Wolff-Christoph Fuss: Der Phrasenhasser mit dem Geschenk Gottes

Phrasen kennt der Fußballfan von ihm nicht: Wolff-Christoph Fuss. Der Fußball-Kommentator erzählt in seinem neuen Buch mit seiner lebendigen Sprache verrückte Geschichten rund um den Fußball. Im Interview spricht Fuss über sein Sprachgeschick, orthopädische Schäden auf Kommentatorenplätzen und einem Geschenk Gottes.
Berlin - Mit Sprüchen wie "Hasta la vista Bayern finalista" kommentierte sich Wolff-Christoph Fuss (37) nicht nur in die Herzen von Bayern-Fans. Trotz seines jungen Alters ist Fuss inzwischen einer der beliebtesten Fußballkommentatoren in Deutschland. Gerade auf seinen Reisen durch Europa mit deutschen Mannschaften hat er einiges erlebt, das er in seinem Buch "Diese verrückten 90 Minuten" (C. Bertelsmann Verlag, 288 Seiten, 19,99 Euro) in seinem typischen Duktus niedergeschrieben hat.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news spricht Fuss über seine Rolle als 23. Mann, beichtet schreckliche Phrasen, erzählt von orthopädischen Folgeschäden auf Kommentatorenplätzen und erklärt, was ihm der liebe Gott ausgegeben hat.
Herr Fuss, gleich zu Beginn Ihres Buches gestehen Sie, dass Sie zunächst eigentlich gar kein Buch schreiben wollten. Was oder wer hat Sie umgestimmt?
Wolff-Christoph Fuss: Umgestimmt ist das falsche Wort, man hat mich eher eingestimmt. Eine Literaturagentur - ja so was gibt es - aus Berlin hatte die Idee und mächtig viel Überzeugungsarbeit geleistet. Letztlich mit Erfolg. Ich hab dann angefangen, mich zu erinnern und zu schreiben.
Wenn es um die beliebtesten Fußballkommentatoren in Deutschland geht, fällt verdächtig oft Ihr Name. Auch bei Youtube finden sich relativ viele Best-Of-Zusammenschnitte von Ihnen. Können Sie überhaupt noch in Ruhe ins Cafe gehen?
Fuss: Doch, doch das geht schon. Und wenn jemand kommt, dann reden wir kurz über Fußball und machen ein Bild. Das sind eigentlich immer sehr nette Begegnungen.
Auch Kommentator-Größen wie Rolf Töpperwien loben Sie. Fühlt man sich da auch ein bisschen wie ein Star?
Fuss: Nicht wirklich. Und trotzdem ist ein Lob von Töppi wie ein Ritterschlag für mich. Dass der TV-Zuschauer den Kommentator quasi als 23. Mann sieht, das kann ich nicht verhindern. Das ist halt so, und es ist das gute Recht eines jeden Zuschauers. Aber in Wahrheit schaut er ja doch wegen des Spiels und nicht wegen des Kommentators. Also die Stars, das sind die Jungs auf dem Platz und an der Seitenlinie.
Gibt es auch aus der Familie Manöverkritik nach einem Spiel?
Fuss: Inhaltlich selten. Klar mal ein: "Hat aber gedauert, bis du das Abseits erkannt hast." Ansonsten eher: "Krawatte schief, unsauber geschminkt, Licht nicht gut." (lacht) Ich versuche das Thema Fußball im Privatleben auch mal außen vor zu lassen.
Von anderen Kommentatoren heben Sie vor allem Ihre meist phrasenlosen Bilder ab wie "Mourinho hat den schwarzen Gürtel in Selbstdarstellung" oder "Magath läutete seinen Teebeutel". Woher kommen diese Bilder während der Live-Kommentare? Wann entstehen diese?
Fuss: Ich kucke mir die Leute an, wie jeder andere auch, und sehe das Spiel wie jeder andere auch. Sicher habe ich in der ein oder anderen Situation etwas mehr Einblick als der "normale" Zuschauer. Aber ich beobachte gerne und viel. Und aus diesen Situationen, aus dem spontanen Moment entstehen Gedanken, die ich versuche, in Worte zu fassen. Wenn ich mit vorgefassten Elementen ins Spiel gehen würde, verlöre die Partie an Priorität und das ist der falsche Ansatz. Das Spiel steht immer im Vordergrund.
Kann man sich diese Sprachgewandtheit antrainieren? Wie versuchen Sie, das bei Schulungen, die Sie auch machen, zu vermitteln?
Fuss: Man kann seinen Wortschatz und seine Rhetorik erweitern - jederzeit. Indem man viel liest, durchaus alles mögliche, und Menschen beobachtet. Es gibt viele Leute, die wahnsinnig gut reden können, komplexe Sachverhalte kurz, prägnant und pointiert darstellen können, ohne dass es klingt, als würden sie irgendwen imitieren oder spielen. Da kann man sich viel abschauen und auf sich übertragen.
Welche Phrasen finden Sie besonders schlimm?
Fuss: Oha, da gibt's jede Menge Klassiker: von Bock umstoßen, über Chancen hüben wie drüben oder loslegen wie die Feuerwehr. Da liegt meterdick der Staub drauf.
Neben Ihnen sitzt bei Spielen meist Michael Morhardt als Redakteur. Wie kommunizieren Sie miteinander?
