Zwischen guter Absicht und dem Abgrund
Eine Feuerwand in der Nacht. Brennende Gestalten taumeln in Zeitlupe, lautlos. Verstörend, zu ästhetisch ist das Grauen inszeniert. Befohlen hat das Inferno ein deutscher Offizier. Nicht im Zweiten Weltkrieg, sondern vor vier Jahren, in Afghanistan.
Es ist das Drama um Oberst Georg Klein, dem Kommandeur, der am 4. September 2009 zwei Tanklaster im Kundus-Fluss bombardieren ließ. Sieben Kilometer vom deutschen Lager entfernt vermutete er eine Ansammlung von Taliban-Kämpfern. Sein Befehl zum Luftangriff war tatsächlich „eine mörderische Entscheidung“, der mindestens 140 Menschen zum Opfer fielen – die meisten, wie man inzwischen weiß, Zivilisten.
Das Doku-Drama von Raymond Ley, das heute auf Arte und kommenden Mittwoch im Ersten ausgestrahlt wird, ist ein TV-Ereignis. Das liegt auch am Stoff. Schließlich hat nie seit Hitlers Krieg ein deutscher Militäreinsatz derart viele Opfer gefordert. Es liegt an der Aufbereitung: Meist dichte Schauspielszenen wechseln sich mit Zeitzeugen-Interviews ab. Und es liegt an den Schauspielern: Sie machen den Krieg und das Drama des Versagens greifbar. Matthias Brandt spielt Georg Klein, und er erweist sich erneut als Spezialist für zögernde Charaktere, die ihren Aufgaben nicht gewachsen scheinen.
Klein ist im September 2009 seit fünf Monaten im Einsatz in Afghanistan. Er ist bedächtig, kein Haudrauf, ein Sympathieträger. Er war in Bosnien, hat dort keinen Fehler gemacht.
Aber Afghanistan ist eine andere Liga. Die Taliban rekrutieren Kinder als Selbstmord-Attentäter. Die lokalen Größen wollen die Deutschen töten sehen. Im Sommer 2009 sterben drei Bundeswehr-Soldaten im Hinterhalt. Der Film zeigt das Leben im Feldlager fast als Sommercamp-Idylle – bis die Einheit unter Feuer kommt, bis die reale Mutter und der reale Vater von Sergej Motz sprechen. Ihr Sohn ist bei dem Einsatz gestorben, oder „gefallen“, wie es wieder heißt. „Er wollte mich beschützen“, sagt die Mutter unter Tränen.
„Der Druck war enorm“, schildert Ex-Generalsinspekteur Wolfgang Schneiderhan die Situation, in der Klein auf die Kaperung der Tank-LKW reagieren musste. Und Brandt zeigt einen Befehlshaber, der dem Druck in den entscheidenden Stunden nicht standhält. Statt auf seinen Stab hört er auf die Spezialkräfte der KSK und auf den Geheimdienstler Henry Diepholz. Axel Milberg spielt ihn als samtzüngigen Scharfmacher.
In der Nacht zum vierten September haben sich die bettelarmen Dorfbewohner, Männer, Frauen, Kinder zu den im Fluss festsitzenden Tankern aufgemacht, sie zapfen das kostbare Benzin ab.
Kleins Stab glaubt nicht an eine Taliban-Versammlung, nie versammeln sich die Guerillas so lange in so großen Gruppen. Die herbeigeorderten US-Kampfpiloten wissen das auch, äußern laut Funkprotokollen immer wieder Zweifel, nachdem sie zwei Stunden über dem Schauplatz gekreist waren. Aber der Oberst gibt den tödlichen Befehl. Warum? Weder Klein noch die Bundeswehr wollten sich gegenüber den Filmemachern äußern.
Dafür sprachen Angehörige der Opfer, die „diesen Klein in Stücke reißen“ wollen. Der Film basiert auf Presse-Recherchen und Erkenntnissen aus dem Kundus-Untersuchungsausschuss. „Es ging mir darum, Gefahren für meine Soldaten frühzeitig abzuwehren“, sagt Klein dort. Er ist mittlerweile General.
„Eine mörderische Entscheidung" ist ein gelungenes Lehrstück darüber, wie man militärisch in guter Absicht in tiefste Abgründe geraten kann. Angesichts der Syrien-Krise kommt die Warnung keinen Tag zu früh.
Arte, heute, Freitag, 20.15 Uhr; ARD, Mittwoch, 4. 9., 20.15 Uhr
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