Volker Weidermann auf den Spuren Reich-Ranickis

Comeback eines Klassikers: Das ZDF belebt ab Anfang Oktober die Sendung „Das Literarische Quartett“ wieder. Statt Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) wird Volker Weidermann jetzt der Kopf der Sendung. Er ist Literaturchef beim Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Weidermanns Mitstreiter sollen die Moderatorin und Autorin Christine Westermann („Zimmer frei!“) sowie der Autor und Kolumnist Maxim Biller („Esra“) sein. Als Vierter kommt in den sechs Sendungen pro Jahr ein Kritiker als wechselnder Gast hinzu. In der ersten Sendung ist dies die Autorin Juli Zeh.
AZ: Sehr mutig, Herr Weidermann, eigentlich kann man als Leiter des neu aufgelegten „Literarischen Quartetts“ doch mehr verlieren als gewinnen, oder?
VOLKER WEIDERMANN: Als ich das Angebot vom ZDF bekam, war das auch mein unmittelbarer Gedanke: Mehr Hohn und Spott kann man ja gar nicht auf sich ziehen. Das „Literarische Quartett“ ist selbstverständlich verbunden mit Marcel Reich-Ranicki. Es ist aber auch eine so starke Marke, dass man es wieder neu versuchen kann. Es gab auch Überlegungen, mit fünf oder drei Menschen zu diskutieren, aber das wäre doch eher feige gewesen.
Die Rollen scheinen ja schon klar verteilt.
Die Rollen sind superklar verteilt – vorher. Aber wir hatten schon eine Probesendung, auch mit Juli Zeh. Und da haben wir zwei Dinge festgestellt: Es ging schnell zur Sache, und die Teilnehmer waren doch anders, als man das vorher vielleicht erwartet hätte.
Was ist Ihre Funktion?
Natürlich bin ich in der Theorie der Diskussionsleiter zwischen den Meinungen. Aber ich bin in der Gruppe auch der einzige Berufskritiker. Insofern bin ich lobesfroh und angriffsfroh.
Wer legt die Bücher fest?
Jeder Teilnehmer schlägt ein Buch vor, für das er brennt. Und dann muss ich ein bisschen darauf achten, dass diese Bücher nicht womöglich ähnliche Themenbereiche behandeln.
Literatur hatten zu Zeiten des „Literarischen Quartetts“ noch einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert, es wurde mehr über Literatur gesprochen.
Das mag sein, man redet heute in immer spezialisierten Gruppen über Literatur. Aber Romane wie Houellebecqs „Unterwerfung“ oder Dave Eggers‘ „Circle“ wurden zuletzt weit über diese Kreise hinaus diskutiert. Und natürlich haben wir ja auch die Hoffnung, dass wir mit dieser Sendung Debatten entfachen können.
Wie wichtig ist die Quote?
Es erstaunlich, wie gering die Quote des Quartetts eigentlich war. Der Mythos ist unabhängig von der Einschaltquote gewachsen. Wir wollen schon so viele Zuschauer wie möglich. Immerhin läuft die „Heute-Show“ vor uns, vielleicht können wir ja das Publikum mitnehmen.
Sie haben Marcel Reich-Ranicki noch als Kollegen kennengelernt.
Das war das größte Glück in meiner beruflichen Zeit. Ich habe das „Literarische Quartett“ schon als 18-Jähriger geschaut, ich habe Reich-Ranickis Bücher während des Studiums gelesen. Und als ich zur „FAZ“ kam, habe ich mit ihm zusammengearbeitet. Die letzten zehn Jahre seines Lebens haben wir mehrere Male wöchentlich telefoniert, ich habe auch seine Fragenkolumne betreut.
Was haben Sie von ihm gelernt?
Er blühte geradezu auf, wenn man ihm widersprach. Viele dachten, dass ein Mann, der mit solcher Autorität und Lautstärke auftrumpft, keinen Widerspruch dulde. Das war ein großes Missverständnis. Er wollte nur, dass man mit der gleichen Vehemenz widerspricht. Er war auch keine Diva mit seinen Texten. Man konnte ausgesprochen gut mit ihm zusammenarbeiten.
Die Branche ist klein. Einen Autor, den Sie verreißen, treffen Sie auf den Messen und Festivals wieder.
Sie kennen ja die Episode, wie Heinrich Böll Marcel Reich-Ranicki geholfen hat, nach Deutschland zu kommen. Reich-Ranicki hat kurze Zeit später den neuen Roman von Böll verrissen. Diese völlige Angstfreiheit fehlt mir und unserem Berufsstand heute vielleicht ein bisschen. Aber man wächst ja mit den Aufgaben.