Fuss: Bei strittigen Situationen über Zeichensprache: Daumen hoch, Daumen runter, Fragezeichen über dem Kopf. Wenn ihm im Spiel irgendetwas auffällt, dann notiert er das kurz, auch bei interessanten statistischen Entwicklungen. Mittlerweile sind wir so eingespielt, dass, wenn er das Gefühl hat, dass mir beispielsweise bei einem Tor der Ballverlust im Mittelfeld durchgegangen ist, er mir sofort den Spieler nennt, der tatsächlich den Ball verloren hat. Über eine Sprechverbindung können wir jederzeit miteinander kommunizieren.
Bei den Anfängen Ihrer Kommentatoren-Laufbahn berichten Sie von einer teilweise sehr einfachen Arbeitsumgebung - beispielsweise einem Stuhl mit nur einer Armlehne. In welchem Stadion hatten Sie den luxuriösesten Arbeitsplatz? Und welcher fasziniert Sie am meisten?
Fuss: Am faszinierendsten ist der Kommentatorenplatz an der Anfield Road in Liverpool. Ein altes enges Stadion, wo du immer aufpassen musst, dass du dir keinen Splitter ziehst. Auch das Sitzen ist für Menschen jenseits der 1,80 Meter nur mit orthopädischen Folgeschäden zu überstehen. Die Atmosphäre entschädigt allerdings für alles. Wirklich luxuriöse Arbeitsplätze sind mir bis zum heutigen Tage noch nicht untergekommen. Alles recht einfach und puristisch. Gerade in den neuen Arenen ist die Platzsituation etwas großzügiger. Das ist dann schon Luxus.
Sie begleiten viele deutsche Teams auch international und erleben dabei Kollegen aus den verschiedensten Ländern. Was sollten sich deutsche Kommentatoren abschauen?
Fuss: Ich weiß nicht, ob wir uns wirklich was abschauen sollten. Ich finde diese mitunter etwas gespielte und theatralische Torgestaltung von Kollegen aus Südamerika manchmal etwas befremdlich. Im Grunde geht es doch bei allen Kollegen nur darum, so authentisch wie möglich zu kommentieren und sich bestmöglich vom Spiel mitnehmen zu lassen.
In den USA ist es bei Sport-Übertragungen üblich, dass ein Experte dem Kommentator im Spiel ständig zur Seite gestellt wird und eine - auch mal sehr amüsante - Konversation entsteht. In Deutschland hat sich das erst in den letzten Jahren entwickelt - kommentieren Sie lieber allein oder mit einem Experten neben sich?
Fuss: Ich finde das ist mitunter ein bereicherndes Element. Weil ehemalige Trainer und Spieler doch noch etwas anders mit Spielsituationen umgehen können. Noch mal einen ganz anderen Blick auf die Geschehnisse werfen können. Davon profitieren Kommentator und Zuschauer gleichermaßen.
Im letzten Jahr haben Sie zweimal "Elton zockt" kommentiert. Welchen Reiz haben diese Einsätze und können Sie sich vorstellen, das in Zukunft öfter zu machen?
Fuss: Häufiger sicher nicht, aber ab und an ist das mal ganz lustig. Ein scheinbar belangloses "Streichholzziehen" bekommt Champions-League-Final-Charakter. Das ist reine Show und zudem ein großer Spaß. Ich verstehe mich sehr gut mit Elton und wir haben einfach eine gute Zeit.
Einige Ihrer Sky-Kollegen wie Marc Hindelang oder Sascha Roos kommentieren auch Formel 1 oder Eishockey. Welche Sportart würde Sie neben Fußball reizen?
Fuss: Ich habe in meiner Zeit bei Sat.1 ja angefangen Boxkämpfe zu kommentieren. Ein äußerst reizvoller Sport und in seiner Urform die ursprünglichste und ehrlichste Form des Zweikampfes. Ich habe mich schon immer dafür interessiert, und habe vor meinem ersten Kommentar versucht, diese Sportart zu lernen wie eine Sprache, inklusive Trainingseinheiten mit Fritz Sdunek. Ich bin guten Mutes, dass Sky in absehbarer Zeit auch wieder Boxkämpfe übertragen wird.
Bekanntermaßen hängt Ihr Herz am 1. FC Köln. Schaffen die Geißböcke in dieser Saison den Aufstieg? Haben Sie schon beantragt, das letzte Ligaspiel der Kölner in dieser Saison kommentieren zu dürfen?
Fuss: Sie haben Recht, der 1. FC Köln hat sich mich in frühster Kindheit ausgesucht. Die Sympathie ist bis heute geblieben. Ich bin davon überzeugt, dass die Kölner den Aufstieg schaffen. Sie haben mit Jörg Schmadtke vor der Saison den wichtigsten Transfer der jüngeren Vereinsgeschichte getätigt. Und den Aufstieg werde ich mir gemütlich auf der Couch anschauen. Es ist im übrigen falsch zu glauben, nur weil man einen Club mag, würde man sehr parteiisch kommentieren. Eher ist man noch ein bisschen kritischer.
Mal ganz ehrlich - wie viele Zigaretten mussten Sie für Ihre markant raue Stimme rauchen?
Fuss: (lacht) Ich weiß gar nicht, ob es daran lag. In dem Punkt hat der liebe Gott vor 37 Jahren wohl gesagt: Och komm, dem geb ich heute mal einen aus.