Am 4. Februar fiel nun die Entscheidung: Die Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof zugelassen. Ein strittiger Punkt sind dabei Naturwälder und was das konkret bedeutet für einen Bau. Naturwälder in Bayern sind noch relativ neu und wurden erst 2020 ausgewiesen, also nach der Genehmigung des Neubaus durch das Landratsamt Rosenheim.

Damals wurden 58.000 Hektar Staatswald unter den besonderen Schutz des Bayerischen Waldgesetzes gestellt, so das Landwirtschafts- und Forstministerium.

"Auf den Naturwaldflächen findet künftig dauerhaft keine Holznutzung mehr statt", heißt es in einer Infobroschüre des Ministeriums. Naturwald ist also in dem Sinne kein Naturschutzgebiet oder ein Nationalpark. "Das Betreten der Wälder, auch die sportliche Freizeitnutzung oder der Radverkehr, werden nicht eingeschränkt", heißt es weiter.

Ein "G'schmäckle"

Dürfen trotzdem Bäume gerodet werden für die Erneuerung einer bestehenden Seilbahn? Wie präzise muss die Ausweisung von Naturwaldflächen sein? Diese Fragen werde man sich nun im Berufungsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof stellen, wie ein Sprecher des Verwaltungsgerichtshofs der AZ sagt.

Für den BN ist aber ein anderer Punkt ein Skandal. Denn das Forstministerium unter Ministerin Michaela Kaniber (CSU) habe den Naturwald so ausgewiesen, dass die neue, breitere Trassenführung der Kampenwandbahn "formal nicht mehr als Eingriff in den Naturwald gilt".

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Für den Rosenheimer BN-Kreisvorsitzenden Rainer Auer hat es sogar ein "G'schmäckle", es wirke fast wie "Spezlwirtschaft". Mitten im laufenden Verfahren habe das Ministerium die Begrenzung des Naturwalds verändert - und somit "nicht zufällig" ein großes Problem für den Betreiber aus dem Weg geräumt. Kaniber ist seit Beginn der Legislaturperiode zusätzlich noch Tourismusministerin, dies war jedoch 2020 vermutlich noch nicht absehbar.

Wer klüngelt da mit wem? 

Damals lag das Ressort noch bei Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). "Hier wird der Schutz wertvoller Naturflächen offensichtlich den wirtschaftlichen Interessen eines einzelnen Unternehmens geopfert", so Auer.

Wer da konkret mit wem klüngele, will die AZ von Auer wissen. Der stellt die Gegenfrage: "Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass gerade in dieser Zeit ein Naturwald zufällig genau so verändert wird, dass es dem Betreiber ermöglicht, sein Bauvorhaben durchzuführen?"

Das Forstministerium erklärt auf AZ-Anfrage: Eine Korrektur der Naturwaldkulisse im Bereich der Kampenwand sei erforderlich geworden, nachdem hier eine fehlerhafte Überschneidung mit der bestehenden Seilbahntrasse bekannt geworden worden sei. "Auf dieser Trasse mit im Grundbuch eingetragener Grunddienstbarkeit zugunsten der bestehenden Seilbahn (kein Wald im Sinne des Waldgesetzes) hätte kein Naturwald ausgewiesen werden dürfen", heißt es weiter. Erst durch die Klage sei der Fehler publik geworden, es gehe aber nur um eine "Größenordnung im niedrigen dreistelligen Quadratmeter-Bereich".

Kaniber selbst sagt der AZ auf Anfrage, dass ihr Naturschutz und die Wälder wichtig seien. „Die Kritik des Bund Naturschutz hat mit der Realität vor Ort nichts zu tun!“, sagt die Ministerin.

Wie viele Birkhühner gibt es?

Und dann sind da noch die Birkhühner. Die Population sei eh schon drastisch zurückgegangen, der Bestand habe sich halbiert. Auf Nachfrage stellt sich jedoch heraus, dass unklar ist, inwiefern der Bestand sich verringert habe. Bei einer einzelnen Begehung habe man nur rund die Hälfte entdeckt von ursprünglich 20 bekannten Hähnen.

Der BN will jedoch ein Gutachten vorlegen, das zeigen soll, wie sehr die Birkhühner jetzt und unter einem möglichen Ausbau leiden. "Aus unserer Sicht verstößt das Vorhaben weiterhin gegen das Naturschutzrecht, insbesondere gegen Artenschutzrecht", sagt BN-Anwältin Lisa Eberlein.

Schon jetzt gibt es Sonderfahrten abseits der normalen Öffnungszeiten. Der BN klagt jedoch auf Rückfrage nicht gegen diese, weil er erst einmal das laufende Verfahren abschließen will. Die Birkhühner müssen also warten.

Anzahl der Fahrten am Abend sollen gleich bleiben

Die Betreiber der Kampenwandbahn schreiben in einer Pressemitteilung: "Die Anzahl der abendlichen Fahrten bleibt gegenüber heute unverändert, die Zeiten, zu denen sie jahreszeitlich stattfinden dürfen, wurden in der angegriffenen Genehmigung 2022 gegenüber heute eingeschränkt."

Über "irreführende Behauptungen des BN" sei man verwundert. Es werde suggeriert, dass die Bahn mit den jetzigen Nachtfahrten schon gegen behördliche Auflagen verstoße: "Diese Behauptung ist unrichtig - alle Fahrten der Kampenwandseilbahn entsprechen der aufrechten Betriebserlaubnis." Zudem verweisen die Betreiber auf ein bestehendes Besucherlenkungskonzept.

Der BN hat nach eigenen Angaben auch Gespräche für einen Vergleich mit den Betreibern der Bahn geführt. Damals hätte sich der Umweltschutzverband darauf einlassen können, dass man die Modernisierung mittrage, sofern auf Sonderfahrten weitgehend verzichtet werde - nämlich nur 20 in der zweiten Jahreshälfte.

Ob dann die Bäume in der Trasse keine Rolle gespielt hätten? Laut BN ist ein Kompromiss eben mit Eingeständnissen auf beiden Seiten verbunden.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.